Hertha-Ulm (Imago/mix1)

Berlin Analyse | Hertha spielt Unentschieden gegen Ulm: Zu viel Kür, zu wenig Pflicht

Stand: 23.11.2024 21:33 Uhr

Nach zwei Niederlagen in Folge wollte Hertha gegen den Tabellenvorletzten Ulm unbedingt gewinnen. Das Unentschieden offenbart: Die Berliner müssen Grundlagenforschung betreiben. Von Toni Lukic

"Zu viele Fehler in den einfachen Dingen", lautete Cristian Fiéls schmallippiges Fazit nach dem für Hertha BSC enttäuschenden 2:2 gegen den Tabellenvorletzten SSV Ulm. Was Fiél meint, sind falsche Entscheidungen im letzten Spieldrittel, schlechtes Abwehrverhalten, zu frühes oder gar kein Rauslaufen bei den Gegentoren. Dabei sind es Grundlagen, die Mannschaften in der zweiten Liga bestehen lassen: Ein sicherer Torwart, eine kompromisslose Verteidigung und jemand, der vorne die Dinger macht.

Berlins Ibrahim Maza trifft zum 1:0. (Bild: IMAGO / Matthias Koch)
Anfällige Hertha verpasst Heimsieg gegen Ulm
Hertha BSC hat gegen Aufsteiger SSV Ulm den ersehnten Heimsieg verpasst. Zweimal führte die Elf von Christian Fiél, zweimal glich der Gast aus. Der genesene Hoffnungsträger Fabian Reese verfolgte das 2:2 nur von der Tribüne.mehr

25 Jahre nach dem Nebelspiel gibt Hertha Rätsel auf

Hertha hat diese Basics aktuell nicht. Die begnadeten Kicker können stattdessen alles andere: Den Ball von Tjark Ernst mit fünf Kontakten bis an den gegnerischen Strafraum fließen lassen, um dann in die Füße der Verteidiger zu flanken. Die gegnerischen Verteidiger mit Wahnsinn-Tempo überlaufen und den Ball ins Aus zu vertändeln. Ein Doppelpass im gegnerischen Sechzehner samt Hackentrick, an dessen Ende ein Fehlschuss resultiert. Die Alte Dame kann Kür, nicht aber die Pflicht.
 
Dennoch war alles angerichtet für einen grandiosen Fußballnachmittag. An diesem Tag jährt sich das legendäre Nebel-Spiel gegen den FC Barcelona in der Champions League zum 25. Mal. Dafür wurden Trainer Jürgen Röber und einige Spieler geehrt. Übrigens spielten im Dezember einige Wochen später Hertha und Ulm zum bisher letzten Mal in Berlin gegeneinander. 3:0 gewannen die Berliner damals. Dazu liefen die Teams in sehr ähnlichen Trikotsätzen wie 1999 auf. Was sollte da schief gehen?

Hertha vs. Ulm früher vs. heute (Imago/Camera4;Andreas Gora)

Hertha gegen Ulm: 2024 und 1999

Die Ostkurve rollte vor Anpfiff ein Plakat mit den Worten "Ein anderer Fußball bleibt möglich!" Eine Anspielung auf die Wahl des Präsidenten Fabian Drescher, der den von Kay Bernstein eingeschlagenen "Berliner Weg" fortführen will. Für den möglichen Startschuss einer auch sportlich erfolgreichen Präsidentschaft Dreschers kam der Gegner wie gerufen: Ulm brachte es in den vorangegangenen vier Spielen zu einem einzigen Tor. Die "Spatzen" spielten vor zwei Jahren noch in der Regionalliga, zehn Spieler aus dem damaligen Kader sind heute noch dabei. Die Zweite Liga und die Kulisse im Olympiastadion könnte eine Nummer zu groß sein, so die insgeheime Hoffnung der Hertha-Fans.

Ulm kommt über einen zweiten Ball zum Erfolg

Hertha hatte wegen der Länderspielpause zwei Wochen Zeit, nach den Niederlagen gegen Köln und Darmstadt die Wut im Bauch gären zu lassen. Und so startete das Team auch. Ibo Mazas Gewaltschuss aus gut 30 Metern deutete an: Heute soll es auch ein Sieg des Willens werden.
 
Die Blau-Weißen kombinierten sich in der Folge geschmeidig über den Platz. Im Aufbauspiel zog Innenverteidiger Pascal Klemens ins Mittelfeld hoch und initiierte mit Kevin Sessa Angriff um Angriff. Doch immer wenn es darum ging, den entscheidenden letzten Pass zu setzen, scheiterten die Berliner. Ulm wachte auf, gewann die zweiten Bälle und kam durch einen abgefälschten Ball zum Ausgleich. Da sah die Herthaner Hintermannschaft schon schlecht aus.

Hertha-Präsident Fabian Drescher (imago images/Daniel Lakomski)
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Der VAR verhindert Herthas Sieg

Die zweite Hälfte begann wie die erste. Die Donauschwaben starteten schläfrig, Hertha kam entschlossen raus und schnell zur erneuten Führung. Beim 2:1 stimmte die Strafraumbesetzung und so kam Scherhant mit dem Glück des Tüchtigen per Abstauber zum Tor. Doch wieder ließen die Berliner den Gegner ins Spiel zurückfinden. Ein Pressschlag landete bei Krattenmacher, der dank Berliner Geleitschutz bis an den Strafraum spazieren durfte und den Ball platziert ins Tor schob.
 
Wieder bäumten sich die Blau-Weißen auf, erzielten durch den ansonsten eher ineffektiven Cuisance den Siegtreffer. Doch der VAR wollte zuvor ein Foulspiel des Franzosen gesehen haben. Es ist der Höhepunkt eines absolut gebrauchten Nachmittags für Hertha.
 
Wollen die Berliner aufsteigen, dann dürfen zwei Führungen gegen einen offensiv so limitierten Aufsteiger nicht abgegeben werden. Die Niederlage gegen Köln konnte noch mit der Qualität des Gegners erklärt werden. In Darmstadt traf man auf das heißeste Team der Liga und die zweifelhafte Entscheidung eines Videoschiedsrichters. Dieses Unentschieden aber gegen den Tabellenvorletzten können sich Fiel und seine Mannschaft eigentlich nicht leisten.

Mehr Fragen als Antworten

Und es wirft einige Fragen auf: Was ist bei Tjark Ernst los? Der 21-Jährige war ein großer Unsicherheitsfaktor und spielt grundsätzlich nicht seine beste Saison. Was passiert mit der rechten Außenbahn? Marten Winkler scheint sich schwerer verletzt zu haben und auch Palko Dardai war keine Belebung fürs Spiel. Braucht es einen echten Zielspieler vorne im Sturm? Und muss man sich über die vielen Gegentore wundern, wenn man sechs Offensiv-Spieler und zwei offensiv denkende Außenverteidiger starten lässt?

Die Hoffnung bleibt, dass, wenn Fabian Reese und die anderen Verletzten zurückkehren und der Fiél-Ball implementiert wird, Hertha so richtig ins Rollen kommt. Der Kader hat das Potenzial an einem guten Tag den Gegnern vier oder fünf Tore reinzudrücken. Aber: Wenn die Pässe nicht präzise in den Fuß kommen oder Ibo Maza mal eine irdische Leistung zeigt, dann hat Hertha ein großes Problem. Die Mannschaft hat nicht das kompakte Grundgerüst, um dann eine Niederlage zu verhindern und vielleicht sogar ein schmeichelhaftes 1:0 zu schaffen.

Vielleicht braucht es Verstärkungen im Winter

Stattdessen müssen sich die Hertha-Verantwortlichen fragen, inwieweit sie in der Winterpause nochmal in den Kader investieren wollen und können, angesichts der immernoch angespannten finanziellen Lage. Denn sollte am Ende der Saison der Aufstieg verpasst werden, dürften Stars wie Maza und Reese weg sein. Schafft man die Rückkehr in die Bundesliga, dann könnte man vielleicht beide entweder halten oder sie zumindest deutlich teurer verkaufen.
 
Bis zum Start des Wintertransferfensters sind es noch drei Liga-Spiele. Will man nicht wie vergangene Saison den Aufstiegskandidaten hinterher rennen, dann sollten wohl mindestens sechs Punkte her.

Sendung: rbb UM6, 23.11.2024, 18:00 Uhr