Brandenburg Berlin TV-Jubiläum: Sandmännchen wird 65 und denkt nicht an Rente
Das Sandmännchen ist die älteste deutsche Fernsehsendung für Kinder, die bis heute produziert wird. Immer noch schauen rund eine Million Große und Kleine täglich die Gute Nacht-Geschichten. Am Freitag wird das Sandmännchen 65 Jahre alt. Von Jakob Bauer
Das kleine Sandmännchen ist eine ganz große Figur der Fernsehgeschichte: Seit 65 Jahren sagt es fast jeden Abend gute Nacht und bringt Kindern auf der ganzen Welt einen Abendgruß. Satte 23.000 Ausstrahlungen gab es seit 1959, 1.000 Szenenbilder und über 200 Fahrzeuge wurden vom 2005 verstorbenen Harald Serowski gebaut, mit denen der Sandmann die Kinder besuchen kommt.
Dabei hat alles eigentlich ziemlich überstürzt angefangen, erinnert sich der 2006 verstorbene Erfinder der Sandmännchen-Figur Gerhard Behrendt in einem Interview in der Sendung "Kaleidoskop" vom Sender Freies Berlin 1991. "Ich hatte für die Gestaltung der Figur eigentlich nur 14 Tage Zeit", erzählt er da.
Ost- vs. West-Sandmännchen
Es musste so schnell gehen, weil die Idee eines Fernseh-Sandmännchens eigentlich aus dem damaligen Westdeutschland kam. Die Verantwortlichen des ostdeutschen Fernsehfunks hörten davon und wollten den Konkurrenten zuvorkommen. Die Gute-Nacht-Geschichten gab es schon davor im Ost-Radioprogramm, aber jetzt erhielten sie im Fernsehen eine Rahmung vom Sandmännchen, das mit kindlichem Gesicht und trotzdem weiser Anmutung den Abendgruß zu den Kindern brachte.
Das West-Sandmännchen ging neun Tage später beim Sender Freies Berlin auf Sendung, auch hier gab es einen Rahmenhandlung und eine Gute-Nacht-Geschichte. Aber es wurde nie so populär wie "Unser Sandmännchen" aus dem DDR-Fernsehen, das bis heute im rbb, MDR und Kika zu sehen ist.
"Er muss ein Spielgefährte sein, dieser Sandmann"
Die Figur des Sandmanns existiert literaturhistorisch schon sehr lange. Das Fernseh-Sandmännchen war angeregt durch die Sandmann-Figur des Schriftstellers Hans Christian Andersen, die den Kindern die Augen allerdings noch mit süßer Milch verschloss, erinnert sich Gerhard Behrendt damals im Interview.
Er hat Andersens Märchen gelesen und sich davon für die Figur inspirieren lassen, allerdings nicht von den vielen Sandmann-Zeichnungen, die es damals schon gab: "Meist waren das Sandmänner, vor denen die Kinder sich ein bisschen fürchteten", erzählt Behrendt, "die Eltern drohten auch mit dem Sandmann. Aber ich wusste: Nee, das musste ein Spielgefährte werden, dieser Sandmann."
4.500 Einzelbilder in drei Tagen
Das kindliche Gesicht, verbunden mit dem weißen Haar und Bart als Zeichen des weisen Alters, war die Idee von Behrendt, die bis heute Bestand hat. Und bis heute wird das Sandmännchen als Stop-Motion-Figur produziert, das heißt, die Figuren werden immer nur minimal bewegt und dann immer wieder abfotografiert.
Auch das hat Gerhard Behrendt zu Beginn ziemlich ins Schwitzen gebracht: "Wir mussten in drei Tagen und zwei Nächten 4.500 Einzelbilder produzieren, die beim Trickfilm für die drei Minuten gebraucht werden. Da waren natürlich einige schlaflose Nächte dabei."
"Was kleine Kinder beschäftigt, ändert sich nicht so stark"
Heute betreut Nina Paysen als Redakteurin das Sandmännchen für den rbb. Ihr ist wichtig, dass die Rahmengeschichten immer in der Kinder-Realität beginnen, "meistens kommt der Sandmann dazu, wenn die Kinder sich in einem Spielmoment befinden", sagt sie. Das sei keine totale Neuerung, aber es sei wichtig, den Kindern auf Augenhöhe in Alltagssituationen zu begegnen. So geschieht das auch im neuen, 20-minütigen Sandmännchen-Kurzfilm "Die Reise zur Traumsandmühle", der pünktlich zum 65. Jubiläum erscheint.
Das Sandmännchen trifft dort die unterschiedlichsten Kinder in einer Hochhaussiedlung, als ihm der Sack mit dem Traumsand reißt. Also begibt er sich auf eine Reise zur Traumsandmühle, auf dieser trifft er einen Jungen, der bei seiner Oma im Garten Kohl erntet oder Kinder, die mit einem Hund eislaufen. "Natürlich ist in der Ästhetik ein großer Unterschied zu erkennen", erzählt Nina Paysen, angesprochen auf das Sandmännchen damals und heute.
"Die Puppen haben jetzt andere Klamotten an als in den 70ern und 80ern, die Häuser sind ganz anders eingerichtet, da ist man natürlich immer sehr zeitgemäß. Ansonsten ist die Lebenswelt der Kinder ähnlich geblieben. Das, was kleine Kinder beschäftigt, ändert sich ja nicht so stark, insofern kann man nicht sagen, dass man so viele Dinge ganz anders macht." Und so werden auch heute noch Folgen aus den 60er Jahren ausgestrahlt.
Als das Sandmännchen die NVA besuchte und zu mittig parkte
Die Welt außenherum allerdings hat sich verändert. So gab es auch immer wieder kleine oder große Kritik am Sandmann. Nina Paysen erzählt, dass die Figur des Pittiplatsch bei den Kindern zwar sofort sehr beliebt war, für viele Erwachsene aber zu frech und anarchisch daherkam, "aber da haben sich die Kinder durchgesetzt". Überhaupt habe man sich immer dagegen entschieden, zu pädagogisch vorzugehen: "Wenn man da etwas Pädagogisches im Sandmann sehen möchte, dann eher im sozialen Miteinander. Weil man in den Gutenacht-Geschichten auch mal kleine Konflikte erzählt, zum Beispiel über 'Meins und Deins'. Oder es gibt einen Streit, der sich wieder löst. Aber ansonsten soll es eine schöne Unterhaltung sein, die einfach für die Zielgruppe angemessen ist."
Als Fernsehproduktion der DDR war der Sandmann allerdings nicht ideologiefrei. Das Berliner DDR-Museum zählt insgesamt 30 eindeutig parteiideologisch gefärbte Episoden. Bei der großen Anzahl an Folgen stellt das nur eine Minderheit dar, aber tatsächlich besuchte der Sandmann zum Beispiel mal die Grenztruppen der Nationalen Volksarmee. Auf parteipolitische Färbung angesprochen, sagte Gerhard Behrendt in einem Interview 1991: "Das gab’s schon mal und das ist auch sicherlich dadurch erklärbar, dass wir 30 von den 40 Jahren mit dem Sandmännchen durch eine andere Zeit geschritten sind. Da gab es sicher auch mal so eine kleine Färbung."
Grundsätzlich sei es eher umgekehrt gewesen: "Es gab mal eine Bemerkung, wir könnten das Sandmännchen genauso gut in der Bundesrepublik hergestellt haben, und seitdem standen wir immer unter Beobachtung und sind immer attackiert worden, wir könnten doch ein bisschen mehr für den Sozialismus tun", so Behrendt. Mit dem Sandmännchen sei man einen souveränen Weg gegangen, "der so aussieht, dass man heute sagen kann, wir sind makellos, zumindest ohne eine dichte Färbung gewesen".
Sandmännchen-DNA erhalten
Trotzdem musste das Sandmännchen immer auch wieder auf Kritik reagieren, erinnert sich Behrendt: "Das war am Anfang so, da parkte Sandmännchen beispielsweise falsch. Es fuhr zu sehr in die Mitte des Fahrdamms und behinderte dadurch den anderen Verkehr. Und es kam die Zeit, als die Vorschrift entstand, dass Zweirad-Mobile mit Scheinwerfer-Licht fahren. Wir mussten natürlich sofort reagieren und alle neuen Filme mussten diese Veränderung enthalten."
Der Sandmann hat sich also an gesellschaftlichen Entwicklungen angepasst, seine DNA aber erhalten. Das Erfolgsrezept erklärt Sandmännchen-Redakteurin Nina Paysen so, dass das gemeinsame Sandmännchen-Schauen ein gelerntes Ritual sei, das schon die Eltern und Großeltern kannten und das man seit 65 Jahren fortsetze. "Ich liebe diese Figur", sagt Paysen, "weil sie so eine Wärme ausstrahlt, man verbindet mit dem Sandmännchen so ein vertrautes, heimeliges Gefühl. Diese Figur, die nicht ganz von dieser Welt ist, mit kindlichem Gesicht aber trotzdem dem Bart und dem magischen Traumsand." Und Sandmännchen-Erfinder Gerhard Behrendt? Der sagte im Interview 1991 dazu: "Das Sandmännchen ist mutig, dreist, steuert alle möglichen Fahrzeuge, schreitet ganz wacker ins Leben, und das ist dem Kind offenbar sehr angenehm."
Das Sandmännchen verpufft nicht
Das Sandmännchen ist eine nachhaltige Erfolgsgeschichte, und die Weichen für die Zukunft sind gestellt, sagt Nina Paysen. Man wisse nie, was mit dem linearen Fernsehen passiere, aber das Sandmännchen sei mittlerweile digital sehr gut aufgestellt. Monatlich steigen die Abrufzahlen auch auf digitalen Plattformen – "lustigerweise auch dort, wo ja alles zeitunabhängig geschaut werden kann, haben wir die meisten Aufrufe zur klassischen Sandmännchen Zeit gegen 19 Uhr", erzählt Paysen. Und sie ist guter Dinge, dass das Sandmännchen "auch in 10, 20, 30 Jahren noch zu sehen sein wird. Das ist auch so schön am Sandmännchen. Man schafft etwas für die Zukunft. Wir spielen heute noch Rahmengeschichten aus den 60ern und 70ern. Das Sandmännchen verpufft nicht, wie vieles anderes, was man fürs Fernsehen produziert."
Sendung: rbb24 Inforadio, 22.11.2024, 06:55 Uhr