Baden-Württemberg Alarmierender Zustand von Flüssen und Bächen in Baden-Württemberg
2.700 Einsendungen wurden bei einer Mitmachaktion zu heimischen Flüssen und Bächen ausgewertet. Das Ergebnis ist alarmierend - auch beim Michelbach bei Gerabronn.
Unsere Flüsse und Bäche - häufig beschäftigen wir uns mit ihnen erst dann, wenn sich eine Katastrophe anbahnt. Wenn sie über ihre Ufer treten, bei Hochwasser oder wenn die Fische darin sterben. Im Mai 2024 startete die ARD, zu der der SWR auch gehört, die Mitmachaktion #unsereFlüsse. Bürgerinnen und Bürger sind aufgerufen, zu schauen, wie es um den Bach oder Fluss bestellt ist, der bei ihnen zuhause in der Nähe ist. Inzwischen haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig die ersten 2.700 Einsendungen ausgewertet. Das Ergebnis ist alarmierend.
Sorge ums Wasser und badende Kinder
Wenn Ruth Tischer an ihre Kindheit denkt, erinnert sie sich gerne daran, wie sie am Wasser gespielt hat. "Ich habe viel am Bach gespielt, bin mit den Lebewesen darin aufgewachsen." Tischer wohnt in Gerabronn (Kreis Schwäbisch Hall). Eine idyllische, von Landwirtschaft geprägte Gegend. Hier fließt der Michelbach, ein kleiner Bach, dessen Wasser in die Brettach und von dort in die Jagst fließt. Seit Jahren beobachtet Tischer, wie der Michelbach verdreckt. An manchen Stellen steht eine braune Brühe, Schaumkronen sind auf dem Wasser zu sehen, erzählt sie. Darin zu spielen oder gar zu baden, wie Tischer es aus ihrer Kindheit kennt - undenkbar.
Ruth Tischer ist nicht die Einzige in der Gegend, die sich um das Wasser Sorgen macht. Renate Ziegler wohnt vier Kilometer weiter, direkt an der Jagst, und sagt: "Ich sehe morgendlich diese Schaumberge bei uns am Wasser, das macht was mit einem. Im Sommer sehe ich die badenden Kinder, aber beim Anblick des Wassers sorge ich mich um ihre Gesundheit."
Ich mache mir ernsthaft Sorgen. Das ist unser Wasser, von dem leben wir. Das kommt in die Jagst und das ist alles ein Kreislauf. Wir haben hier auch keine sauberen Quellen mehr. Ruth Tischer
ARD-Mitmachaktion #unsereFlüsse
ARD-Mitmachaktion #unsereFlüsse läuft noch
Als die beiden von der ARD-Mitmachaktion #unsereFlüsse hören, sind sie sofort begeistert. Seit Mai können Bürgerinnen und Bürger sich beteiligen. Dafür sollten sie 100 Meter an einem Bach entlanggehen und im Internet einen Fragebogen ausfüllen. Dieser wurde von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig entwickelt. Darin wird nach der Größe und Beschaffenheit des Baches, seiner Umgebung und des Wassers gefragt. Ebenso können selbstgemachte Bilder hochgeladen werden.
Tischer freut sich, dass es endlich mal nicht um die großen Flüsse wie Rhein, Neckar oder Donau geht, sondern die Bäche vor der eigenen Haustür. "Es gibt so viele kleine Bäche, das ist der Anfang. Man guckt immer nur nach den großen Flüssen, aber den kleinen geht es auch schlecht."
Wissenschaftler finden die Auswertung alarmierend
Mehr als 3.000 Einreichungen haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit Mai erhalten. "Wir freuen uns, dass so viele Menschen mitmachen und das Bewusstsein, wie sieht mein Bach oder mein Gewässer vor der Haustür aus, wirklich deutlich erhöht worden ist", sagt Jeanette Völker vom Bundesumweltamt, das an der Aktion beteiligt ist.
Inzwischen wurden anhand der eingereichten Fotos und Fragebögen die ersten 2.700 Begutachtungen ausgewertet. Aletta Bonn, Professorin für "Ecosystem Services", findet das Ergebnis alarmierend.
"Die Hauptbelastung sind nach wie vor zu hohe Nähr- und Schadstoffeinträge aus der Landwirtschaft, aus kommunalen Kläranlagen, aus der Industrie und der Verbau der Gewässer", sagt Jeanette Völker vom Bundesumweltamt.
Drei von vier untersuchten Bächen bieten keinen guten Lebensraum für Fische und Insekten. Viele Bachabschnitte sind begradigt und verbaut. An ihren Ufern fehlen Sträucher, Büsche und Blumen, die die gefährlichen Einträge aus der Landwirtschaft in die Bäche abhalten würden. Aletta Bonn, Professorin für "Ecosystem Services"
Gülle aus den Äckern landet im Bach
Auch in Hohenlohe spielt die Landwirtschaft, insbesondere die Tierhaltung, eine entscheidende Rolle. Im Landkreis Schwäbisch Hall, zu dem auch Gerabronn gehört, leben rund 200.000 Menschen, doppelt so viele Schweine und Angaben des Statischen Landesamts zufolge fast vier Mal so viele Truthühner. "Wir haben eine ganz große Tierdichte und die Gülle muss irgendwo hin und die geht halt auf die Äcker", erzählt Tischer.
"Die wird oft ausgetragen, bevor Regen gemeldet ist, die schwemmt es dann direkt ab, weil der Boden auch so verdichtet ist, die hat ja gar keine Zeit einzuziehen und an die Pflanze zu kommen. Wenn Starkregen kommt, dann geht die Gülle fast eins zu eins ins Wasser", so ihre Beobachtungen. Dabei betonen die beiden Frauen, dass es ihnen wichtig ist, die Landwirtschaft nicht an den Pranger zu stellen.
Ruth Tischer und Renate Ziegler am Michelbach: Baden würde sie in dem Wasser nicht mehr.
Zustand von Flüssen: Zeitdruck und Hoffnung auf Veränderungen
Dabei sollen bis 2027 alle Fließgewässer in Deutschland wieder in einem guten Zustand sein. So schreibt es eine Richtlinie der EU, die sogenannte EU-Wasserrahmenrichtlinie, vor. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind skeptisch, dass dieses Ziel erreicht wird.
In der Vergangenheit haben Renate Ziegler und Ruth Tischer immer wieder ihre Beobachtungen dokumentiert und Politiker auf kommunaler wie auch auf Landesebene auf den Zustand der Bäche rund um Gerabronn hingewiesen. Verändert hat sich dadurch nichts. Nun hoffen sie, dass das dieses Mal anders ist. Noch bis zum 31.Oktober können Interessierte an der Aktion mitmachen.
Sendung am Mo., 21.10.2024 18:00 Uhr, SWR Aktuell Baden-Württemberg, SWR BW