Hessen Hessen: Wohnbaugesellschaften prognostizieren deutlich steigende Mieten im Neubau
Die Kaltmiete in vielen Neubauwohnungen könnte in diesem Jahr um fast die Hälfte steigen. Das ergab eine hr-Umfrage unter Wohnbaugesellschaften. Manche Bauprojekte liegen auf Eis, aber es gibt auch Ideen für Wege aus der Krise.
Mehr als 30 in Hessen tätige Wohnbaugesellschaften prognostizieren deutlich steigende Mieten für Neubauwohnungen in diesem Jahr. Mussten ihre Mieter im Jahr 2020 noch durchschnittlich 9,50 Euro kalt pro Quadratmeter für frisch fertiggestellte Domizile bezahlen, waren es dort im vergangenen Jahr bereits im Schnitt 14,46 Euro. 2024 dürfte die Kaltmiete pro Quadratmeter auf durchschnittlich 20 Euro steigen - eine Verdoppelung binnen fünf Jahren.
Das ist das Ergebnis einer aktuellen hr-Umfrage, an der 42 kleinere und größere Wohnungsbauunternehmen teilnahmen. Auf die Frage nach den zu erwartenden Mietpreisen in diesem Jahr antworteten 31 Firmen.
Flächendeckender Anstieg
Den Anstieg bei den Neubaumieten prognostizieren die Unternehmen flächendeckend für ganz Hessen und nicht nur im ohnehin teureren Rhein-Main-Gebiet. Die Mieten könnten ihrer Ansicht nach noch mindestens zehn Jahre lang teurer werden.
Die 42 befragten Unternehmen verwalten einen Wohnungsbestand von gut 266.000 Wohnungen - in Hessen gab es nach Angaben des Statistischen Landesamts im Jahr 2022 rund 3,12 Millionen Wohnungen. Neuere Zahlen liegen nicht vor. Viel kleiner ist logischerweise die Zahl der Neubauten. Laut Statistikamt wurden 2022 fast 22.000 Wohnungen in Hessen neu gebaut - knapp 900 von 38 Wohnbauunternehmen, die zu diesem Punkt in unserer Umfrage antworteten. Viele Mietobjekte werden von Privatleuten gebaut.
In dem Zusammenhang ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass sich die Umfrage auf energetisch meist hocheffiziente Neubauwohnungen bezieht, für die entsprechend niedrige Heizkosten fällig werden. Dennoch weisen die Antworten der Wohnbaugesellschaften, unter denen große Player wie die Frankfurter Wohnungsbaugesellschaft ABG sind, in dieselbe Richtung, die dann auch Mieten für Bestandswohnungen früher oder später nehmen dürften: nach oben.
Wenig Angebot trifft auf hohe Nachfrage
Zu der erwarteten Preisexplosion führen nach Angaben der Wohnungsbauunternehmen zwei Strömungen: Immer mehr Menschen suchen Mietwohnungen - und immer weniger Wohnungen stehen zur Verfügung.
Die hohe Nachfrage hat demnach zwei Hauptgründe: Erstens haben sich die Zinsen für Kredite seit 2022 deutlich erhöht. Mit etlichen Zinsanhebungen begegnete die EZB der galoppierenden Inflation, für die hauptsächlich höhere Energiepreise infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine verantwortlich sind. Seitdem können sich weniger Menschen den Traum vom Eigenheim leisten. Sie suchen stattdessen auf dem Mietmarkt.
Dort tummeln sich, zweitens, aber zusätzlich zu allen anderen Suchenden seit 2022 viele Geflüchtete aus der Ukraine, von denen seit dem Überfall auf ihr Land mehr als eine Million nach Deutschland kamen. 29 der 42 Unternehmen, die bei der hr-Umfrage mitmachten, erwarten, dass sich die Krise gerade bei günstigeren Wohnungen unter anderem aus diesem Grund verschärfen dürfte.
All diese Wohnungssuchenden träfen auf aktuell stillstehende Baustellen, warnen die befragten Unternehmen.
Sinkende Zahl an Bauanträgen
In der ersten Jahreshälfte 2023 sank die Zahl der Bauanträge für Wohnungen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes um rund ein Viertel. 36 der von uns befragten Wohnungsbauunternehmen gaben an, dass sie im vorigen Jahr rund 1.040 Wohnungen fertiggestellt hätten - eine Zunahme im Vergleich zum Jahr davor, aber die Aussichten sind trüb.
Die Unternehmen in unserer Umfrage rechnen damit, dass demnächst immer weniger neue Mieteinheiten fertig werden. "Der Wohnungsbau in Deutschland steckt in einer tiefen Krise, wie wir sie seit Jahrzehnten nicht hatten", teilte die bauverein AG Darmstadt mit.
2020 investierten 33 Wohnungsbauunternehmen, die zu diesem Punkt in der hr-Umfrage eine Angabe machten, nach eigenen Angaben rund 788 Millionen Euro in Neubauten. Im vergangenen Jahr taten sie dies mit nur noch rund 481 Millionen Euro. Das entspricht einem Rückgang um knapp 40 Prozent. Bis 2025 könne sich die Höhe der Investitionen in den Wohnungsbau im Vergleich zu 2020 sogar glatt halbieren, teilten 28 Firmen mit.
ABG Frankfurt legt Projekte auf Eis
Die Gründe für den Investitionsrückgang nennt beispielhaft das Gemeinnützige Siedlungswerk Frankfurt: "gestiegene Zinsen, hohe Baukosten und umfangreiche Anforderungen an Neubauten bei gleichzeitig unzureichenden öffentlichen Förderprogrammen".
Der letztgenannte Punkt bezieht sich auf die ausgelaufenen Förderprogramme der bundeseigenen Förderbank KfW für energetisch hocheffiziente Wohnungen, für die es bisher keine Nachfolgeprogramme gibt. Auch deshalb sei Wohnungsbau derzeit kaum wirtschaftlich zu betreiben, bemerkt das Gemeinnützige Siedlungswerk.
All das führt dazu, dass weniger Wohnungen gebaut werden. Frank Junker, Geschäftsführer der Frankfurter Wohnungsholding ABG, sagt, derzeit entstünden noch Häuser, die vor längerem geplant worden seien und deren Bau noch zu günstigeren Konditionen vergeben werden habe können: "Neue Projekte, die wir jetzt initiieren und deren Bau jetzt beginnen würde, haben wir auf Eis gelegt, weil wir dann bei Mieten landen würden, die jenseits der 20 Euro liegen." Das sei "einfach nicht bezahlbar", so Junker.
Ideen, um gegenzusteuern
Sämtliche Rahmenbedingungen seien aktuell negativ, teilte die GWH Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft Hessen im Rahmen der hr-Umfrage mit: "An die politischen Impulse glaubt die Branche nicht." Doch die befragten Unternehmen haben auch selbst Ideen, um den Wohnungsmarkt zu retten.
Erstens: Seit der Corona-Pandemie und der für immer mehr Arbeitnehmer möglichen Option, im Homeoffice zu arbeiten, stehen viele Büros leer. Das Wohnungs- und Bauforschungs-Institut ARGE in Kiel schlägt vor, noch mehr leerstehende Büroimmobilien als bisher in Wohngebäude umzuwandeln.
Das galt lange als unrentabel. Doch angesichts der hohen Neubaukosten eventuell bald nicht mehr. So könnten deutschlandweit mehr als 200.000 Wohnungen in den Innenstädten in ehemaligen Büros entstehen - zum Teil zu einem Drittel der Neubaukosten, so das Institut.
Zweitens: Bestehende Häuser sollten mehr aufgestockt werden, schlägt der Immobilienbesitzerverband Haus & Grund vor. Dadurch seien allein im Rhein-Main-Gebiet 250.000 neue Wohnungen möglich - ohne zusätzlichen Flächenverbrauch und Erschließungsarbeiten. Freilich stellt sich auch hier die Finanzierungsfrage in Zeiten höherer Zinsen und Standards.
Drittens: Die Deutschen senken ihre Ansprüche. Im weltweiten Vergleich gibt es hier sehr große Wohnungen pro Kopf und Familie. Vier-Zimmer-Wohnungen mit 100 statt mit 180 Quadratmetern wären günstiger. Oft geht es in dem Zusammenhang darum, ohnehin kaum genutzte Nebenräume wegzulassen.