Zwischenbilanz des NSU-Prozesses Von krawallig bis halbherzig
Der Richter - akribisch. Die Zschäpe-Verteidiger - krawallig. Die Bundesanwälte - unauffällig. So lassen sich die ersten Monate des NSU-Prozesses zusammenfassen. Was schade ist: Die Opferanwälte wirken bislang halbherzig, findet Holger Schmidt.
Bei Großprozessen dieser Art ist eine Unterbrechung von einigen Wochen in der Sommerzeit nicht ungewöhnlich. Weil die Angeklagten Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben in Untersuchungshaft sitzen, gilt zwar das Beschleunigungsgebot, doch es ist anerkannt, dass auch Richter, Staatsanwälte und Verteidiger Erholungspausen brauchen.
Im NSU-Prozess ist diese Pause für manche Beteiligte gerade dringend nötig - und sie gibt Anlass für eine Zwischenbilanz: Das Verfahren hat seine Routine gefunden. Akribisch und überwiegend mit der nötigen Ruhe leitet der Vorsitzende Richter Manfred Götzl die Hauptverhandlung. Details sind ihm wichtig, so wichtig, dass bei vielen Zeugen alle Fragen gestellt sind, wenn Manfred Götzl seinen Katalog abgearbeitet hat. Versuchen Nebenkläger oder Verteidiger danach, weitere Fragen zu stellen, achtet der Vorsitzende sehr genau darauf, dass es keine Dubletten gibt. Er will das Verfahren straff und am engen Zügel führen.
Streit, wo keiner nötig wäre
Besonders die Verteidiger von Beate Zschäpe haben am Anfang versucht, sich ihren Spielraum zu erkämpfen - mit einer Reihe von Anträgen, darunter auch Befangenheitsanträgen. Das hat in der Öffentlichkeit für viel Kritik gesorgt - doch mit dem Mandat waren ohnehin keine Sympathiepunkte zu holen. Inzwischen haben die Zschäpe-Anwälte ihre Rolle gefunden. Oft reicht ein Blickwechsel mit dem Vorsitzenden, wenn ein Zeuge zu leise oder eine Antwort ausweichend ist. Manfred Götzl signalisiert dann mit einem Blick oder einer Geste, dass man sich einig ist. Trotzdem kracht es ab und an. Manchmal habe ich den Eindruck, die Verteidigung hat Angst davor, zu brav zu sein, und sucht Streit auch da, wo der gar nicht nötig wäre. Anders geht die Verteidigung von Ralf Wohlleben vor: Sie scheint die Taten insgesamt in Zweifel ziehen zu wollen.
Angeklagter in Neonazi-Klamotten
Die Verteidiger von Carsten S., Holger G und André E. verstecken sich derweil beinahe. Jeweils mit guten Gründen: Carsten S. und Holger G. haben Angaben gemacht und hoffen auf eine milde Strafe. Bei Carsten S. könnte das klappen, Holger G. weigert sich aber bislang, selbst Fragen zu beantworten und lässt nur seine Anwälte sprechen. André E. signalisiert unter anderem durch seine Kleidung, dass er der Neonazi-Szene weiterhin nahesteht. Manchmal kommen regional bekannte Neonazis als Zuschauer in den Prozess und grüßen André E. mit Handzeichen – und André E. grüßt zurück.
Über die Bundesanwaltschaft ist wenig zu sagen: Das Team von Herbert Diemer sitzt in der Regel zu viert im Saal. Bislang sehen sie ihre Maximalanklage gegen Beate Zschäpe bestätigt, doch es wurde auch deutlich, unter welchem großen Druck die Ermittlungen standen und dass in der Eile auch Fehler gemacht wurden. So hätte man sich bei der Vernehmung der aussagebereiten Angeklagten detailliertere Fragen gewünscht. Dass diese Fragen fehlten, könnte letztlich Beate Zschäpe helfen.
Wer verleiht den Opfer eine Stimme?
Bleibt am Ende die Zwischenbilanz aus Sicht der Nebenklage. Das ist gerade bei diesem Prozess ein besonders wichtiger, zugleich aber besonders schwieriger Punkt. Denn viele Nebenklägeranwälte nehmen ihr Mandat nur sehr halbherzig und zudem fachlich schlecht war. Eine gemeinsame Strategie ist nur bei wenigen Anwälten zu erkennen. Einzelne Nebenklagevertreter nutzen ihr Mandat für Polemik gegen Ermittler, versuchten sogar, Polizeibeamte zu beschimpfen, bis der Vorsitzende eingriff.
Die Stimme der Opfer, für die die Nebenklage ja gedacht ist, war bislang viel zu selten zu hören. Das kann sich noch ändern - denn selbst wenn das Programm so zügig weiter geht, wird der Senat noch monatelang verhandeln. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Öffentlichkeit weiter am Ball bleibt. Bislang ist das der Fall: Auch für mich ist es die größte Überraschung, dass die Zuschauer- und Medienplätze jeden Tag sehr gut gefüllt sind. Und auch ich habe vor, auch nach der Sommerpause wieder von jedem Verhandlungstag aus München zu berichten.
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