Baden-Württemberg Weniger Bänke im Wald: Veränderte Haftung "nur weil ich mich auf eine Bank setze"
Kommunen in Baden-Württemberg wollen Sitzbänke im Wald teilweise abbauen - Erhalt und Sicherung sind zu teuer. Das Problem: die Haftung ändert sich, sobald man sich setzt.
Die Gemeinde Schömberg (Kreis Calw) will 60 von 400 Bänken im Wald abbauen. Hintergrund sind die hohen Kosten für die Sicherung rund um die Bank - und vor allem darüber. Denn herabstürzende Zweige und Äste sind Gefahrenquellen. Gemeinden, die Wald besitzen, haben ebenso wie die Länder, der Bund oder Privatpersonen, eine sogenannte Verkehrssicherungspflicht. Sie müssen dafür sorgen, dass Gefahren abgewehrt werden.
Es sind aber nicht nur die Bänke, die gesichert werden müssen - überall dort, wo der Wald an öffentliche Straßen oder Siedlungen grenzt, sind Waldbesitzerinnen und -besitzer für die Verkehrssicherheit verantwortlich. Auch Parkplätze oder Brücken fallen darunter. "Man schüttelt den Kopf über solche Regelungen", sagt Jerg Hilt von der Forstkammer Baden-Württemberg, die die Interessen der Waldbesitzenden vertritt. "Aber wenn was passiert, ist sofort die Frage da: Wer ist schuld?" Durch den Klimawandel und lange Dürrephasen komme es vermehrt zu Schäden am Baumbestand, erklärt Hilt. "Die Frage ist, wer trägt die Lasten, die daraus entstehen?"
- Was bedeutet die Verkehrssicherungpflicht in Wäldern in BW?
- Was sind waldtypische Gefahren?
- Was sind atypische Gefahren?
- Welche Bereiche betrifft die Verkehrssicherungspflicht noch?
- Haftet grundsätzlich der Waldbesitzer?
- Warum ist die Verkehrssicherungspflicht so ein großes Thema?
- Was wird kontrolliert und wie oft?
- Können pragmatische Lösungen helfen?
Was bedeutet die Verkehrssicherungpflicht in Wäldern in BW?
Die Verkehrssicherungspflicht verpflichtet diejenigen, die eine Gefahrenquelle schaffen, auch "notwendige und zumutbare Vorkehrungen" zu treffen, damit niemand zu Schaden kommt. Tun sie das nicht und jemand nimmt Schaden, sind sie nach dem Schadenersatzrecht haftbar. Allerdings sind Waldbesitzer nicht für jede Gefahr im Wald verantwortlich, Die Rechtsprechung unterscheidet hier zwischen waldtypischen und atypischen Gefahren.
Was sind waldtypische Gefahren?
Der Bundesgerichtshof hat 2012 entschieden, dass Waldbesitzer nicht für Verletzungen durch waldtypische Gefahren haften müssen. Herunterfallende Äste, umfallende Bäume oder Bodenunebenheiten sind solche waldtypischen Gefahren. Schon seit dem Gesetzentwurf zum Bundeswaldgesetz von 1973 gilt, dass jeder Mensch den Wald auf eigene Gefahr betreten darf, heißt es vom Landwirtschaftsministerium Baden-Württemberg. 2010 kam der Zusatz, "dies insbesondere für waldtypische Gefahren gilt" dazu. Die Haftungserleichterung gilt allerdings nur für Wälder und unterscheidet sich von den Maßstäben für Grundstücke in Städten oder Dörfern.
Was sind atypische Gefahren?
Bei atypischen Gefahren sieht das anders aus - hier haftet der Waldbesitzer. Zu atypischen Gefahren gehören Dinge, die normalerweise nicht im Wald anzutreffen wären, wie Schranken, Geländer, Brücken, Parkplätze, gespannte Ketten, nicht gesicherte Holzstapel, Kunstwerke - und eben Sitzbänke. Damit wird ein neuer "Verkehr" geschaffen und Waldeigentümer und -eigentümerinnen müssen daher dafür sorgen, dass diese Gefahrenquellen gesichert werden.
Es will ja niemand, dass jemand im eigenen Wald zu Schaden kommt. Jerg Hilt, Geschäftsführer der Forstkammer BW
Welche Bereiche betrifft die Verkehrssicherungspflicht noch?
Die Verkehrssicherungspflicht betrifft Bereiche, "in denen ein besonderer Publikumsverkehr eröffnet wird und berechtigte Sicherheitserwartungen des Verkehrs bestehen", heißt es in einer Stellungnahme des Landwirtschaftsministeriums. Das können unter anderem Spielplätze, Wildgehege oder Grillhütten sein, aber auch Waldkindergärten und Waldschulen.
Haftet grundsätzlich der Waldbesitzer?
Wer haftet, hängt davon ab, wem der Wald gehört beziehungsweise, wer die Bank oder eben die Gefahrenquelle dahingestellt hat. Viele Bänke wurden von den Gemeinden aufgestellt - auch in Wäldern, die ihnen nicht gehören. Dann ist die Frage, ob es eine Haftungsvereinbarung mit den Eigentümern gibt, damit Klarheit für den Ernstfall besteht. Grundsätzlich kann die Verkehrssicherungspflicht übertragen werden.
Kompliziert wird es, wenn der Wald beispielsweise dem Land gehört, er aber von jemand anders bewirtschaftet wird und wiederum jemand anders dort Sitzbänke aufstellt. In Baden-Württemberg bewirtschaftet ForstBW den Staatswald, in dem Gemeinden wie Schömberg Bänke, Wildgehege, Kneippanlagen und Waldlehrpfade installiert haben. In Schömberg wurde jetzt die Zuständigkeit für die Verkehrssicherungspflicht geklärt - und letztlich beschlossen, einen Teil der Bänke abzubauen. Das soll aber nur an "unattraktiven und ungeeigneten Plätzen" passieren, so das Landwirtschaftsministerium.
Baden-Württemberg hat laut Statistischem Landesamt 1.353.134 Hektar Wald (Stand 2022). Mit rund 40 Prozent gehört der größte Teil davon gehört Gemeinden und Körperschaften. Die 1.101 Gemeinden im Land verfügen im Schnitt über etwa 500 Hektar Wald. Knapp 36 Prozent der Waldfläche gehören 260.000 privaten Eigentümern und Eigentümerinnen. Fast 24 Prozent der Waldfläche sind Staatswald, also im Besitz des Landes Baden-Württemberg.
Warum ist die Verkehrssicherungspflicht so ein großes Thema?
Die Schwierigkeit bei all diesen Themen ist für den Geschäftsführer der Forstkammer Baden-Württemberg, dass vieles Richterrecht sei. Schließlich kann nicht jeder mögliche Fall im Gesetz aufgeführt werden. Daher "gibt es nur Gerichtsurteile, aus denen man dann eine grobe Tendenz ableiten kann", so Hilt. Ökosysteme würden sich eben nicht an DIN-Werten orientieren. Seiner Meinung nach müsse sich die Gesellschaft die Frage stellen, ob es gerechtfertigt ist, dass sich die Haftungsfrage um 180 Grad dreht, "nur weil ich mich auf eine Bank setze".
Was wird kontrolliert und wie oft?
Hinzu kommt: die Prüfung ist zeitintensiv und kostspielig. Oft fehlt es zudem an Personal. Denn die Prüfenden müssen zwar keine ausgebildeten Baumkontrolleure sein, aber zumindest erfahren in der Forstwirtschaft, damit sie wesentliche Schadsymptome erkennen und beurteilen können. Sie schauen beispielsweise, ob Äste morsch oder abgestorben sind oder es Risse, Löcher oder faule Stellen im Stamm gibt. Das muss in der Regel abwechselnd in belaubtem Zustand und in unbelaubten Zustand gemacht werden. Allerdings besagt der "Leitfaden zur Verkehrssicherungspflicht" von ForstBW, dass Zusatzkontrollen beispielsweise nach extremen Wetterereignissen notwendig sein können.
"Die Verkehrssicherungspflicht ist ein Dauerthema", sagt auch Sascha Bahlinger, Pressesprecher von ForstBW, dem größten Forstbetrieb in Baden-Württemberg. Es müsse genau protokolliert werden, was geprüft wird und was festgestellt wurde. Bei jungen Bäumen, die noch einen dünnen Stamm haben, ist die Verkehrssicherung unkritisch, aber "insbesondere Altbestände mit Buchen bereiten viel Sorgen, weil sie durch die trockenen Jahre geschädigt wurden" erklärt Jerg Hilt von der Forstkammer Baden-Württemberg. Dadurch gebe es viele Totäste in den Baumwipfeln.
Und dann ist da noch die 30-Meter-Radius-Regel. Dabei wird von der Durchschnittshöhe eines Baumes ausgegangen. Deswegen müssen alle Bäume, die theoretisch auf die Sitzbank fallen könnten, im Umkreis von 30 Metern kontrolliert werden. Die vom Finanzministerium angegebenen 120 bis 160 Euro pro Prüfung hält Hilt daher für zu niedrig angesetzt. "Es kommen schnell höhere Summen zusammen, gerade wenn man etwas entfernen muss."
Können pragmatische Lösungen helfen?
Der Abbau der Bänke im Wald bringt den Landesseniorenverband auf die Palme. Die derzeitigen Regelungen sind nach Auffassung ihres Vorsitzender Eckart Hammer "grober Unfug". Der Abbau von Bänken widerspreche allen Bemühungen, ältere Menschen zur Fitness zu ermutigen, so Hammer und kritisiert die aus seiner Sicht lebensfremde Unterscheidung von waldtypischen und atypischen Gefahrenquellen. In freier Natur müsse seiner Ansicht nach jeder sein eigenes Risiko tragen.
Warum also nicht einfach ein Schild aufstellen "Nutzung auf eigene Gefahr" und die Sache ist erledigt? Ganz so einfach ist es nicht, warnt Hilt und verweist auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart. Dabei ging es um einen tödlichen Unfall am Sprungturm eines Schwimmbads. Das Gericht befand, dass Schilder wie "Springen auf eigene Gefahr" keinen wirksamen Haftungsausschluss begründeten.
Sendung am Mo., 4.11.2024 9:00 Uhr, SWR1 BW Nachrichten