Brandenburg Berlin Interview | Fachgemeinschaft Bau: "Der Spagat zwischen Brandenburgischer und Berliner Bauordnung wird immer größer"
Nicht nur die hohen Materialpreise machen dem Baugewerbe zu schaffen. Bürokratische Hürden und strenge Nachweispflichten erschweren die Arbeit der Bauwirtschaft und führen zu Zurückhaltung, sagt die Geschäftsführerin der Fachgemeinschaft Bau.
rbb|24: Frau Urbanczyk-Siwek, das Baugewerbe steckt nach Einschätzung von Experten und Verbänden seit einigen Jahren tief in der Krise. Wie ist die Lage im laufenden Jahr?
Urbanczyk-Siwek: Im Herbst 2024 hat sich die Lage für das Bauhandwerk sowohl in Berlin als auch in Brandenburg weiterhin verschlechtert. Selbst in den Zeiten der Coronapandemie war die Geschäftslage deutlich besser als aktuell. Und das belegen auch die Zahlen des Statistischen Landesamtes.
Wir haben jetzt bei den Baugenehmigungen im Wohnungsbau innerhalb der vergangenen zwei Jahre einen Rückgang von 50 Prozent in Berlin und 65 Prozent in Brandenburg und auch bei der Sanierung von Gebäuden vermerken wir einen Rückgang von 20 Prozent in beiden Bundesländern in den letzten beiden Jahren.
Woran liegt das?
Das sind zu einem die Materialpreise, die Kostensteigerungen durch bürokratische Hemmnisse und überzogene Standards. Wir haben zu wenig Bewegung in der Förderung für das effiziente Bauen. Auch nach wie vor mangelnde Leistungfähigkeit der Behörden und der öffentlichen Kassen, die natürlich dazu führen, dass wenig ausgeschrieben wird, was öffentlichen Investitionen angeht. Und nach wie vor Fachkräftemangel.
Das sind die Hauptgründe, die unsere Mitgliedsunternehmen in unserer Konjunkturumfrage angegeben haben. Die Geschäftsaussichten für das kommende Jahr sind auch nicht optimistisch. Die Situation dauert seit zwei Jahren an und wir gehen davon aus, dass es auch im kommenden Jahr keine Verbesserung geben wird.
Sie erwähnten die fehlende Förderung. Die Förderprogramme des Bundes für Wohnungsbau sollen laut Bauministerin Klara Geywitz (SPD) weiterlaufen. Wird der fehlende Haushalt 2025 dennoch die Bauwirtschaft beeinflussen?
Natürlich ist das ein großes Problem. Wenn ich die globale Situation beobachte, stimmt uns das dann natürlich auch nicht optimistisch. Denn nach der Bundestagswahl ist es fraglich, ob die neue Bundesregierung tatsächlich die Förderprogramme noch vor der parlamentarischen Sommerpause verabschieden kann. Manche Förderprogramme laufen zwar weiter, die für effizienter Bauen allerdings nicht oder nicht in dem Maße, in dem es gebraucht wird. Das heißt im Klartext, dass wir frühestens im September 2025, wenn überhaupt, mit den Förderprogrammen rechnen können.
Auch der Bürokratieabbau beschäftigt die Branche. Es gibt bereits eine große Debatte über eine Vereinfachung des Heizungsbaugesetzes. Würde das dem Baugewerbe helfen?
Das eine ist das Heizungsgesetz, aber wir haben in Berlin wie auch in Brandenburg eine lange Liste weiterer Schwierigkeiten, was die Bürokratie angeht. Die Genehmigungen in Berlin und Brandenburg dauern nach wie vor viel zu lange.
Wir haben auch keine einheitliche Bearbeitung von Anträgen, die Nachweisforderungen sind unersichtlich und statt einer Synchronisierung in der Wirtschaftsregierung Berlins und Brandenburgs wird der Spagat zwischen den Berliner und Brandenburgischen Bauordnungen immer größer.
In Berlin haben wir die Solarpflicht mit der Dachbegrünungspflicht und das haben wir in Brandenburg zum Beispiel nicht. In Brandenburg wiederum haben wir einen Erschütterungsnachweis. Das haben wir in Berlin nicht.
Wir haben in Berlin ab 2025 die Pflicht, bei allen Neubauten drei Viertel der Wohnungen barrierefrei zu erreichten. Die Datengrundlage dazu fehlt und wissenschaftliche Berechnungen haben bewiesen, dass 50 Prozent Barrierefreiheit bei Neubau nicht nur ausreichend, sondern sogar über den maximalen Bedarf geht. Das haben wir in Brandenburg auch nicht.
Oder öffentlichen Ausschreibungen, die 100 Seiten lang sind und wovon dann nur 17 oder 20 Seiten ein Leistungsverzeichnis ist und der Rest Nachweispflichten, die sowieso keiner imstande ist, nachzuprüfen. Deswegen auch die Aussage unserer Mitgliedsunternehmen, dass sie sich kaum an den öffentlichen Ausschreibungen beteiligen.
Sie bemängeln, dass ein Bebauungsplanverfahren in Berlin aktuell zwischen fünf und acht Jahren dauert und führen zum Vergleich Hamburg auf, wo im Schnitt nur eineinhalb Jahre benötigt werden. Woran liegt das?
Wir haben uns auch gefragt, wie das möglich ist, so einen Unterschied zu schaffen.
Und die klare Antwort war: In Hamburg wurden Bearbeitungsfristen eingeführt und man hat die Prozesse durchdigitalisiert. Das war auch eine unserer Forderungen an das Schneller-Bauen-Gesetz, dass wir Vergabe und Verwaltung digitalisieren müssen. Das ist natürlich nichts Neues, darüber spricht man seit mehreren Jahren.
Das wurde vom Regierenden Bürgermeister Kai Wegner zur Chefsache erklärt. Aber wenn man die Pressemitteilungen verfolgt, dann sieht man, dass 50 Millionen aus diesem Bereich gestrichen werden sollen. Und das war eines der größten Themen in dem Entwurf des Schneller-Bauen-Gesetzes.
In einem Interview mit der Fachgemeinschaft-Bau von Anfang des Jahres prognostizierte ihr Verband, dass eventuell viele Beschäftigte auf dem Bau Mitte des Jahres entlassen werden könnten. Die Zahlen geben das noch nicht her. Wird das eintreten?
Aus unserer letzten Umfrage haben wir keinen Stellenabbau feststellen können, aber das wird eintreten, ohne Frage. Das hat aber zwei Gründe. Einer ist die Frage, wie gut ausgelastet die Firmen sein werden.
Aber wir haben auch ein anderes Problem. 60 Prozent unserer Mitgliedsunternehmen haben Beschäftigte, die über 50 Jahre alt sind. Das heißt, sie werden demnächst in Rente gehen. Auf dem Bau gehen die Leute mit 60 spätestens auch in die Rente. Das ist dadurch verursacht, dass es ein harter Job ist und das sind eben die Altersgrenzen, die wir haben.
Gleichzeitig haben wir 150 offene betriebliche Lehrstellen in Berlin und 300 in Brandenburg.
Unsere Mitgliedsunternehmen haben die Krux erkannt und schon vor ein paar Jahren ist der Trend bei unseren Mitgliedsunternehmen, dass sie ausbilden und ausbilden wollen.
Experten sehen eine Trendwende beim deutschen Wohnungsbau frühestens im späteren Jahresverlauf 2025, weil dann der Leitzins deutlich gesenkt werden solle. Reicht das oder ist das schon zu spät?
Was heißt reicht? Wie Sie wissen, haben wir jetzt schon einen Mangel an Wohnungen in Berlin. Es war ja ausgerechnet, dass wir 20.000 Wohnungen im Jahr bauen sollen, damit wir den Bedarf decken können. Wir haben vergangenes Jahr 16.000 gebaut, die Zahlen für dieses Jahr liegen noch nicht vor, aber wir sehen, dass der Bedarf nicht gedeckt wird und natürlich: Je später sich die Situation verbessert, umso schlimmer ist die Wohnungslage in Berlin.
Kai Wegner wünscht sich, dass in Berlin deutlich mehr Hochhäuser entstehen als bislang. Werden die Baukosten denn dadurch nicht noch höher?
Wie stark die Kostensteigerung sein wird, kann ich Ihnen nicht sagen, aber es liegt auf der Hand, dass wir in Berlin nicht mehr in der Breite gehen können. Wir sind umzäunt durch Brandenburg und es fehlen auch Flächen. Deswegen ist Lückenbau und Dachgeschossbau die Lösung für Berlin.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Efthymis Angeloudis
Sendung: rbb24 Inforadio, 13:35 Uhr, 26.11.2024