Hamburg Sturz des Assad-Regimes: Freude und Hoffnung bei Syrern im Norden
Die jahrzehntelange Diktatur des Assad-Regimes in Syrien ist seit dem Wochenende Geschichte. Die Freude auch unter den hier in Deutschland lebenden Syrern ist groß. Viele haben jetzt Hoffnung für ihr Land - auch eine Familie, die seit zehn Jahren in Hamburg lebt.
Die dreijährigen Zwillinge Fatima und Saad laufen fröhlich kichernd durch die Wohnung der syrischen Familie Khawam in Hamburg-Stellingen, drapieren immer wieder die alt-syrische Flagge der syrischen Republik auf den Kissen. Vor allem den Eltern, Ziad Khawam und Marwa Karazoun, ist neben der Freude auch die Müdigkeit anzusehen. Denn seit der Nachricht vom Sturz des syrischen Diktators Baschar al-Assad haben sie kaum geschlafen. Wie Tausende andere hatte Ziad Khawam am Sonntag vor dem Hamburger Hauptbahnhof dieses historische Ereignis ausgelassen und friedlich gefeiert. Über einen syrischen Sender verfolgt die Familie, was weiter in ihrer alten Heimat passiert.
Die Familie Khawam stammt aus Aleppo und lebt seit zehn Jahren in Hamburg.
Viele Emotionen angesichts des Sturzes vom Assad-Regime
Freude, Erleichterung, Hoffnung, aber auch Sorge - immer wieder hätten sie geweint, erzählt der Musiker und Musiklehrer aus Aleppo, der hier in Deutschland als Taxifahrer arbeitet. Seit Mai 2014 ist die Familie in Hamburg. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums leben fast eine Million Menschen aus Syrien in Deutschland. Doch Syrien sei ihre Heimat, sagt das Ehepaar. "Ich alleine könnte mir vorstellen, nach Aleppo zurückzukehren", sagt Ziad Khawam. Dort sind seine Verwandten, sein Laden, er liebe diese Stadt. Viele Syrer würden beim Wiederaufbau ihrer alten Heimat helfen wollen, berichtet er. Doch seine Kinder seien Deutsche, die jüngeren hier geboren.
Zurück nach Syrien nur für Besuche
Vor dem Sturz des Regimes wäre er ins Gefängnis gekommen, wenn er seine Heimat besucht hätte. Jetzt sei es endlich möglich: "Vielleicht nächstes Jahr, wenn die Kinder Ferien haben." Besuche ja, eine dauerhafte Rückkehr nach Syrien aber nicht - so sieht es auch seine Frau Marwa. Auch ihre Mutter und Geschwister sind noch in Syrien. Ihre Neffen und Nichten, die in den vergangenen zehn Jahre auf die Welt kamen, habe sie bislang nur über Facetime gesehen. "Aber meine Kinder sprechen mehr Deutsch als Arabisch, für sie ist es hier besser."
Marwa Karazoun sehnt sich nach Syrien, sieht die Zukunft ihrer Kinder aber in Deutschland.
Hoffnung und Vertrauen auf das syrische Volk
Und so dolmetscht der 18-jährige Sohn, Mohamad Ali, wenn seine Mutter, aufgewühlt von Emotionen, ins Arabische überwechselt. Sie sei hin- und hergerissen zwischen Deutschland und Syrien. Vieles sei zerstört in ihrem Land, müsse wieder aufgebaut werden. Sie hofft, dass Syrien ein demokratisches Land wird, dass dort endlich Meinungsfreiheit herrscht. Von Geheimpolizei geprägte Jahrzehnte hätten ihre Spuren hinterlassen: "Meine Oma hat immer gesagt: 'Die Wände haben Ohren.'" Marwa Karazoun hofft, dass der neue Präsident ein guter Präsident wird. Syrien sei eine starke Gemeinschaft, sie vertraue auf das syrische Volk.
"Hier habe ich meine Freunde, meine Arbeit"
Vorsichtig optimistisch ist auch ihr ältester Sohn Mohamad Ali: "Ich wünsche mir, dass die Syrer zusammenhalten, damit es nicht wieder zum Krieg kommt." Er war erst sechs Jahre alt, als seine Familie Syrien über den Libanon verlassen hat. Erinnerungen hat er wenige: "In Aleppo hat man Bomben einschlagen gehört, wir mussten mit dem Fußballspielen aufhören und ins Haus zurück." Sein Zuhause sei in Deutschland. "Ich habe hier meine Freunde, meinen Sport und meine Arbeit", erzählt der Kfz-Mechatroniker.
Mohamad Ali Khawam war sechs Jahre alt, als seine Familie aus Syrien flüchtete.
Vertrauen sie auch auf die möglichen neuen Machthaber? Der islamistische Rebellenführer Abu Mohammed al-Dscholani und seine Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) stehen immer noch auf der Terrorliste der Vereinten Nationen. Ziad Khawam spricht angesichts der Befreiung von der Diktatur dennoch von einem "ersten großen Schritt". "Wir müssen warten und ihnen Zeit geben. Wenn sie wieder etwas Schlimmes machen, protestieren wir wieder." Sie wären leichter zu bekämpfen als das Assad-Regime, glaubt er.
Kurdin: Rebellen zeigen nicht ihr wahres Gesicht
Eine Bevölkerungsgruppe in dem ethnisch und konfessionell gespaltenen Syrien, die Sorgen und Ängste damit verbindet, dass vermutlich Islamisten eine Rolle in der neuen Regierung spielen werden, sind die Kurden. Die Kurdin Baristan Abdo sagt im Gespräch mit NDR Info: "Mein Bruder Agid und ich haben gesagt: Man kann sich nicht freuen, aber man kann auch nicht traurig sein über das Ende des diktatorischen Assad-Regimes. Wir glauben, dass es nicht besser wird als vorher." Zurzeit würden die Rebellen nicht ihr richtiges Gesicht zeigen. "Sie könnten viel schlimmer sein als Assad", befürchtet die 37-Jährige.
"Syrien könnte ein zweites Afghanistan werden"
Baristan Abdo ist vor sieben Jahren aus der Nähe von Hassaka in Nordsyrien nach Hamburg geflüchtet, studiert hier nun Sozialökonomie und engagiert sich ehrenamtlich bei der Diakonie als "Stadtteilmutter" für andere Geflüchtete. Sie sieht das mögliche neue Regime unter Beteiligung von Islamisten als ein großes Problem - vor allem für Frauen. "Ich habe noch mehr Angst um meine zwei Schwestern als um meine Eltern, die noch in Nordsyrien sind. Ich sehe einige Rebellen als Monster, sie haben keinen Respekt vor Frauen. Ich befürchte, Syrien wird ein zweites Afghanistan."
Hoffnung auf Demokratie nach westlichem Vorbild
"Alle hoffen auf Frieden, auf ein friedliches Miteinander in Syrien. Wir wollen in Frieden und Freiheit auch mit unseren Nachbarn leben", erklärt Hassan Ied vom Vorstand der Freien Deutsch-Syrischen Gesellschaft in Hamburg im Interview mit NDR Info. Das Ziel sei der Aufbau einer Demokratie nach deutschem Muster, so der Allgemeinmediziner, der bereits 1973 aus Syrien nach Hamburg flüchtete. Es solle freie Wahlen geben mit freien Parteien. "Aber so etwas entsteht nach einer jahrzehntelangen Diktatur nicht so schnell. Das braucht eine lange Übergangsphase. Aber wir hoffen, dass wir eines Tages eine Demokratie im westlichen Sinne bekommen." Auch in der syrischen Community in Hamburg herrsche eine Aufbruchstimmung und alle seien sehr glücklich.
Zurück in der Wohnung der Familie Khawam in Hamburg-Stellingen: Der kleine Saad schläft am frühen Abend auf dem Schoß seiner Mutter ein. Die Erwachsenen wollen dagegen noch weiter feiern. Und demnächst möchte Ziad Khawam das auch im größerem Rahmen machen - mit seiner Oriental Band und vielen syrischen Landsleuten und Freunden bei einem Konzert in der Hansestadt.
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NDR Info | NDR Info | 10.12.2024 | 15:00 Uhr