Schlittschuhe

Hessen Fehlinvestition in Plastik-Eisbahn? Marburg kehrt zu echtem Eis zurück

Stand: 29.11.2024 19:19 Uhr

Nachhaltigen Schlittschuh-Spaß versprach vor zwei Jahren die synthetische Eislaufbahn, die Marburg für rund 250.000 Euro anschaffte. Nach drastischem Besuchereinbruch und viel Kritik kehrt die Stadt nun zu echtem Eis zurück.

Von Rebekka Dieckmann

Zumindest auf Google ist man sich weitgehend einig. Von "völligem Müll" und "unmöglich darauf zu laufen" gehen die Bewertungen bis hin zu, das sei ja "wie Schwimmbad ohne Wasser."

Gerade mal 1,6 von 5 Punkten bekommt der "Marburger Plastikpalast", wie er spöttisch getauft wurde. Die Hauptkritik an der Kunsteisbahn der vergangenen Jahre: die Fahreigenschaften. Man knicke die ganze Zeit seitlich weg und komme nicht richtig vorwärts, schreiben Besucher. Da solle man doch lieber Inlineskaten gehen, meint einer.

Dabei sollte die Anschaffung der sogenannte Glice-Bahn vor zwei Jahren eigentlich der große Winterspaß-Wurf im klimaschutzbewussten Marburg sein. Am Freitag eröffnet der Eispalast nun wieder - mit 900 Quadratmetern größer als vorher und unter freiem Himmel. Und: Statt Glice gibt es wieder echtes Eis. Jetzt stellt sich die Frage, wie nachhaltig diese Investition wirklich war.

Eisflächen brauchen viel Energie

Da herkömmliche Kunsteisbahnen immense Energiekosten verursachen, hatten mehrere Kommunen während der weltweiten Energiekrise Plastikplatten als Alternative eingeführt. Diese benötigen weder Wasser noch Kühlenergie im Betrieb.

Während die meisten Städte die Platten mieteten, entschied sich Marburg direkt für den Kauf. 246.000 Euro investierte die Stadt in die Synthetik-Paneele des Schweizer Herstellers Glice.

"Die Kritik an der Fahrbahn war enorm"

Die harte Kritik an den Platten ging allerdings auch an der Stadt Marburg nicht vorbei. Eine eindeutige Sprache sprachen zudem die drastisch eingebrochenen Besucherzahlen: Statt wie bisher rund 30.000 Besucherinnen und Besucher jährlich waren es zuletzt weniger als 10.000.

Toni Ahlendorf, der langjährige Betreiber der Eisbahn, bestätigte dem hr: "Die Kritik an der Fahrbahn war enorm." Auch er habe sich eine Rückkehr zu echtem Eis gewünscht.

Schlittschuhlaufen auf synthetischer Fläche in Marburg

Schlittschuhlaufen auf synthetischer Fläche in Marburg.

Opposition: Glice hat enttäuscht

Gefordert hatte das zuletzt auch die größte Oppositionsfraktion im Stadtparlament aus CDU, FDP und Bürgern für Marburg (BfM). Fraktionsmitglied Andrea Suntheim-Pichler (BfM) sagte dem hr, die Gleiteigenschaften von Glice hätten viele Nutzerinnen und Nutzer einfach nur enttäuscht.

Auch das inklusive Eislaufprogramm Kombine habe nur sehr stark eingeschränkt stattfinden können, kritisiert Suntheim-Pichler. Die fehlende Gleitfähigkeit habe Rollstuhlfahrern kein selbständiges Fahren ermöglicht.

Außerdem meint sie: Der Magistrat habe bei der Beschaffung zwar die positive Energiebilanz hervorgehoben, aber den Energieaufwand der Herstellung und Entsorgung nicht berücksichtigt.

WWF kritisiert Plastikmüll

Im Internet wirbt der Hersteller, Glice sei eine "ökologische Eisbahn". Der Slogan: Skate for the Planet. Kritik daran gibt es etwa von der Umweltschutzorganisation WWF. Sie schreibt: Kunststoff-Eisbahnen bestehen größtenteils aus Polyethylen. "Herstellung, Transport, Entsorgung oder Recycling benötigen Energie und verursachen Plastikmüll."

Hinzu komme: Die scharfen Schlittschuh-Kufen könnten feine Plastik-Fäden abfräsen, die wiederum in Böden, Luft und Meer verheerenden Schaden anrichten. Auch in Marburg hatten Besucher von sichtbaren Fäden und Partikeln berichtet, die sich teilweise an der Kleidung anhefteten.

Der Ansatz, langlebige Alternativen zu kühlungs- und energieintensiven Schlittschuhbahnen zu suchen, sei grundsätzlich gut, so der WWF. Allerdings gebe es bislang kaum Studien, in denen die Klimabilanz aller Systeme, also Echteis-, Kunsteis- und Kunststoff-Bahnen, konkret verglichen werde.

roter Handschuh mit vielen kleinen weißen Plastikfetzen

Plastik-Schnee: WWF kritisiert Abrieb von synthetischen Eisbahnen

Hersteller: Glice trotzdem nachhaltiger

Auf Anfrage des hr hat sich der Hersteller bislang nicht geäußert, betont aber auf seiner Webseite: Glice-Eisbahnen würden "90 Prozent weniger Abrieb" als andere Kunststoffbahnen erzeugen. Außerdem würden Schuhsohlen, Textilien und Reifen deutlich mehr Mikroplastik in die Umwelt freisetzen.

Das Unternehmen räumt ein: Die Paneele bestehen nicht aus recycelten Polymeren. Jedoch sei Glice trotzdem nachhaltiger als echtes Eis. Die Platten könnten über viele Jahre hinweg genutzt werden, ohne dass ständig neuer Energieeinsatz erforderlich ist. Als Nutzungsdauer gibt Glice 20 Jahre an.

Eschborn und Hanau verzichten auf Kunststoff

Auf den meisten Eisbahnen in Hessen wird dieses Jahr echtes Eis genutzt, etwa in Bad Wildungen (Waldeck-Frankenberg). In Eschborn (Main-Taunus) hatte man 2022 gemietete Glice-Platten im Einsatz, setzt aber mittlerweile wieder auf echtes Eis. Die Stadt teilt mit: Auch hier sei es zu zahlreichen Beschwerden wegen schlechterer Fahreigenschaften und Abrieb gekommen, der sich an der Kleidung festgesetzt habe.

"Seit dem letzten Jahr gibt es deswegen wieder eine Echteisbahn, allerdings wird energieeffizientere Technik und stärkere Dämmung eingesetzt", heißt es aus Eschborn. Auch in Hanau gibt es keine Kunststofffläche mehr – allerdings aus finanziellen Gründen. Die Mittel werden dort anderweitig genutzt, so die Stadt.

Weiterhin auf Kunsteis setzt man beispielsweise im Frankfurter Skyline Plaza sowie im nordhessischen Melsungen (Schwalm-Eder).

"Eiszeit" in Bad Wildungen

Stadt sieht weiterhin Vorteile von Glice

Dass in Marburg die Platten nun nach zwei Jahren Nutzung im Lager überwintern, sieht die Stadt als nicht problematisch. Der Magistrat hält weiter an den Qualitäten der Anschaffung fest.

Auf hr-Anfrage teilt die Stadt mit: Das Kunsteis habe grundsätzlich keinen Nachteil. Es biete ein "authentisches Schlittschuh-Erlebnis", sei aber in der Handhabung "anspruchsvoller" als Natur-Eis.

Schlittschuhe müssten einige Minuten eingefahren und mit einem speziellen Schliff versehen werden, um optimal zu gleiten. Diesen Service habe die Stadt in den vergangenen Jahren kostenfrei angeboten.

"Glice war keine Fehlinvestition"

Plastikabrieb sei nach Angaben der Stadt kein entscheidender Faktor gewesen, die Platten dieses Jahr nicht zu verwenden. "Der Abrieb ist minimal," so die Einschätzung.

Auch als Fehlinvestition will die Stadt die Anschaffung nicht werten: Der Kauf habe sich bereits amortisiert. Für eine echte Eisfläche hätte man pro Jahr etwa 100.000 Euro ausgeben müssen, argumentiert der Magistrat.

Die Platten könnten zudem auch bei Sommer-Events genutzt werden, um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu steigern. "Bei Erfolg könnte die Glice-Bahn theoretisch wieder im Eispalast zum Einsatz kommen," so die Stadt. Ein kleiner Teil soll auch in diesem Winter zusätzlich vor dem Eispalast ausgelegt werden. Ein Direktvergleich ist also möglich.