Lamia Messari-Becker in einer Talk-Show

Hessen SPD-Minister wirft Staatssekretärin "nicht hinnehmbares Fehlverhalten" vor

Stand: 23.07.2024 16:11 Uhr

Nun ist es amtlich: Hessens SPD-Wirtschaftsminister Mansoori trennt sich nach kurzer Zeit von seiner Bau-Expertin Messari-Becker. Streit gab es schon lange. Der Rauswurf wird mit einem ebenso schweren wie unklaren Vorwurf begründet.

Von Wolfgang Türk

Die vom hessischen SPD-Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori aus der Wissenschaft in die Politik gelotste Bau-Professorin Lamia Messari-Becker verliert ihren Posten als Staatssekretärin. Mansoori, Vize-Regierungschef in der seit Januar amtierenden schwarz-roten Koalition unter Ministerpräsident Boris Rhein (CDU), bestätigte am Montag einen entsprechenden hr-Bericht vom Freitag.

Er habe Rhein gebeten, die Staatssekretärin in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen, teilte Mansoori mit.

Warum genau die 51-Jährige gehen muss, ließ der Minister offen. Er begründete den Schritt mit Fehlverhalten Messari-Beckers. Mehr will er nicht sagen, da sich der Vorfall außerhalb des Dienstverhältnisses ereignet habe.

Ansprüche und Werte des Ministers

Wörtlich heißt es in der Stellungnahme Mansooris: "Ein nicht hinnehmbares Fehlverhalten, das meinen Werten und Ansprüchen an meine engsten Mitarbeitenden widerspricht, entzog mir die Grundlage für eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihr."

Nach hr-Informationen hält der SPD-Politiker seiner Noch-Staatssekretärin als Grund für die Entlassung vor, wie sie als Mutter einen Streit an einer Schule mit Lehrern eines ihrer Kinder geführt hat. Darüber, ob Messari-Becker dabei ihre Funktion als Staatssekretärin drohend ins Spiel brachte, gibt es unterschiedliche Darstellungen.

Offenbar lässt die Bau-Professorin daher rechtliche Schritte prüfen. Staatssekretärinnen und -sekretäre sind im Beamtengesetz des Landes als politische Beamte ausgewiesen. Das heißt, sie können ohne besondere Begründung in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Strittig könnte aber der öffentliche Vorwurf sein, sie habe sich gravierendes Fehlverhalten geleistet.

Messari-Becker, die in Darmstadt lebt und zwei Kinder hat, fehlte im Ministerium zuletzt wegen einer Corona-Erkrankung. Nach Mansooris öffentlicher Erklärung teilte sie dem hr am Dienstag mit: Sie könne den Vorwurf des Fehlverhaltens "nicht im Ansatz" nachvollziehen und habe sich nichts vorzuwerfen. Es sei bedauerlich, dass der Minister nicht ein persönliches Gespräch nach ihrer Genesung abgewartet habe.

"Finales Gespräch" wegen Krankheit verschoben

Hintergrund: Ein vereinbartes "finales Gespräch" mit Messari-Becker habe es wegen ihrer Erkrankung leider noch nicht gegeben, hatte Mansoori mitgeteilt. Über das Ende der Zusammenarbeit habe er sie aber bereits vor gut einer Woche informiert. Bevor er an die Öffentlichkeit ging, habe er aus Respekt mit ihr eigentlich persönlich sprechen wollen.

Aus Regierungskreisen hieß es schon früh, dass die Stimmung in der Führung des Ministeriums nicht die beste war. Die selbstbewusste Politik-Seiteneinsteigerin, die von der Uni Siegen in die Landeshauptstadt gewechselt war, fand sich an der Seite zweier nicht weniger selbstbewusster Männer wieder.

Mansoori: "Streitbar, gleichwohl geschätzt"

Denn der 35 Jahre alte Mansoori hat außer Messari-Becker mit Umut Sönmez einen weiteren Staatsekretär. Die beiden sind Weggefährten schon seit Juso-Zeiten. Sönmez gilt als enger Vertrauter des Ministers. Zwischen Mansoori und Sönmez einerseits und Messari-Becker andererseits habe die Chemie nicht gestimmt. Gerade mit Sönmez sei sie aneinandergeraten, heißt es.

In der Bestätigung der Trennung ist davon keine Rede. Minister Mansoori spricht darin von einer "streitbaren, gleichwohl von mir geschätzten Quereinsteigerin". Messari-Becker habe ihre Stärken ins Ministerium einzubringen gewusst.

Ministerpräsident Boris Rhein (CDU, r.) und Vize-Regierungschef Kaweh Mansoori (SPD, l.) bei der Vorstellung ihres Sofortprogramms am Freitag in Wiesbaden.

Ministerpräsident Boris Rhein (CDU, r.) und Vize-Regierungschef Kaweh Mansoori (SPD, l.) bei der Vorstellung ihres Sofortprogramms am Freitag in Wiesbaden.

Bitteres Ende statt Coup

Damit endet auf bittere Weise, was ein Coup hatte werden sollen: Mansoori hatte Messari-Becker bei ihrer Verpflichtung Anfang Februar in höchsten Tönen gelobt. Sie bringe "wissenschaftliche Expertise", "ambitionierte Ideen" und eine "gesunde Portion Pragmatismus" ein.

Messari-Becker hat sich als Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik der Uni Siegen international einen Namen gemacht. Als Expertin für nachhaltiges Bauen und Energieeffizienz ist sie nicht nur im Streit um das Heizungsgesetz auch medial sehr gefragt. Sie wurde 2020 in die internationale Experten-Gemeinschaft "Club of Rome" berufen und im Mai dieses Jahres an der Uni Frankfurt als "Vordenkerin 2024" ausgezeichnet.

Zur ihrer Rolle als Quereinsteigerin in die Politik hatte sie beim Amseintritt gesagt: "Auch, weil ich als Wissenschaftlerin die Verantwortung spüre, meine Erfahrung einzubringen, wenn es darum geht, die Phase des Wandels, in der wir uns befinden, so zu gestalten, dass ein zentrales Versprechen wieder gilt: Unsere Kinder sollen es besser haben als wir. Als Ingenieurin und Mutter weiß ich: Das ist kein Selbstläufer."

Messari-Becker fiel zuvor wiederholt als prinzipientreu auf. So wehrte sie sich im Umweltrat der Bundesregierung gegen ihrer Meinung nach undemokratische Pläne des Gremiums, einen Rat für Generationengerechtigkeit mit einem Vetorecht gegen neue Gesetze auszustatten. Dem Rat gehörte sie anschließend nicht mehr an.

Die zweite Personalquerele

Mansoori war als Bundestagsabgeordneter und Chef des SPD-Bezirks Hessen-Süd ins Kabinett der CDU/SPD-Landesregierung gewechselt. Seitdem gilt der 35-Jährige als der neue starke Mann der Sozialdemokraten. Neben dem Superministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr, Wohnen und ländlichen Raum erhielt er auch den Posten als Stellvertreter von Ministerpräsident Rhein.

Erfahrung in einem Regierungsamt hatte er zuvor nicht. Die Entlassung der Staatssekretärin ist nicht die erste Personalquerele um Mansoori. Im Zuge seines Aufstiegs in Wiesbaden wurde in einem parteiinternen Machtkampf der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Günter Rudolph an den Rand gedrängt.

Rudolph hatte gemeinsam mit der damaligen SPD-Landeschefin Nancy Faeser die Koalition mit der CDU eingefädelt. Als nach der Regierungsbildung die Hessen-SPD eine neue Parteispitze wählte, wurde Mansoori mit dem schlechtesten Wahlergebnis aller Stellvertreter zu einem der Vize-Vorsitzenden gewählt.

Opposition spricht von ersten Auflösungserscheinungen

Bereits nach Bekanntwerden der Entlassungspläne Mansooris am Wochenende hatten Grüne und FDP als oppositionelle Landtagsfraktionen Aufklärung über die Hintergründe verlangt.

Mit der späteren Einlassung Mansooris gab sich Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner am Montag nicht zufrieden. Sie sei voller Widersprüche und lasse vermuten, "dass die wahren Gründe andere sind". Schon länger sei zu hören gewesen, dass es "erhebliche Spannungen" gegeben habe. Das solle ehrlich benannt werden.

Die Entlassung mache den Fehlstart der schwarz-roten Koalition komplett, befand Wagner. Am Samstag hatte er mit Blick auf den vorherigen Machtkampf um Ex-SPD-Fraktionschef Rudolph vermutet: "Der Minister scheint in Personalfragen keine glückliche Hand zu haben."

"Erste Auflösungserscheinungen" machte FDP-Fraktionschef Stefan Naas nach sechs Monaten Schwarz-Rot aus. Wie die Grünen forderte er genauere Aufklärung und wiederholte anlässlich der Entlassung der Wirtschaftsstaatssekretärin den Vorwurf, die Regierung sei aufgebläht worden. "Hessens Wirtschaft braucht einen Minister, der Qualität liefert und nicht mit Querelen Schlagzeilen macht“, heißt es in der Mitteilung von Naas.

AfD: War sie zu kompetent?

Dass die erste Entlassung in der Landesregierung ausgerechnet eine parteilose Quereinsteigerin mit Fachkompetenz trifft, wirft nach Meinung von AfD-Vizefraktionschef Andreas Lichert "kein gutes Licht auf die Personalpolitik der SPD". Er fragt, ob ihre Kompetenz Messari-Becker vielleicht geschadet habe. Bisher habe die SPD in der Zeit ihrer Regierungsbeteiligung wenig Substantielles in der Wirtschaftspolitik geleistet.