Interview zum Scheitern des Olympia-Projekts "Bayern braucht Olympia nicht"
Warum haben sich die Oberbayern so klar gegen Olympia entschieden? Die Bürger hätten dem Gigantismus des IOC eine Absage erteilt, sagt Ex-Spitzensportler Michael Groß im Gespräch mit tagesschau.de. IOC-Chef Bach müsse daraus Konsequenzen ziehen.
tagesschau.de: Hat Sie das klare Votum der Bürger von München, Ruhpolding, Garmisch-Partenkirchen und Traunstein überrascht?
Michael Groß: Ich war nicht besonders überrascht. Ich habe im Vorfeld in München schon gemerkt, dass die Gegner des Münchener Olympia-Projekts sehr klug und selbstbewusst argumentierten und sehr präsent auf den Straßen waren. Das sind nicht irgendwelche Spinner, die immer gegen alles sind, sondern Bildungsbürger, die sich ein differenziertes Bild von der Lage gemacht hatten.
tagesschau.de: Warum fiel die Entscheidung so deutlich gegen eine Olympiabewerbung?
Groß: Das hat mehrere Gründe. Es gibt in Oberbayern eine ausgeprägte Heimatliebe. Die Menschen hängen an ihrer Landschaft und Region, so wie sie ist. Größere Veränderungen wie der Bau von neuen Sportanlagen und Straßen werden nicht gern gesehen. Viele befürchten außerdem unvorhersehbare Auswüchse bei der Umsetzung solcher Großveranstaltungen.
Total abschreckend ist, was sich derzeit in Sotschi tut. Zwar weiß jeder, dass es hierzulande unmöglich wäre, ganze Berge abzutragen oder aufzutürmen für die Winterspiele. Dennoch sorgt der Gigantismus von Sotschi für Skepsis und Ablehnung. Und diese Befürchtung bekommt dadurch Nahrung, dass es den Gigantismus mit schwer kalkulierbaren finanziellen und ökologischen Folgen auch in Deutschland gibt: bei Großprojekten wie Stuttgart 21 oder dem Berliner Großflughafen.
"Die Oberbayern haben sich für Sport und ihre Region entschieden"
tagesschau.de: Die Münchner Olympia-Bewerbung setzte sehr stark auf Ökologie und Nachhaltigkeit. Warum hat das nicht geholfen?
Groß: Oberbayern braucht Olympia nicht. Aber das IOC braucht Regionen wie Oberbayern. Dies sind gewachsene Wintersportregionen mit großer Attraktivität. Es gibt wenige Regionen auf der Welt, wo die Begeisterung für Wintersport so groß ist.
Die Bayern haben sich also nicht gegen den Sport entschieden – im Gegenteil: Sie hatten Sorge, dass ihre Region und der Sport durch Olympia Schaden nehmen. Und offenbar war das Vertrauen nicht groß genug, dass die Gedanken von Nachhaltigkeit und Ökologie sich im Gigantismus der aktuellen Olympischen Veranstaltungen retten lassen. Wir können in Deutschland stolz darauf sein, dass die Bürger sich mittlerweile so genau überlegen, ob eine Sache wirklich was taugt oder nicht.
tagesschau.de: Auch die Promi-Kampagne hat nicht gefruchtet. Warum?
Groß: Es reicht nicht mehr, wenn Prominente sagen: "Ich finde das gut. Seid dabei!" Die Bürger können und wollen selbst entscheiden, ob ein Projekt ihnen Nutzen bringt oder nicht. Ob Risiken kalkulierbar und Gefahren hinnehmbar sind. Und dabei spielte eine große Rolle, dass die Skepsis gegenüber dem so groß ist.
Eine Entscheidung gegen den Gigantismus des IOC
tagesschau.de: Warum ist das Image des IOC so schlecht?
Groß: Das IOC hat in den vergangenen Jahren viele Negativschlagzeilen gemacht: angefangen mit der Korruptionsaffäre 2002. Und es wurden viele schwer nachvollziehbare Entscheidungen getroffen: zum Beispiel, die Winterspiele an Sotschi zu vergeben - quasi dem Nizza Russlands. Ich kenne die Stadt, sie wäre wahrscheinlich auch ein guter Austragungsort für Sommerspiele, ist aber für Wintersport weniger geeignet. Auch nicht viel anders sieht es mit Pyeongchang als Austragungsort 2018 aus.
Es entsteht also der Eindruck, dass es bei den Entscheidungen nicht um den Sport geht, sondern dass andere Kriterien eine Rolle spielen. Und es fehlt Transparenz bei diesen Entscheidungen.
tagesschau.de: Auch in der Schweiz wurde eine Olympia-Bewerbung gerade abgelehnt. Kann in den westlichen Demokratien die olympische Idee kein Feuer der Begeisterung mehr entfachen?
Groß: Die Idee von Olympia begeistert die Menschen nach wie vor. Aber das, was in Sotschi derzeit passiert, hat mit der ursprünglichen olympischen Idee von Völkerverständigung und Begegnung ja kaum noch etwas zu tun. Da werden gigantische Anlagen mit immensen Kosten in die Landschaft gesetzt, die niemand braucht und die wohl auch nie wieder genutzt werden. Das schreckt die Menschen ab.
tagesschau.de: Hamburg und Berlin erwägen eine Kandidatur für die Olympischen Sommerspiele. Werden auch in diesen Städten die Bürger diesen Plänen einen Strich durch die Rechnung machen?
Groß: Zurzeit wäre ein "Nein" auch in Hamburg oder Berlin wahrscheinlich. Das gilt hoffentlich nicht für immer. Wenn die Bürger mittlerweile sehr genau hinschauen, ob ein Projekt nachhaltig ist und auch auf Dauer was taugt, dann müssen die Veranstalter mehr tun, um zu überzeugen. Aber möglicherweise denkt man beim IOC derzeit: "Mit den querköpfigen Deutschen handeln wir uns nur unnötig Ärger ein."
"Skepsis gegenüber Risiken von Großveranstaltungen"
tagesschau.de: Was müsste das IOC machen, um der Skepsis entgegenzuwirken und die Idee für Olympia wieder neu zu entfachen?
Groß: Das Komitee müsste Entscheidungen treffen, die zeigen, dass die olympische Idee wieder an Nummer eins steht und nicht Profitstreben und Machtpolitik. Konkret mit Blick auf die Winterspiele 2022: an Oslo als Austragungsort darf nichts mehr vorbeigehen.
tagesschau.de: Das schlechte Image des IOC liegt nicht nur in seinen Fehlentscheidungen begründet, sondern in Vorwürfen wie Korruption und Vetternwirtschaft. Muss sich das IOC von Grund auf personell und strukturell erneuern?
Groß: Das fragen Sie am besten den neu gewählten IOC-Präsidenten Thomas Bach. Er muss sich jetzt damit auseinandersetzen, dass in seinem Heimatland die Menschen aktuell nicht bereit sind, diese Art von sportlichen Großveranstaltungen mitzutragen, bei denen die betroffene Region das Risiko trägt, der Profit aber zum IOC wandert. Damit muss er umgehen. Ob er und das ganze IOC daraus Lehren und Konsequenzen ziehen, das werden wir sehen.
Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de.