Hamburg Rami Maatouk: "Ich wünsche mir für Syrien eine Phase der Toleranz"
Auch in Norddeutschland freuen sich Tausende Syrerinnen und Syrer über den Sturz des ehemaligen Präsidenten Baschar al-Assad in ihrem Heimatland. Mit dem Zahnarzt Rami Maatouk aus Hamburg haben wir über die bewegenden vergangenen Tage und ihre Folgen gesprochen.
Rami Maatouk ist Zahnarzt, in Damaskus geboren und in Syrien aufgewachsen. Der 27-Jährige hat in Deutschland studiert und arbeitet in einer Hamburger Praxis. Seit zehn Jahren lebt er in Deutschland. Er erzählt im NDR Info Interview von schlaflosen Nächten, großer Freude und dem Wunsch, mit seinen Schulfreunden Karten zu spielen.
In der Nacht zum 8. Dezember wurde das Assad-Regime gestürzt. Wie haben Sie von der Nachricht erfahren?
Rami Maatouk: Wir konnten nicht schlafen, weil wir die ganze Nacht Nachrichten geguckt haben. Wir dachten: Kann das sein? Wir sind mit dem Gedanken aufgewachsen, dass das nie im Leben passieren wird. Dass es immer die Familie Assad geben wird - bis zum Tod. Es war überraschend und wir waren richtig fröhlich. Morgens sind wir dann zur Feier des Tages frühstücken gegangen.
Zahnarzt Rami Maatouk möchte gerne seine Schulfreunde in Syrien wiedersehen.
Was erhoffen Sie sich für die Zukunft?
Maatouk: Ich muss sagen: Ich war erst mal ein bisschen ängstlich. Wir wollen nicht, dass es zu einer starken Islamisierung kommt, dass zu strikte Regeln kommen und die Gewalt bleibt. Ich kann Menschen verstehen, die Rache wollen, aber für die nächste Phase sollte Toleranz die entscheidende Rolle spielen.
Es gibt diese Dinge, die man täglich hört: Von Frauen, die vergewaltigt wurden im Gefängnis. Da sind Kinder zur Welt gekommen, die jetzt mit vier, fünf Jahren das erste Mal die Sonne sehen. Das ist schrecklich, wenn man sich darüber Gedanken macht.
Der Revolutionsführer Ahmed al-Sharaa, bisher unter dem Kampfnamen Abu Mohamed al-Dscholani bekannt, ist kein unbeschriebenes Blatt, sondern hat unter anderem eine IS-Vergangenheit. Wie sehen Sie das?
Maatouk: Er hat mich, ehrlich gesagt, bisher sehr positiv überrascht mit den Entscheidungen, die er in den letzten Tagen getroffen hat. Ich habe auch sein Interview bei CNN gesehen, in dem er sagt: 'Wir dürfen alle zusammenleben.' Christen, Muslime, Aleviten, alle dürfen ihre Religion weiter ausüben. Und die Hoffnung ist, dass es so bleibt mit dieser Vernunft.
Was bedeutet der Umsturz für Sie persönlich?
Maatouk: Das war für mich eine ganz neue Sache. Ich werde meine Schulfreunde wieder treffen können. Ich werde wieder Restaurants besuchen können, das Zuhause von meinen Eltern sehen. Das vermisst man alles. Aber dass man schon jetzt sagen kann, welche Pläne man in der Zukunft haben wird, das ist schwierig zum aktuellen Zeitpunkt.
Wie ist die Stimmung in der syrischen Community?
Maatouk: Man sieht zum ersten Mal seit 13 Jahren, dass alle Hand in Hand zusammen ein vernünftiges Land aufbauen wollen. Das hat man auch am Sonntag gespürt, als die meisten Leute geweint haben, sich umarmt haben, obwohl sie sich nicht mal kannten. Freudentränen durften da nicht fehlen. Und ich spüre auch jeden Tag, dass meine Landsleute jetzt viel motivierter sind.
Jetzt haben einige schon die Sorge, dass syrische Ärzte zurückgehen. Können Sie sich das auch vorstellen, in Syrien als Arzt zu arbeiten?
Maatouk: Mein Bruder ist ein leitender Oberarzt in Deutschland und sein Team besteht zu 50 Prozent aus syrischen Mitarbeitern. Wir sind hier seit ziemlich langer Zeit. Wir sind hier gut integriert. Wir freuen uns, hier in Deutschland arbeiten zu können, haben gute Arbeitsverhältnisse. Und man hat mittlerweile eine Verbindung zu diesem Land. Man muss auch bedenken: Deutschland hat uns einiges angeboten, was wir damals wirklich gebraucht hatten. So einen Gefallen sollte man nicht vergessen und zurückgeben.
Ich möchte mich sowieso erst einmal weiterentwickeln in der Zahnmedizin. Und wo gibt es bessere Wissenschaft und Bildung als beispielsweise in Deutschland oder den USA? Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ich mich komplett trenne von meiner Arbeitsumgebung, von meinen netten Arbeitskollegen, netten Freunden aus der Uni-Zeit. Die bedeuten mir genauso viel wie meine Freunde in Syrien. Von daher kommt es für mich erst mal nicht infrage.
Gibt es denn in Ihrem Kollegenkreis oder Freundeskreis Menschen, die sagen: Ich will so schnell wie möglich nach Syrien zurück?
Maatouk: Ja, da gibt es schon viele Fälle. Das liegt daran, dass sie ihre Eltern seit 13 Jahren nicht sehen konnten. Ich habe auf jeden Fall von einigen erfahren, dass sie jetzt schon auf dem Weg sind, um Urlaub zu machen, die Eltern zu besuchen und dann wieder herkommen.
Man muss aber differenzieren. Es gibt Menschen, die hier gut integriert sind und mit dem Leben hier klargekommen sind. Aber ich kann auch andere verstehen, die sagen: Hier habe ich mich nicht anpassen können. Wenn mein Land jetzt sicherer wird in den nächsten paar Monaten, dann wäre es vielleicht vernünftiger zurückzugehen. Denn im Endeffekt muss man da sein, wo man sich wohlfühlt.
Gibt es denn Menschen, die Sie jetzt lange nicht gesehen haben?
Maatouk: Meine Schulfreunde. Wir wollen ein gemeinsames Treffen in Syrien vereinbaren - und zusammensitzen, Playstation zocken, Karten spielen. Alles, was wir auch in der Schulzeit gemacht haben.
Das Interview führte Tobias Lickes.
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NDR Info | Infoprogramm | 11.12.2024 | 07:20 Uhr