Baden-Württemberg Kim Bui zu Vorwürfen gegen Turnerbund: "Es war nur eine Frage der Zeit"
Der Deutsche Turner-Bund und speziell der Bundesstützpunkt Stuttgart stehen wegen ihres Umgangs mit Athletinnen massiv in der Kritik. Die ehemalige Top-Turnerin Kim Bui äußert sich gegenüber SWR Sport zu den schwerwiegenden Vorwürfen.
SWR Sport: Immer mehr Turnerinnen äußern sich zu den Missständen in den Turn-Verbänden, jetzt auch explizit zu Stuttgart. Wie ist das für Sie?
Kim Bui: Es verwundert mich ehrlich gesagt nicht. Es war nur eine Frage der Zeit, dass das Thema aufkommt.
SWR Sport: Tabea Alt hat in einem langen Instagram-Post geschrieben und gesagt, dass es unglaubliche Missstände gebe - dass sie sogar mit Knochenbrüchen turnen musste. Ihr hattet eine längere gemeinsame Zeit. Wie waren Ihre Erfahrungen?
Kim Bui: Ich habe natürlich all diese Sachen auch miterlebt, aber ich glaube, wenn man selber drin steckt, ist es noch mal etwas anderes. All diese Anschuldigungen, die Tabea (Alt, Anmerk. d. Red.) anbringt, sind für mich nichts Neues. Für viele von uns, auch eine Michelle Timm nicht. Für die Öffentlichkeit ist es jetzt ein Riesending.
Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass wir immer wieder untereinander gesagt haben: 'Schaut mal die Tabea, wie mit ihr umgegangen wird, das ist doch nicht normal, das kann doch nicht sein.' Aber wenn man in dem Moment selber drin steckt, weiß man gar nicht, was man tun soll. Was kann ich machen? Dann steht da eine Tabea und weint. Okay, man kann hingehen und sie trösten. Aber dann kommt irgendwann der Trainer und sagt 'jetzt lasst sie mal'. Es ist so schwer in Worte zu fassen, was es mit einem macht. Und was es mit einem gemacht hat.
SWR Sport: Wie sollte es jetzt weitergehen?
Kim Bui: Es muss von Grund auf eine Veränderung geben. Wenn es nur vielleicht ein, zwei Personalwechsel gibt und alles andere bleibt bestehen, dann ist es ja keine nachhaltige Veränderung.
SWR Sport: Gibt es denn eine Anlaufstelle für Athletinnen und Athleten, wenn sie sagen: Ich will nicht aufhören, aber es geht auch nicht so weiter? An wen wendet man sich?
Kim Bui: Ich hatte keine Anlaufstelle. Ich habe das mit mir selber ausgemacht. Ich war selbst im Coaching und habe das für mich reflektiert (externes Mentalcoaching, Anmerk. d. Red.). Und bis dann mein Coach irgendwann zu mir gesagt hat: 'Kim, ganz ehrlich, diese Zustände sind nicht normal'. Bis dahin habe ich immer den Fehler bzw. das Problem bei mir selbst gesucht. So bin ich auch von Natur aus. Bis mir jemand von außen gesagt hat, dass ich so wie ich bin, ganz gut bin, aber dass das System das Problem und dass das Umfeld total toxisch ist. Das war mir bis dahin gar nicht bewusst. Und so begann ich auch, mich umzuschauen. Wir Turnerinnen unterhalten uns schon auch. Und irgendwann merkt man, wenn man sich ein bisschen öffnet und ein bisschen seine Erfahrung teilt, dass es den anderen genauso geht.
SWR Sport: Wie sehen Sie die Chance, da auch rechtlich dagegen vorzugehen? Weil es ja so schwer greifbar ist.
Kim Bui: Das Thema ist psychischer Missbrauch. Psychische Gewalt ist eben sehr subjektiv. Und wie kann man das messen? Man kann eine Handgreiflichkeit messen. Man kann Medikamentenmissbrauch beweisen. Physische Gewalt kann man beweisen, kann man sehen. Aber psychische Gewalt halt nicht. Und ich glaube, das ist ganz, ganz schwierig. Aber was ich dazu sagen muss, dass wir jetzt als Turnerinnen alle zusammen sind - es sind ja alles ähnliche Geschichten. Es ist nicht so, dass wir uns irgendwelche Lügen herholen oder das Blaue vom Himmel herunter lügen und uns diese Geschichten ausgedacht haben. Sondern das sind unsere eigenen Geschichten, unserer eigenen Erfahrungen, die das schon belegen und zeigen. Und ich weiß, dass das sicherlich strafrechtlich nicht irgendwie relevant ist, in messbarer Form. Aber das ist das, was wir erlebt haben.
SWR Sport: Haben Sie die Hoffnung, dass sich jetzt noch mehr Sportlerinnen äußern?
Kim Bui: Die Hoffnung besteht immer bei mir. Aber ich muss dazu sagen, dass ich niemanden dazu drängen möchte und auch das überhaupt nicht forcieren möchte. Jede, jeder geht seinen Weg in seinem Leben in seiner eigenen Zeit, in seiner eigenen Geschwindigkeit. Damals, als die Pauline (Schäfer-Betz, Anmerk. d. Red.) ihre Geschichte öffentlich gemacht hat, haben wir miteinander gesprochen, und ich bin damals so unglaublich dankbar dafür gewesen, dass sie so mutig war und diesen Schritt gegangen ist.
Ich war es zu diesem Zeitpunkt damals noch nicht. Ich hatte noch nicht die Worte dafür gefunden, und ich war noch nicht so reflektiert, wie ich es Jahre später war. Und dass die Pauline da vorangegangen ist, war wirklich unglaublich mutig von ihr. Ich habe meine Zeit gebraucht. Ich habe dann nach meinem Karriereende mein Buch herausgebracht, aber da stand ich auch relativ einsam und alleine da in der Öffentlichkeit, weil die anderen noch nicht so weit waren.
Jetzt, 20 Monate später, nach meinem Buch, sind die anderen dazu bereit gewesen. Es ist ein Prozess. Es dauert seine Zeit, um das zu verarbeiten, was man selbst durchlebt hat, und um auch die Worte dazu zu finden. Ich habe im Coaching mit meiner Coach drüber gesprochen. Es begann so ungefähr 2016, 2017 bei mir, dass ich über dieses Thema - Missstände im Turnen - in Stuttgart darüber gesprochen habe. Und jetzt sind wir sieben Jahre danach, dass sich da was tut, dass in dem Fall in Stuttgart sich was tut. Und ich glaube, das braucht alles seine Zeit. Und deshalb habe ich natürlich die Hoffnung, dass noch mehr Turnerinnen sich da öffnen werden. Aber ich glaube, jede zu ihrer Zeit.
SWR Sport: Was wünschen Sie sich als Lösungsansatz?
Kim Bui: Mein Wunsch wäre, dass ein Prozess auferlegt wird, bei dem es auch eine klare Zielstellung gibt. Es könnten auch unterschiedliche Ziele formuliert werden. Aber dabei auch, dass das körperliche und seelische Wohlbefinden der Turnerinnen und Turner immer im Vordergrund stehen.
Sendung am Mo., 30.12.2024 19:30 Uhr, SWR Aktuell Baden-Württemberg, SWR BW