Baden-Württemberg Metzgereien sterben aus: Was tun Betriebe gegen den Fachkräftemangel?
Seit Jahren verschwinden kleine Metzgereien. Ein Grund ist fehlender Nachwuchs. Betriebe in der Region werden kreativ, um Auszubildende zu gewinnen. Oft setzen sie aufs Ausland.
Alles hat ein Ende, auch für viele Metzgereien. Seit 2005 haben von 360 Betrieben im Bezirk der Handwerkskammer Reutlingen 100 dicht gemacht. Der Trend gilt für ganz Deutschland. Seit Anfang der 2000er-Jahre hat sich die Zahl der Metzgereien laut Statistischem Bundesamt fast halbiert. Von knapp 19.000 auf rund 10.000.
Die Gründe sind vielfältig, sagt Joachim Lederer vom Landesinnungsverband für das Fleischerhandwerk in Baden-Württemberg. Sie haben vor allem etwas mit der Konkurrenz durch Supermärkte zu tun und den Erwartungen der Generation Z an die Arbeitswelt. Kaum einer wolle noch am Wochenende oder nachts arbeiten. Dabei seien die Aufstiegschancen gut. Viele Betriebe machten dicht, weil sie keinen Nachfolger fänden.
In der Region fehlen die Azubis
Machten 2005 noch knapp über 100 junge Menschen in den Kreisen Reutlingen, Tübingen, Sigmaringen, Freudenstadt und im Zollernalbkreis eine Ausbildung im Fleischereihandwerk, waren es nach Angaben der Reutlinger Handwerkskammer 2023 gerade einmal 35.
Valerian Bodenhöfer ist einer von ihnen und gehört zu den wenigen, die später einen Metzgereibetrieb übernehmen wollen. Sein Jurastudium hat er gegen eine Ausbildung zum Koch eingetauscht. Weil die Liebe zur Wurst so groß war, hat er noch eine Fleischerlehre drangehängt. Der 27-Jährige ist ein Beispiel dafür, dass sich Azubis ihre Betriebe immer gewählter aussuchen.
Fleischwolf, Kutter, Füller: Auch an traditionellen Maschinen lernen Azubis in der Albmetzgerei Failenschmid das Fleischerhandwerk. Der Betrieb hat seinen Azubis eine eigene Lehrwerkstatt gebaut.
Eigene Lehrwerkstatt - extra für Azubis
Bei der Albmetzgerei Failenschmid, einer der Großen unter den Metzgereien der Region, lernt Bodenhöfer unter anderem, wie man Wurst traditionell herstellt. Das sei wichtig, um sich später selbstständig machen zu können. Dafür hat der Betrieb eine eigene Lehrwerkstatt für Azubis eingerichtet. Marc Swoboda von der Geschäftsführung nennt das einmalig in Deutschland. Die Azubis sind hier in den vergangenen Jahren wieder mehr geworden.
Ein pensionierter Berufsschullehrer gibt einmal die Woche Privatunterricht in der Lehrwerkstatt. Bodenhöfer und seine Kollegen sind der Berufsschule so immer einen Schritt voraus. "Die Azubis sind hier keine billigen Hilfskräfte, sondern die Profis von morgen, die sich der Betrieb selbst heranzüchtet", sagt er.
Azubis aus fünf Nationen
Wer als Betrieb kreativ wird, müsse eigentlich keinen Fachkräftemangel fürchten, sagt Joachim Lederer von der Fleischerinnung Baden-Württemberg. Weil die Azubis ausblieben, musste sich auch die Traditionsmetzgerei Oskar Zeeb aus Reutlingen etwas einfallen lassen. Seit knapp 100 Jahren gibt es den Betrieb, nur nachkommen wollte niemand, zumindest nicht aus Deutschland.
Dank einer Agentur haben bei Oskar Zeeb in diesem Jahr acht neue Azubis angefangen. Sie werden zu Fleischereifachverkäufern ausgebildet. Sie kommen aus Algerien, Marokko, Vietnam, dem Libanon und dem Irak.
Eine gute Perspektive in Marokko und in Deutschland erhofft sich Azubi Siham Hamdaoui von der Ausbildung bei Oskar Zeeb in Reutlingen.
Siham Hamdaoui ist 30 Jahre alt und hat in Marokko als Verkäuferin gearbeitet. In einer Zeeb-Filiale in der Reutlinger Innenstadt steht sie seit Juli vor allem hinter der Heißtheke, verkauft Leberkäsbrötchen und kontrolliert Mengeneinheiten und Temperaturen. Die Arbeit mache ihr Spaß, sagt sie. Mit der Sprache hätte sie sich am Anfang schwergetan, schließlich sprechen die meisten Kunden nicht hochdeutsch, sondern schwäbisch.
Religion als Hindernis?
Auch wenn Hamdaoui als Muslimin kein Schweinefleisch isst, macht es ihr nichts aus, es zu verkaufen, sagt sie. Mit vier anderen Azubis wohnt sie in einer Wohngemeinschaft, fühlt sich mittlerweile gut integriert. Von der Ausbildung in Reutlingen verspricht sie sich bessere Aufstiegschancen und mehr Geld. Filialleiterin Sandra Dannwolf hofft, dass sie bleibt.
Siham Hamdaoui und ihre Kolleginnen bei Zeeb haben dafür gesorgt, dass die Statistik einen Sprung macht: 2024 wurden in der Region 45 Ausbildungsverträge im Fleischerhandwerk geschlossen, zehn mehr als im Vorjahr.
Siham Hamdaoui isst aus religiösen Gründen kein Schweinefleisch. Das Fleisch zu verkaufen, ist für sie aber in Ordnung.
Recruiting aus dem Ausland mit Bedacht
Viele Betriebe setzten inzwischen auf Azubis aus dem Ausland, beobachtet auch Susanne Hammann von der Handwerkskammer Reutlingen. Dabei sei wichtig, den jungen Menschen nicht nur einen Arbeitsplatz zu vermitteln, sondern sie auch gut zu integrieren und zu begleiten. Die Agenturen sollten die Betriebe mit Bedacht wählen und Azubis "nicht mit der Schöpfkelle" rekrutieren.
Metzgerei-Azubis: Wohnen "wie im Hotel"
Auch Joachim Lederer, Landesinnungsmeister der Fleischerhandwerke in Baden-Württemberg, beschäftigt ausländische Azubis - und holt sie sogar persönlich vom Flughafen ab. Er richtet ihnen Unterkünfte "wie im Hotelzimmer" ein, sagt er. Betriebe, die diesen Aufwand nicht betreiben, kann er nicht verstehen. Ob sich so ein Engagement überhaupt jeder Betrieb leisten kann? Jawohl, findet Lederer, schließlich habe er seinen Betrieb auch nicht übernommen, sondern von der Pike auf groß gemacht.
Siham Hamdaoui kann sich vorstellen, nach ihrer Ausbildung in Deutschland zu bleiben. Dass es künftig keine Abnehmer mehr für Fleisch geben wird, glauben sie in der Reutlinger Zeeb-Filiale nicht. Auch wenn es im Trend liegt, vegetarisch und vegan zu essen - über achtzig Prozent der Deutschen essen Fleisch, viele aber bewusster und weniger als früher.
Sendung am Sa., 9.11.2024 10:30 Uhr, SWR BW Studio Tübingen, Regionalnachrichten