Interview

Interview zum Rundfunkstaatsvertrag "Die Netzwelt lässt sich nicht mit Paragrafen aufhalten"

Stand: 12.06.2008 18:05 Uhr

Was dürfen ARD und ZDF künftig im Internet anbieten? Die Ministerpräsidenten sind sich über den neuen Staatsvertrag nun weitgehend einig. Der ARD-Vorsitzende Raff hält die neuen Regeln für viel zu eng. "Das wird in fünf Jahren keiner mehr verstehen", sagt Raff im Interview mit tagesschau.de.

Was dürfen ARD und ZDF künftig im Internet anbieten? Die Ministerpräsidenten sind sich über den neuen Staatsvertrag nun weitgehend einig. Der ARD-Vorsitzende Raff hält die neuen Regeln für viel zu eng. "Das wird in fünf Jahren keiner mehr verstehen", sagt Raff im Interview mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Herr Raff, nun haben sich die Ministerpräsidenten weitgehend auf einen Entwurf für den neuen Rundfunkstaatsvertrag geeinigt. Im Mittelpunkt stehen dabei die Online-Aktivitäten von ARD und ZDF. Strittig ist noch der Bereich Unterhaltung, fest steht aber: Erlaubt sind sendungsbezogene Angebote, verboten ist eine elektronische Presse. Was bedeutet diese Entscheidung für die öffentlich-rechtlichen Online-Angebote?

Fritz Raff: Wir gehen davon aus, dass das, was wir im Netz haben, auch im Netz bleibt. Für einige Angebote wird sich aber die Frage stellen, wie lange sie im Netz bleiben können und was wir unternehmen müssen, um die Einstellzeiten im Netz zu verlängern.

tagesschau.de: Große Sportereignisse dürfen nur noch 24 Stunden im Netz verfügbar sein, die meisten anderen Angebote nur noch 7 Tage. Warum ist das so und was bedeutet das für die ARD-Online-Angebote?

Fritz Raff: Warum das so ist, müssen Sie die Politiker fragen, die solche Regelwerke aufstellen. Wir als ARD halten das nach wie vor für viel zu eng. Es wird zu viel reglementiert. Deutschland wird europaweit die engsten Vorschriften im öffentlich-rechtlichen Online-Bereich haben. Ich glaube nicht, dass die Politik wirklich möchte, dass politische Berichterstattung, sei es aktuell oder als Feature oder Dokumentation, nach sieben Tagen aus dem Netz genommen werden muss. Das wäre ja eigentlich gegen die Wissensgesellschaft gerichtet.

tagesschau.de: Wie schätzen Sie die Auswirkungen auf ein Nachrichtenportal wie tagesschau.de ein?

Fritz Raff: Ich kenne nichts, was sendungsbezogener ist, als tagesschau.de. Da sehe ich überhaupt keine Gefahr. Ich kann mir vorstellen, dass das einige Verleger anders sehen, aber für mich ist das eindeutig. Zumal auch die zuständigen Politiker in allen Diskussionen betont haben, dass sie tagesschau.de nicht in Frage stellen.

tagesschau.de: Sehen Sie mit diesem Entwurf die Entwicklungsgarantie, die das Bundesverfassungsgericht ja im vergangenen Jahr noch einmal bestätigt hat, für die öffentlich-rechtlichen Online-Angebote gegeben?

Zur Person
Fritz Raff ist Intendant des Saarländischen Rundfunks, der derzeit geschäftsführenden Anstalt der ARD. Dadurch ist Raff in dieser Zeit auch Vorsitzender der ARD. Raff steht seit 1996 an der Spitze des Saarländischen Rundfunks.

Fritz Raff: Karlsruhe hat uns mehr ermöglicht, als die Politik zu geben bereit ist. Nun kommt es darauf an, das enge Regelwerk in den nächsten Monaten weiter zu öffnen. Dann werden wir sehen, ob es verfassungsgemäß ist oder nicht.

tagesschau.de: Lässt dieser Entwurf noch Spielraum für langfristige Entwicklungen?

Fritz Raff: Meine persönliche Sicht ist folgende: In fünf Jahren wird kein Mensch mehr diese Diskussionen verstehen, die hier zwischen Verlegern, privaten Rundfunkveranstaltern, der Politik und den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zum Thema Online stattgefunden haben. Die Netzwelt lässt sich nicht durch Paragrafen dieser Art aufhalten.

tagesschau.de: Ist der Streit zwischen Verlegern und ARD/ZDF damit beendet?

Fritz Raff: Nein, das glaube ich nicht. Wir haben ja festgestellt, dass der VPRT und die Verlegerverbände nie damit aufhören, Brüssel ins Spiel zu bringen. Sie werden es auch jetzt wieder tun und wir müssen damit leben. Ich gehe davon aus, dass die Entwicklungen bei der ARD so stattfinden, wie bei allen anderen auch, die sich im Netz tummeln. Wir werden unseren Freiraum langfristig erhalten können.

Die Zeitungs- und Zeitschriftenverleger werden feststellen, dass wir nicht diejenigen sind, die sie im Netz wirtschaftlich schwächen. Das sind ganz andere Anbieter. Das sind die Googles dieser Welt, die T-Coms; und andere, die noch gar nicht richtig stattfinden und viel Geld haben. Wenn Sie sich vorstellen, wer alles viel Geld hat und sich noch nicht so im Netz bewegt, wie er es könnte, dann werden am Schluss nicht wir das Problem sein. Die Besorgnis ist zwar verständlich, die Verleger führen aber die Auseinandersetzung mit uns, als seien wir auf einer Insel. Wenn Sie sich das große World Wide Web ansehen, ist das doch ein exotischer Kleinkrieg der da in Deutschland geführt wird.

tagesschau.de: Der Entwurf wird ja jetzt mit der EU-Wettbewerbskommission in Brüssel beraten und muss im kommenden Frühjahr unter Dach und Fach sein. Rechnen Sie noch mit Nachforderungen der EU-Kommission?

Fritz Raff: Dafür sehe ich keine Notwendigkeit. Die deutsche Politik hat bisher den Freiraum, den Brüssel eingeräumt hat, gar nicht genutzt.

tagesschau.de: Wird die ARD den neuen Rundfunkstaatsvertrag, wenn er in dieser Form in Kraft treten sollte, akzeptieren oder notfalls vor dem Bundesverfassungsgericht dagegen klagen?

Fritz Raff: Es gibt keinen Grund, die Sektgläser rauszuholen. Es gibt noch nicht einmal einen Grund, den Sekt kalt zu stellen. Aber wir sollten jetzt keine Diskussion über eine Klage beim Verfassungsgericht führen, sondern beim Kleingedruckten am Ball bleiben. Dann könnte am Ende doch noch ein Vertragstext herauskommen, mit dem wir leben können.

Das Interview führte Marina Schmidt, tagesschau.de