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Baden-Württemberg Der erste Transmann in der Region: Mutter Jessica wurde zu Jan

Stand: 03.12.2024 09:53 Uhr

"Ich bin halt die Mama mit Bart" - Jan Heinecke hat vier Kinder geboren und sich dann 2018 für eine Geschlechtsangleichung entschieden. Seitdem fühlt er sich jeden Tag "wie neu geboren".

"Ich wusste nie, warum ich keine Freude empfinde und was mit mir falsch war!", sagt der Transmann Jan Heinecke. Der Blick in den Spiegel war eine tägliche Qual für Jan Heinecke. Im frühen Jugendalter ist er bereits von Zuhause ausgezogen. Damals hieß er noch Jessica und war eine Frau - gefühlt wie eine hat er sich aber nie. Mit 16 Jahren lernte er seinen ersten Freund kennen und wurde mit seinem ersten Kind schwanger. Mittlerweile hat Jan Heinecke vier Kinder im Alter zwischen 22 und 30 Jahren. Zwei Söhne und zwei Töchter, alle von ihm ausgetragen. Verliebt war er nie, auch Intimitäten haben ihm als Frau keinen Spaß gemacht. Jan Heinecke lebte nach der Norm der Gesellschaft. Er wollte das klassische Familienleben nachspielen:

Mutter, Vater, Kinder, Haus und weißer Gartenzaun. Jan Heinecke

Einen Bezug zu seinem Körper hatte er nie. Das Verhalten einer Frau, die Gestik und Mimik hat er von seiner besten Freundin gespiegelt. Er fühlte sich immer fremd. Fremd mit sich selbst, fremd gegenüber anderen und in dieser Welt.

Jan Heinecke 2008 und 2024:

Die Isolation brachte den Transmann fast um

Der 46-jährige Transmann fühlte sich jeden Tag alleine. Fünf Suizidversuche hat er hinter sich, erzählt er. Sein letzter Versuch 2008 habe fast geklappt. In diesem Jahr habe er so viele Tabletten geschluckt, dass die Ärzte bereits die Maschinen abschalten wollten. Im letzten Moment habe er aber angefangen, selbstständig zu atmen - es war seine letzte Chance, doch noch zu leben.

Hilfe bei Suizidgedanken
Wenn Ihre Gedanken darum kreisen, sich das Leben zu nehmen, bieten verschiedene Organisationen Hilfe und Auswege an: Wer Hilfe braucht und die Telefonseelsorge anrufen will, der kann das unter: 0800 / 111 0 111 , 0800 / 111 0 222 oder 116 123 oder per Mail und Chat unter online.telefonseelsorge.de Für Kinder und Jugendliche gibt es außerdem die "Nummer gegen Kummer" - erreichbar montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr unter 11 6 111 oder 0800/111 0 333. Eine Mailberatung für junge Menschen gibt es auch über die Website U25 Deutschland und über Jugendnotmail. Hilfe - auch in türkischer Sprache - bietet das muslimische Seelsorge-Telefon "MuTeS" unter 030/44 35 09 821. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort sind 24 Stunden am Tag erreichbar. Eine Übersicht weiterer Angebote hat die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention unter suizidprophylaxe.de aufgelistet.

Von da an erkannte er, was mit ihm nicht stimmte. Er war gefangen im falschen Körper, und das war ihm nie richtig bewusst. Erst nach seinem Suizidversuch mit 40 Jahren entschied er sich dazu, eine Geschlechtsangleichung vorzunehmen.

Jan Heinecke erzählt über seine Transformation im Video:

Als Mann gefangen im Körper einer Frau

Der erste Blick als Mann in den Spiegel: Ein Befreiungsschlag

Der Transmann war der erste in der Region, der sich 2018 als Frau zum Mann angleichen ließ. Jan Heinecke hat sich demnach die Brüste abnehmen lassen: "Endlich kein Gebimsel mehr!", so formuliert er es. Seine Brust wurde zu einer Männerbrust geformt und die weiblichen Geschlechtsteile entfernt. Seit sechs Jahren fühlt er sich nun jeden Tag wie neu geboren.

Ich bin nach wie vor die Mama, nur mit Bart! Jan Heinecke

Seine vier Kinder lieben ihre Mama und stehen zu 100 Prozent hinter ihm. Jan Heinecke besteht außerdem darauf, dass er die Mutter ist und nicht der Vater. Er ist stolz darauf seine Kinder selbst ausgetragen zu haben. Für ihn ist die Rolle als Mutter mit mehr Bindung und Verantwortung verbunden, als es als Papa der Fall wäre: "Väter können kommen und gehen, wann sie wollen. Ich war immer alleinerziehende Mutter von vier Kindern, welcher Vater macht das schon?", so Jan Heinecke.

Lesbisch, schwul, bi, trans, queer: Was bedeuten diese unterschiedlichen Begriffe?
  • Lesbisch/schwul: Diese Begriffe beziehen sich auf die sexuelle Orientierung — also darauf, wovon sich Menschen angezogen fühlen. Schwule (Trans*)-Männer fühlen sich von Männern angezogen, lesbische (Trans*)-Frauen von Frauen.
  • Bi: Der Begriff „bisexuell“ bezieht sich ebenfalls auf die sexuelle Orientierung. Bisexuelle Menschen fühlen sich von ihrem eigenen und anderen Geschlechtern angezogen. Es handelt sich hier aber keinesfalls um ein „Nicht-Entscheiden-Können“, wie es in der Pop-Kultur oft dargestellt wird. In der Entstehungsgeschichte bezieht sich der Begriff noch auf das binäre Geschlechtsverständnis (Mann/Frau).
  • Trans: Der Begriff „trans“ oder „transgender“ bezieht sich auf die Geschlechtsidentität, also die eigene Wahrnehmung und Identifikation mit einem Geschlecht (Gender). Bei Trans-Personen unterscheidet sich das Geschlecht, mit dem sie sich identifizieren, von dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht. Der Gegenbegriff lautet „cis“. Die Begriffe „Transgender“, „Transsexuelle“ und „Transvestiten“ bedeuten nicht das gleiche.
  • Queer: „Queer“ stammt aus dem Englischen und bezeichnet von der Cis-Heteronomrativität abweichende Menschen, im Bezug auf sexuelle Orientierung und/oder Geschlechtsidentität. Ursprünglich wurde es als homophobes Schimpfwort verwendet, die so bezeichneten Personen haben das Wort jedoch für sich als positive Selbstbezeichnung erobert.
  • Inter: Die „Intersexualität“ bezeichnet eine „Uneindeutigkeit“ der körperlichen Geschlechtsmerkmale. Das kann sich in den Geschlechtschromosomen zeigen, in der hormonellen Entwicklung oder in einem womöglich uneindeutigen Genital. Intersexualität ist angeboren, wird aber nicht immer bei der Geburt entdeckt. Früher wurde dafür ua. der Begriff „Hermaphroditismus“ verwendet.
  • Non-binär oder nicht-binär, enby/nb: Dieser Begriff bezieht sich auf die Geschlechtsidentität. Non-binäre Menschen sind Menschen, die sich nicht mit dem binären Geschlechtsverständnis (Mann/Frau) identifizieren. Sie können unterschiedliche sexuelle Orientierungen haben und ihre Geschlechtsidentität unterschiedlich ausleben.

Transmann gründete queeren Stammtisch

Vor zwei Jahren hat der Transmann den Stammtisch "MENSCH" im Mehrgenerationenhaus in Weinheim (Rhein-Neckar-Kreis) gegründet. Regelmäßig kommen dort queere Menschen zusammen, denen Jan Heinecke helfen möchte. Dort haben die Leute einen "safe space", sprechen über ihre Erfahrungen und tauschen sich aus. Ein queeres Pärchen hat sich in der Gruppe auch bereits kennen und lieben gelernt. Neben seinem Beruf als Bestatter geht er in seiner neuen Rolle als Mann und LGBTQIA+-Unterstützer total auf.

Bei der Liebe zählt das, was im Kopf und im Herzen ist. Jan Heinecke

Für den 46-Jährigen spielt das Geschlecht bei der Partnersuche nun keine Rolle mehr. Jan Heinecke war es einfach wichtig, sich in seinem eigenen Körper wohl und zugehörig zu fühlen. Weil er sich jetzt selbst liebt, kann er auch jemand anderen lieben, dabei spielen für ihn nur das Innenleben und die Emotionen eine Rolle und nicht, was ein Mensch "oben- und untenrum" hat. Bisher hat er seine große Liebe noch nicht gefunden, aber er ist hoffnungsvoll und glaubt endlich daran.

Transidente Menschen in Deutschland
Als trans* (transident, transsexuell, transgender) bezeichnen sich Menschen, die sich nicht - oder nicht nur - mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Das Spektrum sei breit, sagt Petra Weitzel von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti). Es reiche von Menschen, die ihre Geschlechtsrolle nur sozial wechselten, bis hin zu solchen, die einige oder alle möglichen geschlechtsangleichenden medizinischen Maßnahmen in Anspruch nähmen und ihr eigentliches Geschlecht rechtlich anerkennen ließen. Wie viele transidente Menschen es in Deutschland gibt, ist nicht erfasst. Laut Studien definieren sich in den USA 0,6 - 0,7 Prozent der Erwachsenen als "transgender", das kanadische Statistikamt ermittelte 0,33 Prozent. Wendet man einen solchen Bevölkerungsanteil auf Deutschland an, ergibt das nach Berechnungen der dgti entsprechend bis zu 480.000 Menschen. Anhaltspunkte bieten daneben die Zahlen über die Anträge zur Vornamen- und Personenstandsänderung nach dem Transsexuellengesetz. Nach Angaben des Bundesjustizamtes waren dies in den Jahren 1991 bis 2020 insgesamt 32.236 Verfahren. Dabei sind die Menschen nicht eingerechnet, die sich nicht in eines der Geschlechter männlich oder weiblich einordnen. Sie konnten bis zu einem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 22. April 2020 keinen Antrag nach diesem Gesetz stellen. Das Transsexuellengesetz steht zudem erst seit 2011 auch Personen offen, die keine medizinischen geschlechtsangleichenden Maßnahmen brauchen. Weitzel zufolge gibt es zudem noch eine sehr hohe Dunkelziffer von trans* Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nie ein Verfahren nach dem Transsexuellengesetz angestrebt haben.

Sendung am Do., 28.11.2024 19:30 Uhr, SWR Aktuell Baden-Württemberg, SWR BW

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