Symbolbild: Eine Frau macht eine Abwehrbewegung mit ihrer Hand am 21.07.2016. (Quelle: IMAGO/Zoonar.com/Axel Bueckert)

Berlin Gewaltschutzambulanz Charité: "Das Hauptverletzungsmuster ist stumpfe Gewalt"

Stand: 25.11.2024 06:08 Uhr

Larissa Amadasi sieht in der Gewaltschutzambulanz der Charité in Berlin täglich die Folgen häuslicher Gewalt - die Opfer sind zumeist weiblich. Was sie und ihr Team tun, um sie zu unterstützen, erzählt die Rechtsmedizinerin im Interview.

rbb: Frau Amadasi, es ist eine extreme Hürde, in die Gewaltschutzambulanz der Charité zu finden. Ich musste durch drei oder vier Türen gehen und dann noch abgeholt werden. Mit jeder Tür steigt doch eigentlich für Hilfesuchende das Schamgefühl, hier anzukommen und zu sprechen.
 
Larissa Amadasi: Spannend, dass Sie das so bewerten. Man kann es auch von der anderen Seite sehen: Es ist ein enorm geschützter Bereich hier. Mit jeder Tür, die Sie durchschreiten, gehen Sie ein Stück mehr in einen total sicheren Raum. Die Personen kommen mit einer Gewalterfahrung hierher, im Zweifel haben sie Angst, dass der Mensch, der ihnen das angetan hat, ihnen gefolgt ist.

Was ist die Voraussetzung, damit Sie tätig werden können?
 
Grundsätzlich ist die Gewaltschutzambulanz die zentrale Anlaufstelle für Gewaltopfer in Berlin. Wir bieten eine rechtssichere Verletzungsdokumentation an [Anm.d.Red. "rechtssicher" bedeutet, die Dokumentation der Verletzung hat vor Gericht Bestand]. Aber es ist Voraussetzung, dass eine sichtbare Verletzung vorliegt.
 
Wir haben dennoch sehr viele Personen, die hier anrufen und keine sichtbaren Verletzungen mehr haben oder keine sichtbaren Verletzungen durch diese Handlung davongetragen haben. Auch denen können wir natürlich weiterhelfen, indem wir beraten und ihnen nach ihrem Bedarf andere Berliner Hilfsorganisationen an die Hand geben.

Wie diskret ist es, wenn Betroffene sich hier an die Stelle wenden? Es darf ja eigentlich niemand von diesem Termin erfahren.
 
Die Betroffenen müssen lediglich einen Personalausweis beziehungsweise Reisepass oder ein ähnliches Dokument zur Identifizierung vorweisen. Wir brauchen keine Krankenkassenkarte, keine anderweitigen Informationen. Unser System ist auch nicht an das System der Charité angeschlossen.

Was passiert mit der Dokumentation?
 
Die Patient:innen bekommen sie nach Hause geschickt, wenn sie möchten. Mit dem Ziel, sie zum Beispiel der Polizei vorzulegen, wenn polizeiliche Anzeige erstattet wurde oder sie in ein Strafverfahren mitzunehmen, sie ihrem Rechtsanwalt vorzulegen.

Symbolbild:Die Silhouette einer Frau, die aus dem Fenster schaut.(Quelle:imago images/Zoonar/M.Kastelic)
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In Fällen häuslicher Gewalt ist meistens der Partner der Täter. Wie kann verhindert werden, dass er den Brief entdeckt?
 
Wenn der Partner potenziell Zugang zum Briefkasten hat, lagern wir die Sachen hier, dann können die hier abgerufen werden. Nach einer Schweigepflichtsentbindung können wir es auch direkt an den Rechtsanwalt oder an die Polizei senden.

Welche Verletzungen bekommen Sie hier zu sehen?
 
Das Hauptverletzungsmuster ist stumpfe Gewalt, wie wir Rechtsmediziner sagen, also der blaue Fleck. Das ist das, was wir am häufigsten sehen, natürlich in ganz verschiedenen Ausprägungen. Dabei spielt für uns keine Rolle, ob die Person "lediglich" einen blauen Fleck, zum Beispiel an der Hand hat oder wirklich - überspitzt gesagt - grün und blau geprügelt vorstellig wird.
 
Wir dokumentieren alles, wir werten nicht, wir verurteilen keine Person, die erst nach der fünften Gewalterfahrungzu uns kommt. Im Gegenteil: Wir versuchen, die Person bestmöglich aufzufangen, abzuholen und dann auch entsprechend weiter zu vermitteln.

In welcher Situation sind die Frauen, wenn sie hier anrufen?
 
Das ist ein breites Spektrum. Wir haben Personen, die erstmalig in einer Partnerschaft häusliche Gewalt erfahren und sofort sagen: Halt, da grenze ich mich klar ab, das geht für mich nicht, ich möchte die Verletzung dokumentiert haben. Unabhängig davon, ob ich Anzeige erstatte.
 
Viele kommen auf Anraten der Polizei, nachdem Anzeige erstattet wurde, damit die Verletzungen zu diesem Vorfall rechtssicher dokumentiert werden.
 
Wir haben aber auch Personen, die völlig aufgelöst sind und gar nicht mehr weiterwissen und sagen, ich muss raus aus dieser Situation, ich kann nicht wieder zurück, Sie müssen mir bitte weiterhelfen. Da können wir gemeinsam schauen, dass wir Plätze in Berliner Frauenhäusern finden.

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Was erzählen Ihnen die Patient:innen über die Vorgeschichte, die in den Beziehungen und Partnerschaften passiert ist?
 
Diesen Punkt fragen wir nicht ab, denn wir sind nur Rechtsmediziner, wir haben keine fundierte psychologische Ausbildung. Uns geht es primär darum, wie es zu diesen Verletzungen gekommen ist. Doch natürlich haben Personen auch Redebedarf, da würden wir nicht unterbrechen. Aber wenn uns jemand tiefgreifend etwas erzählt, sind wir nicht die richtigen Ansprechpartner. Wir können jedoch super an entsprechende Organisationen hier in Berlin verweisen.

Was können Sie tun, wenn Sie merken, da ist Gefahr im Verzug.
 
Wenn die Person aufgelöst hier ankommt und entsprechende Verletzungen aufweist, also Würgemale zum Beispiel, Zeichen eines Angriffs gegen den Hals, der häufig mit einer Todesangst einhergeht … wenn diese Person sagt: Wenn ich nach Hause komme, wird der mich umbringen, dann können wir zum Beispiel eine Schutzeinweisung "Aufnahme im Krankenhaus" initiieren oder im besten Fall direkt einen Platz im Frauenhaus organisieren, damit man die Frau nicht nach Hause entlässt.

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Es gibt die Wegweisung, nach der die Polizei den Gewalttäter bis zu 14 Tage lang der Wohnung verweisen und Kontakt zum Opfer verbieten kann. Klappt das nach Ihrer Beobachtung?
 
Zahlen kann ich Ihnen nicht nennen, aber rein subjektiv ist es gar nicht so selten, dass Frauen mir zum Beispiel ihre polizeiliche Anzeige zeigen, auf der steht dann etwa: Wegweisung bis in zwei Wochen. Und sie berichten, dass in den letzten zwei Tagen Angriffe durch den Ex Partner erfolgt sind.

Gibt es Fälle, in denen Sie nicht helfen können?
 
Das Problem ist, wenn die Person hier rausgeht und sagt: Ich möchte die Verletzung dokumentiert haben, aber ich brauche keinen Platz im Frauenhaus, ich muss wieder zurück zu meinem Partner, zu meiner Familie. Dann kann man mit der Person darüber sprechen, aber es gibt zahlreiche Fälle, wo das keine Früchte trägt. Und wenn keine akute Lebensgefahr aus dem zu lesen ist, was die Patientin mir erzählt hat, darf ich als Ärztin nichts machen. Ich unterliege der ärztlichen Schweigepflicht. Dann müssen wir die Patientin ziehen lassen. Das ist manchmal schwer.

Es gibt hohe Zahlen häuslicher Gewalt – meistens von Männern gegenüber Frauen. Macht sich bei Ihnen ein Anstieg der Anfrage bemerkbar?
 
Aktuelle Zahlen aus diesem Jahr habe ich noch nicht, aber aus dem letzten Jahr. Wir sind auf einem Rekordhoch an Kontakten, also Personen, die die Gewaltschutzambulanz kontaktiert haben - telefonisch, per E-Mail oder persönlich. Es waren mehr als 1.700 Kontakte. Das ist enorm viel.
 
Ich habe das Gefühl, dass sich Personen eher trauen, herzukommen. Im Anfangsstadium vielleicht mit einer gewissen Unbehaglichkeit oder auch die, die sich entschuldigen, zum Beispiel, weil sie “nur” einen blauen Fleck haben. Aber da steht im Zweifel ganz viel dahinter, man muss nicht grün und blau geprügelt hier ankommen. Ich möchte jede Person ermutigen, die sich hilfesuchend fühlt und glaubt, dass diese Verletzungsdokumentation jetzt der richtige Schritt ist, sich bitte hier vorzustellen.

Wissen Sie von Fällen, in denen die Gewaltspirale durch Ihre Arbeit durchbrochen wurde?
 
Ja. Wir dokumentieren für das Gericht. Im Nachgang werden wir dann als Sachverständige für das entsprechende Gerichtsverfahren geladen - wenn es denn dazu kommt. Und da merken wir natürlich: OK, in diesem Fall hat das Ganze wirklich Früchte getragen.

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Merken Sie, dass es etwas in den Frauen auslöst, hier in einem geschützten Raum alles erzählen zu können? Setzt da ein Prozess ein?
 
Am Anfang möchten viele eine Fassade aufrechterhalten, weil sie das vielleicht auch nicht so nah an sich ranlassen wollen. Aber wenn sie dann merken, wie geschützt der Raum ist, wie verständnisvoll das Personal hier den Personen entgegentritt und dass wir wirklich Hilfe anbieten können – da erlebt man manchmal, wie plötzlich alles abfällt und die Tränen fließen. Viele entschuldigen sich und sagen: Oh Gott, ich habe mir vorgenommen nicht zu weinen. Für diesen Fall haben wir natürlich Taschentücher in den Untersuchungsräumen liegen.
 
Das macht manchmal viel im Kopf, wenn sie merken: OK, das ist vielleicht doch nicht normal, dass ich von meinem Partner tagtäglich Gewalt erfahre. Oder auch: Es geht nicht nur mir so und es gibt Hilfsmöglichkeiten.
 
Wir haben oft das Gefühl, dass wir im Laufe dieses kurzen Besuchs hier etwas verändern können.
 
Vielen Dank für das Gespräch.
 
Das Interview führte Bruno Dietel, Radio Fritz.

Sendung: Radio Fritz, 20.11.2024, 12:30 Uhr