Viele Menschen stehen zu einem Chor aufgereiht auf einer Theaterbühne.

Hamburg Theater protestieren für die georgische Freiheitsbewegung

Stand: 19.12.2024 09:04 Uhr

"Europa, wir brauchen dich!" - der Aufruf der deutsch-georgischen Autorin Nino Haratischwili für die europafreundliche Demokratiebewegung in ihrem Geburtsland zeigt Wirkung: Mehrere deutsche Bühnen nehmen an einer Protestaktion teil - auch in Hamburg.

Im Probenraum des Thalia in der Gaußstraße geht es zu wie beim Klassentreffen. Hier kommen sie locker zusammen, Kaffeebecher in der Hand, mehr als 30 Schauspielerinnen und Schauspieler aus dem Thalia Theater und dem Deutschen Schauspielhaus, darunter Stars wie Lina Beckmann und Jens Harzer. Egal, alle werden hier zum Ensemble. Umarmung, Küsschen: Eine offene, herzliche Atmosphäre, man kennt, man schätzt sich.

Dann bittet Regisseurin Jette Steckel das Ensemble auf die Bühne - sie nehmen den Text in die Hand. Und das Erstaunliche passiert - plötzlich sind alle still, hochkonzentriert: "Probiert mal für den Moment in die Kamera zu schauen, dann atmet Franzi an und ihr fangt an - ab: jetzt!" Und der Chor rezitiert: "Unten die Hölle. In der Mitte die Hölle. Oben die Hölle. Da sind wir. Ihr müsst nur leise an die Nächte klopfen. Da sind wir."

"Franzi", das ist die Schauspielerin Franziska Hartmann, sie ist von der Aktion begeistert: "Ich glaube, wir sind einfach alle total glücklich, dass das so schnell und spontan auf die Beine gestellt werden konnte und so viele Leute gekommen sind und wir endlich mal Schauspielhaus und Thalia zusammenbringen, um gemeinsam was auf die Bühne zu stellen."

Gegen Gewalt und Unterdrückung in Georgien

Schon beim ersten Versuch entfaltet der Text eine große Wucht. Zusammen erheben sie ihre Stimme - gegen Gewalt und Unterdrückung, für die Demokratie in Georgien. Es ist ein Chor aus einem neuen Stück der Autorin Nino Haratischwili, "Sacred Monsters". Bittere, anklagende Worte von Kindern gegen den Krieg, gegen Gewalt.

Der Tod - Euer Besen, Euer Putzlappen. Dann wischt alles weg. Reinigt. Klagt nicht."
— Zitat aus Nino Haratischwilis "Sacred Monsters

"Nino hatte das Bedürfnis, eine Solidaritätsbekundung von den vielen Menschen, die hier auch durch die Arbeiten an ihren Texten sind - und jetzt offenbar weit über Hamburg hinaus - als Chor sprechen zu lassen, der diese Solidarität der Künstlerinnen untereinander und mit den Künstlern und Künstlerinnen in Georgien zeigt", erläutert Jette Steckel.

Georgiens Regierung unterdrückt liberale Kultur

Bei der Parlamentswahl Ende Oktober hatte die russlandfreundliche Partei "Georgischer Traum" mit absoluter Mehrheit gewonnen - die Opposition spricht von Wahlbetrug. Sie befürchtet, dass das Land in die russische Einflusszone gerät.

Hunderte Demonstranten wurden mittlerweile festgenommen, die liberale Kultur wurde massiv von der Regierung angegriffen. "Das ist natürlich niederschmetternd und erniedrigend für das, woran wir glauben", sagt Steckel.

Viele deutschsprachige Bühnen machen mit

Die Idee entstand spontan, Nino Haratischwili rief bei ihrer Freundin Jette Steckel an, sofort entstand ein Netzwerk. Mehr als zehn große Bühnen im deutschsprachigen Raum machen mit, die Chor-Lesungen werden gefilmt und zusammengeschnitten. Das komplette Video wird dann bei einem unabhängigen Fernsehsender in Georgien gezeigt.

Vom Thalia Theater ist André Szymanski mit dabei: "Das ist schon sehr speziell und sehr berührend, wir sind ja über die Begegnung mit Nino Haratischwili, mit ihren Texten und Arbeiten vertraut und haben hier drei ihrer Stücke aufgeführt, Schauspielhaus und Thalia zusammen, das ist schon großartig, das ganze innerhalb von zwei Tagen, alles freiwillig und schnell organisiert, das ist toll und fühlt sich gut an."

Glaube an die Wirkmacht der Kunst

Jette Steckel hat am Thalia Theater die Romane von Nino Haratischwili zu echten Bühnenereignissen gemacht. Erzählungen aus und über Georgien. Erzählungen voller Wucht und Poesie: "Ja, ich glaube an die Wirkmacht der Kunst, und ich erlebe sie auch in mir", sagt sie.

Die Wiederaufnahme von Steckels Inszenierung von Nino Haratischwilis "Das mangelnde Licht" steht am 16. Februar wieder auf dem Spielplan des Thalia Theaters in Hamburg.

Dieses Thema im Programm:
NDR Kultur | Kulturjournal | 18.12.2024 | 19:00 Uhr