Hessen Unmut wegen zweiter Flüchtlingsunterkunft in Frankfurt-Rödelheim
In Frankfurt-Rödelheim soll eine neue Unterkunft für mehrere hundert Flüchtlinge und Obdachlose entstehen. Das Problem: In derselben Straße existiert bereits eine große Unterkunft. Vor Ort stellen sich viele die Frage, ob sie gegenüber "reicheren" Stadtteilen benachteiligt werden.
Großer Besucherandrang herrscht bei den Sitzungen der Frankfurter Ortsbeirats 7 eher selten. An diesem Dienstagabend jedoch sind im Saal der Christ-König-Gemeinde im Stadtteil Praunheim bereits eine halbe Stunde vor Beginn alle Sitzplätze belegt.
Mehr als hundert Menschen sitzen dicht an dicht, im Vorraum sind Lautsprecher aufgestellt für Dutzende weiterer Bürgerinnen und Bürger, die es nicht in den Saal geschafft haben.
Weitere Unterkunft bis 2025
Ortsvorsteher Johannes Lauterwald (Grüne) bleibt betont ruhig, versucht den Andrang mit kurzen Ansagen zu sortieren. Normalerweise tagt der Ortsbeirat in kleineren Räumlichkeiten.
Doch es war absehbar, dass diese Bürgerfragestunde auf mehr Interesse stoßen würde als üblich. Das Thema bewegt: In Rödelheim soll bis Ende 2025 eine Flüchtlingsunterkunft entstehen. Eine weitere, um genau zu sein.
Anwohner kritisieren mangelnde Kommunikation
Die Bauarbeiten in der Straße "In der Au" im westlichen Teil Rödelheims sind bereits im vollen Gang. Seit gut einer Woche ist der mittlere Teil der Straße abgesperrt. Nur auf einer Straßenseite ist der Bürgersteig noch passierbar. Der Abstand zwischen den Terrassen eines rotverklinkerten Neubaublocks mit Eigentumswohnungen und dem Bauzaun beträgt gerade mal etwas mehr als einen Meter. Zwei Baukrane erheben sich dahinter.
Bis Ende 2025 soll hier ein viergeschossiges Gebäude in Modulbauweise entstehen, das nach Vorstellung des Sozialdezernats künftig im Schnitt 280 Geflüchtete und Wohnsitzlose beherbergen soll.
Angeboten wurde das Gelände der Stadt bereits im April 2022. Von den bevorstehenden Bauarbeiten erfuhren die meisten Anwohnerinnen und Anwohner allerdings erst vor gut zwei Wochen - die meisten durch die Presse.
Die bereits bestehende Flüchtlingsunterkunft "In der Au" in Frankfurt-Rödelheim.
"Es hat keinerlei Kommunikation stattgefunden", beklagt sich eine Anwohnerin. Sie und andere Bewohner des Gebiets müssten über Feldwege fahren, um ihre Häuser zu erreichen. Die eigentlich ruhige Seitenstraße, in der sie wohne, sei mittlerweile zur Durchfahrtsstraße mutiert.
Mangelnde Kommunikation der Behörden und Beeinträchtigungen durch die Bauarbeiten sind typische Ärgernisse der Kommunalpolitik. Doch das ist nicht das, was die Menschen am Dienstagabend zur Bürgerfragestunde im Ortsbeirat treibt.
Vielmehr geht es um die Frage, warum die neue große Unterkunft ausgerechnet "In der Au" gebaut wird - denn nur zwei Hausnummern weiter existiert seit 2016 bereits eine Unterkunft mit 330 Plätzen.
Kritiker sehen ihren Stadtteil einseitig belastet
Aus Sicht von Kritikern der neuen Geflüchteteneinrichtung stellt sich die Frage, ob ihr Stadtteil nicht einseitig belastet wird. Bereits vor der Sitzung des Ortsbeirates war in diversen sozialen Netzwerken kritisiert worden, dass insbesondere Schulen und Kindertagesstätten bereits an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen.
Die örtliche CDU monierte in einer Pressemitteilung, dass sich "die Unterbringung von Flüchtlingen in Rödelheim konzentriert", während "in anderen Stadtteilen keine vergleichbaren Einrichtungen existieren".
Das Gefühl gegenüber anderen Stadtteilen, in denen eine wirtschaftlich bessergestellte Klientel lebt, benachteiligt zu werden, scheint weit verbreitet. In der Bürgerfragestunde bringt ein Zwischenruf dieses Gefühl auf den Punkt: "Was ist mit dem Westend? Was mit dem Nordend?"
Der größere Saal war trotzdem zu klein für die Bürgerfragestunde des Ortsbeirats.
100 Unterkünfte in der ganzen Stadt
Tatsächlich existieren in Rödelheim bereits jetzt fünf Unterkünfte für Geflüchtete und Obdachlose, die zusammen 710 Plätze vorhalten. Durch den Neubau "In der Au" erhöht sich die Zahl der Plätze auf 1.000.
Zusätzlich soll eine weitere Unterkunft an der Ludwig-Landmann-Straße - die zwar nominell auf dem Gebiet des Nachbarstadtteils Bockenheim liegt, jedoch direkt an Rödelheim angrenzt - ebenfalls von 450 auf 650 Plätze erweitert werden.
Wöchentlich 33 neue Geflüchtete in Frankfurt
Eine Vertreterin der Sozialdezernats verweist in der Bürgerfragestunde derweil darauf, dass stadtweit derzeit 9.500 Menschen untergebracht werden müssten - darunter 4.000 Wohnungslose. Dafür stünden im gesamten Stadtgebiet rund 100 Unterkünfte zur Verfügung. Wöchentlich bekomme die Stadt durch das Land 33 Geflüchtete zugewiesen.
Rödelheim stehe im Ranking der Frankfurter Stadtteile an dritter Stelle in Bezug auf die Gesamtzahl der vorgehaltenen Unterkunftsplätze. Wo diese gebaut würden, liege nicht allein im Ermessen der Stadtverwaltung.
Der Markt entscheidet mit
"Wir würden sehr gerne im Westend bauen", sagt Christamaria Weber, die stellvertretende Leiterin der Stabsstelle Unterbringungsmanagement und Geflüchtete, "wir würden auch gerne in Bornheim oder auf dem Lerchesberg bauen. Wenn uns da jemand etwas anbietet zu einem vernünftigen Preis, schlagen wir mit Sicherheit sofort zu." In Frankfurt herrsche aber nun einmal eine "große Flächenkonkurrenz".
Tatsächlich hat die Stadt seit 2015 eigenen Angaben zufolge 1.565 Flächen und Gebäude als Standorte für Unterkünfte angeboten bekommen. Lediglich 198 davon waren geeignet genug, um einer eingehenden Prüfung unterzogen zu werden. An 73 dieser Standorte sind mittlerweile Unterkünfte im Betrieb.
Dass sich Unterkünfte ungleich über das Stadtgebiet verteilen, ist somit zum Teil den Marktverhältnissen geschuldet. Dass jedoch gleich zwei vergleichsweise große Einrichtungen in derselbe Straße untergebracht werden, ist selbst aus Sicht der Behörden unglücklich. Dass es dennoch dazu kam, hat derweil weniger lokale als geopolitische Gründe.
Auswirkungen des Ukraine-Krieges
Denn als das Gelände in West-Rödelheim im April 2022 der Stadt angeboten wurde, sei diese schlicht und ergreifend nicht in der Situation gewesen, "nein" sagen zu können, betont Stabsstellenleiterin Weber in der Bürgerfragestunde. Zwei Monate zuvor hatte der Krieg in der Ukraine begonnen.
Neben der regulären Zuweisung des Landes von 615 Geflüchteten sah sich die Stadt 2022 plötzlich mit der Aufgabe konfrontiert, zusätzlich rund 7.900 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine unterzubringen.
Die Stadt musste also jede Gelegenheit nutzen, die sich bot, um weitere Unterkünfte einzurichten - so auch "In der Au". "Das hätten wir sonst im Hinblick auf die bereits bestehende Unterkunft nicht gemacht", betont Weber.
Dass sich mittelfristig etwas an der Situation "In der Au" ändern wird, ist derzeit nicht zu erwarten. Der Mietvertrag für die "neue" Unterkunft läuft mehr als 20 Jahre. Der für die ältere Unterkunft soll um fünf Jahre verlängert werden.
Kommentare aus der rechtspopulistischen Ecke
Im Vorfeld der Bürgerfragestunde war angesichts der Gemengelage eine hitzige Debatte erwartet worden. "Es kam leider gerade in den sozialen Medien zu Kommentaren, die sehr aus einer rechtspopulistischen Ecke kamen", berichtet Ortsvorsteher Lauterwald im Gespräch mit dem hr.
Zugleich hätten sich viele Menschen mit den Geflüchteten solidarisiert. Lauterwald selbst hatte in der Presse dazu aufgerufen, Kritik "sachlich und konstruktiver" anzubringen.
Ganz frei von "Kommentaren aus der rechtspopulistischen Ecke" blieb dann auch die Bürgerfragestunde nicht. Ein älterer Mann bezweifelte, dass es sich bei den "jungen Männern, die keinen Ausweis, aber ein Handy haben", um Flüchtlinge handele. Es blieb jedoch eine mit lauten Buhrufen aus dem Publikum quittierte Ausnahme.
"Wir brauchen nicht zu diskutieren, ob und wie viele Geflüchtete in Frankfurt aufgenommen werden", erklärte eine Rödelheimerin während der Bürgerfragestunde. Jedoch sei es gerade auch im Sinne der Integration der Geflüchteten, diese angemessen zu verteilen: "Damit diese Leute auch eine Chance haben, sich zu integrieren."