Archivbild: Bundeskanzler Willy BRANDT, und sein Mitarbeiter Guenter GUILLAUME, Referent fuer Parteiangelegenheiten, beim SPD-Parteitag vom 10.-14. April 1973 in Hannover. (Quelle: dpa/SVEN SIMON)

Brandenburg Berlin Interview | Historikerin Daniela Münkel über Spion-Doku: "Dieser Aufstieg Guillaumes war ein Traum, der sich zum Albtraum entwickeln sollte"

Stand: 24.04.2024 06:08 Uhr

Die ARD-Doku "Willy - Verrat am Kanzler" erzählt den Fall Willy Brandts als Kanzler und die "Agentengeschichte Guillaume" hinter diesem Fall. Neu an dieser Doku nun ist die Sicht - die der Frauen. Das sagt die Historikerin Daniela Münkel.

Bücher über Spitzel, Songs über Spitzel und Filme über Spitzel und jetzt noch eine Serie - was gibt es über Günter Guillaume noch zu erzählen, das nicht schon mal aufgewärmt wurde?
 
Daniela Münkel: Es ist richtig: Es gibt schon sehr, sehr viel über die Affäre um Günter Guillaume und den Rücktritt von Willy Brandt. Doch es sind nun neue Generationen da, die natürlich auch neue Fragen stellen, wo aber das Wissen um diese Zeit – etwa von Guillaume - nicht mehr da ist. Es sind zwei Dinge, die das Besondere dieser Dokumentation ausmachen: Zum einen ist das der Perspektivwechsel. Alle Protagonistinnen, die da zu Wort kommen, sind Frauen. Das gilt sowohl für die Zeitzeuginnen, also auch für die Expertinnen. Und zum zweiten macht diese Dokumentation sehr besonders, dass sie ganz einfach spannend ist, dass sie eben die Geschichte „Guillaume“ als Polit- und Spionagethriller erzählt.

Guillaume stieg sehr schnell auf in der SPD in der Bundesrepublik – und zwar eben mit seiner von der Stasi auch so kreierten Flucht-in-den-Westen-Geschichte. Wie gelang ihm das?
 
Guillaume siedelte 1956 auf Geheiß der Staatssicherheit mit Ehefrau und Schwiegermutter in die Bundesrepublik über. Das konnte man damals sehr gut im Strom der Flüchtlinge aus der DDR ganz unauffällig tun. Es kamen ja viele Geflüchtete aus der DDR. 1957 tritt er dann auf Befehl der Stasi in die Frankfurter SPD ein. Er macht dann eine Karriere, die ihn bis ins Kanzleramt führt. So etwas konnte die Stasi natürlich nicht planen, so etwas ist nicht planbar. Für den Chef des Auslandsnachrichtendienstes der Stasi, Markus Wolf, war dieser Aufstieg Guillaumes natürlich ein Traum, der sich später aber zum Albtraum entwickeln sollte.

Wie musste der Nachkriegs-Ost-West-Agent sein – wurde man gecastet, gab es da Muster, denen auch Guillaume entsprechen musste?
 
Typische Agenten – ja, die existierten, aber es wurden dabei ganz unterschiedliche Typen aufgebaut. Da gab es diese berühmten Romeo-Agenten, die sich an Frauen in wichtigen Positionen heranmachten, von denen sie sich versprachen, dass sie ihnen wichtige Informationen lieferten, also etwa an die berühmten Sekretärinnen von Ministern. Und es gab etwa die Perspektivagenten, die aufgebaut wurden, um hohe Positionen in Wirtschaft und Politik oder Wissenschaft einzunehmen. Guillaume hatte seit 1951 Kontakte zur Staatssicherheit der DDR. Er war solch ein Perspektivagent. Die Stasi bereitete ihn langsam auf diesen Einsatz vor. Guillaume war ein Typ, der nicht besonders auffiel und er war ein guter Organisator.

Dass die Stasi aber letztlich auf Günter Guillaume setzte, hatte damit zu tun, dass die Aufstiegschancen für Frauen in den 60er Jahren sehr begrenzt waren. Letztlich unterstützte Christel Guillaume – ganz Parteisoldatin - ihren Mann Günter Guillaume. Das Ehepaar arbeitete da Hand in Hand.

Genau, Sie sprechen im Film davon, dass die besten Agenten die Durchschnittsmenschen sind - wurde Guillaume zu diesem Spitzenagenten, weil er so durchschnittlich war?
 
Ja, Guillaume war ein Mann für den Hintergrund, dem man nicht so viel Beachtung schenkte. Deswegen bekam er auch das eine oder andere mit, das gar nicht für seine Ohren bestimmt war. Solche Typen waren ein besonderer Fall, ein Vorteil für die Stasi. Seinen Aufstieg aber – das konnte auch die Stasi nicht generalstabsmäßig planen.

Diese Konstellation einer Agentenfamilie, wo also beide, Günter Guillaume und seine Frau Christel Guillaume, im Westen in politisch wichtigen Positionen arbeiteten und spitzelten - war das von der Stasi auch so geplant oder Zufall?
 
Nein, natürlich war das kein Zufall, das war so vorgesehen. Die Bezeichnung „Agentenfamilie“ ist hier wirklich nicht schlecht. Denn nicht nur die Ehefrau sondern auch die Schwiegermutter siedelte mit über, machte in Frankfurt am Main einen Zigarrenladen auf, der den Guillaumes dann als Nachrichtenzentrale diente. Guillaumes Ehefrau Christel war von Günter Guillaume vor dem Umzug in den Westen eingeweiht worden in seine Tätigkeit für die Stasi. Und sie erklärte sich dann auch bereit, für das MfS zu arbeiten und mit ihm in die Bundesrepublik überzusiedeln. Sie war dann zunächst auch die Erfolgversprechendere für das MfS, weil sie sehr schnell Karriere machte und weil diese Karriere sie dann 1964 in die hessische Staatskanzlei führte. Dass die Stasi aber letztlich auf Günter Guillaume setzte, hatte damit zu tun, dass die Aufstiegschancen für Frauen in den 60er Jahren sehr begrenzt waren. Letztlich unterstützte Christel Guillaume – ganz Parteisoldatin - ihren Mann Günter Guillaume. Das Ehepaar arbeitete da Hand in Hand.

Sie sind Historikerin. Was aber denken Sie über die Dramaturgie der Dokumentationsserie. Sie beginnt mit dem Ende der Story: der Enttarnung von Christel und Günter Guillaume durch einen Glückwunsch der Stasi-Vorgesetzten anlässlich der Geburt ihres Sohns. Ist das Fiktion oder auch die wirkliche Geschichte: Verrat oder Aufdeckung durch eine menschliche Geste?

 
Ich finde die Dramaturgie der Dokumentationsserie gelungen. Sie fängt mit der Enttarnung Guillaumes an und erzählt dann die Geschichte von Beginn an. Der Anfang macht neugierig darauf, wie es dazu kam. Aber: Die Enttarnung passierte ja nicht nur auf der Grundlage des zitierten Glückwunsch-Funkspruchs nach der Geburt des Sohnes, aber ja: Der Funkspruch spiele eine Rolle. Insgesamt allerdings war die Enttarnung ein Zufall - aus Hinweisen auf Guillaume aus einem anderen Fall. Der Skandal aber ist, dass diese Hinweise noch nicht aufgefallen waren bei der Einstellung im Kanzleramt. Ein Totalversagen der Sicherheitsbehörden – also auch des Verfassungsschutzes.

"Vertrauen missbraucht" - so lautete der Vorwurf gegen Guillaume von Brandt, als er zurücktrat. Aber: Kann man den nicht auch als so eine Art Männerlob für die bewundernswürdige Kriegführung eines Spitzels des Gegners sehen?
 
Nein, das kann man auf keinen Fall als eine Art Männerlob betrachten. Für beide Seiten war der Fall Guillaume eine Art Supergau: Für die Bundesregierung war es mehr als peinlich, dass es der DDR gelungen war, einen Spion im Kanzleramt zu installieren. Und für die DDR war es misslich, weil man dort eben nun befürchten musste, dass unter einem neuen Bundeskanzler Helmut Schmidt die Entspannungspolitik, die der DDR ihre langersehnte Anerkennung gebracht hatte, nicht fortgeführt werden könnte. – "Misslich" sage ich? - Nein, das ist zu sanft, eindeutig ein Supergau für beide Seiten.

Für beide Seiten war der Fall Guillaume eine Art Supergau.

Eine große Rolle spielen in der Guillaume-Geschichte immer wieder Symbole und Ereignisse - also die deutsche Teilung, die Mauer in Guillaumes Heimatstadt Berlin, die atomare Hochrüstung, der Wettlauf im Weltraum - all das konnte ein einzelner Agent - wie es schien - wenn nicht direkt bestimmen, so aber vielleicht doch beeinflussen?
 
Naja, Guillaume war für die Stasi, was seine Informationslieferungen anbetraf, eher ein mittelmäßiger Agent. Die Informationslieferungen Guillaumes wurden – wie andere auch - immer bewertet, und diese Bewertungen lagen eher im Mittelfeld. In der Regel kam er in seinen Positionen auch nicht an geheimes Material. Dennoch war eben Guillaume als "Mann im Kanzleramt" ein großer Gewinn für die Stasi, weil er eine Art Seismograph war. Er hörte oft, was er nicht hören sollte und er bekam Stimmungen mit.

"Partisan des Friedens" sagte Guillaume über sich. War er das oder war er eher ein Verräter, der seine Hinterhältigkeit später aufwerten wollte?
 
Das lässt sich leicht auflösen: Die Agenten im Westen hießen für die Staatssicherheit alle "Kundschafter des Friedens". "Partisan des Friedens" war also eine Abwandlung dieser Zuschreibung. Und beides waren Floskeln – dienstliche Floskeln. Guillaume erklärte, zerrissen gewesen zu sein zwischen seiner Tätigkeit für die Stasi und seiner Arbeit für Brandt. Aber am Ende lag bei ihm die Loyalität klar bei der Staatsicherheit.

Sehr schnell aber – eben gleich als die Ermittler des BND Guillaume abholten – wies er sich aus als Mitarbeiter der Staatssicherheit der DDR. Warum sagte er das, warum lieferte er sofort dieses Geständnis – und eigentlich wohl ohne Not, denn viel hatte der BND gegen ihn doch nicht in der Hand?
 
Warum er sich sofort offenbart hat, weiß nur er. Die Staatssicherheit war über Guillaumes Sofortgeständnis auch ziemlich entsetzt, weil er sich – ja- "ohne Not" enttarnt hatte. Wenn er sich sofort offenbarte, weil er diese Enttarnung erwartete, hätte er eigentlich andere Möglichkeiten gehabt. Die Staatssicherheit hätte Guillaume dort sehr schnell rausbringen können.

Spannung für den Zuschauer liefert dieser Blick auf ein längst vergangenes Kapitel Agentengeschichte, aber was kann vielleicht auch die Politik aus dieser Geschichte mitnehmen?
 
Für die Politik – das muss man gerade jetzt betonen – ist es wichtig, dass man verlässliche Sicherheitsbehörden hat. Der eigentliche Skandal war damals das Versagen dieser Sicherheitsbehörden. Angesichts der aktuellen russischen Agentenaktivitäten in der Bundesrepublik, die ja sehr an die Zeiten des Kalten Krieges erinnern, ist das nun umso wichtiger. Damals aber ist ziemlich viel oder fast einfach alles schief gegangen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Stefan Ruwoldt.

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