Baden-Württemberg Verbindliche Grundschulempfehlung: Verband der Realschullehrer in BW startet Volksantrag
Nach den Schulreformen der Landesregierung befürchten Realschulen, in einem Schulsystem aus zwei Säulen unterzugehen - ein Volksantrag soll das verhindern.
Der Realschullehrerverband in Baden-Württemberg fordert gemeinsam mit dem Landesbildungsrat eine verbindliche Grundschulempfehlung auch für die Realschulen - und starten einen Volksantrag. Damit will der Verband am mehrgliedrigen Schulsystem festhalten. Die Empfehlung soll nach den gleichen Regeln funktionieren wie die geplante verbindlichere Empfehlung für die Gymnasien: Sind sich Eltern und Grundschule nicht einig, soll ein Potenzialtest über den weiteren Werdegang des Kindes entscheiden. Ab dem 25. November soll die Sammlung von Unterschriften beginnen.
BW-Landesregierung plant Bildungsreform
Hintergrund sind die Schulreformen der grün-schwarzen Landesregierung, die der Landtag noch beschließen muss. Sie beinhalten unter anderem die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium, die Einführung einer verbindlichen Sprachförderung und einer verbindlicheren Grundschulempfehlung für Gymnasien. Die Empfehlung soll künftig aus drei Komponenten bestehen: Lehrerempfehlung, Leistungstest und Elternwunsch. Stimmen zwei davon überein, soll das den Ausschlag geben.
Die Reformen sehen außerdem vor, dass es neben der Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium künftig vermehrt Verbundschulen - also Schulen mit mehreren Schulzweigen - in der Sekundarstufe 1 (Klassen 5 bis 10) geben soll. Dafür sollen Real- und Werkrealschulen miteinander kooperieren. Der Werkrealschlussabschluss soll wegfallen.
Realschullehrerverband: "radikale Zweiteilung" des Schulsystems
Die Befürchtung des Realschullehrerverbands: Wer nicht aufs Gymnasium kommt, geht dann automatisch auf die Realschule. Haupt- und Werkrealschulen würden dann verschwinden und es gebe nur noch zwei Schularten. Eltern würden dann alles daran setzen, ihr Kind aufs Gymnasium zu bringen. Landesvorsitzende Karin Broszat sprach von einer "radikalen Zweiteilung" und einer Spaltung der akademischen und beruflichen Bildung. Mit den Realschulen und Werkrealschulen würden auch Mittelstand und Wohlstand im Land verschwinden. Wenn es nur eine einzige Säule neben dem Gymnasium gäbe, würde nicht mehr nach den Leistungsmöglichkeiten der Kinder unterschieden.
Für das baden-württembergische Kultusministerium ergibt eine Grundschulempfehlung für die Realschule keinen Sinn. Sie sei nicht notwendig, da dort ja zwei Abschlüsse möglich seien, der Haupt- und der Realschulabschluss, heißt es auf Anfrage. Man sei etwas ratlos angesichts der "Aufregung" des Realschullehrerverbands, so ein Sprecher zur Deutschen Presse-Agentur. Die Realschule sei beliebt, 33 Prozent der Schülerinnen und Schüler besuchten nach der Grundschule die Realschule. Damit sei die Realschule die Schulart, die nach dem Gymnasium am häufigsten besucht werde.
Der Realschullehrerverband muss nun knapp 40.000 Unterschriften von Unterstützerinnen und Unterstützern in Baden-Württemberg sammeln. Lehnt der Landtag den Volksantrag ab, können die Initiatoren ein Volksbegehren beantragen. Im Erfolgsfall würde dann eine Volksabstimmung durchgeführt.
Ein Volksantrag richtet sich an den Landtag. Wenn ein Volksantrag Erfolg hat, muss der Landtag sich mit dem Thema des Antrags beschäftigen. Das kann jedes Thema der "politischen Willensbildung" sein - auch ein Gesetzentwurf. Damit sich der Landtag mit dem Antrag befasst, brauchen die Antragsteller die Unterschriften von mindestens 0,5 Prozent der bei der letzten Landtagswahl Wahlberechtigten: In Baden-Württemberg sind das knapp 39.000 Menschen. Ein Volksbegehren beantragen Bürgerinnen und Bürger bei der Landesregierung, genauer: beim Innenministerium. Dem Volksbegehren muss ein rechtlich einwandfreier Gesetzentwurf zugrunde liegen, für den die Antragsteller mindestens 10.000 Unterschriften von Wahlberechtigten gesammelt haben - dann lässt das Innenministerium das Begehren zu und weitere Unterstützerinnen und Unterstützer können sich ihm anschließen. Damit der Landtag über das Begehren abstimmt, muss mindestens ein Zehntel der Wahlberechtigten es unterstützen: In Baden-Württemberg sind das rund 770.000 Menschen. Für Volksantrag und Volksbegehren gilt: Alle, die unterzeichnen, müssen sich von ihrer Gemeinde auf diesem Formblatt bestätigen lassen, dass sie jeweils wahlberechtigt sind. Fehlt diese Bestätigung, zählt die Stimme nicht. Wenn ein Volksbegehren erfolgreich ist, aber der Landtag den dadurch eingebrachten Gesetzentwurf nicht annimmt, gibt es eine Volksabstimmung (auch "Volksentscheid" genannt). Alle in Baden-Württemberg Stimmberechtigten können dann mit "Ja" oder "Nein" über den Gesetzentwurf abstimmen. Das Gesetz ist beschlossen, wenn es:
- 1. die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen erhält und
- 2. a) bei einfachen Gesetzen: diese Mehrheit aus mindestens einem Fünftel aller Stimmberechtigten besteht (in BW etwa 1,5 Millionen Menschen); beziehungsweise
- 2. b) bei verfassungsändernden Gesetzen: diese Mehrheit aus mehr als der Hälfte aller Stimmberechtigten (in BW etwa 3,8 Millionen Menschen) besteht.
Sendung am Fr., 8.11.2024 17:00 Uhr, SWR1 BW Nachrichten