Interview

Interview zur Bürgerschaftswahl "Bedeutung für den Bund nicht überschätzen"

Stand: 21.02.2011 11:23 Uhr

Der Hamburger SPD sei mit ihrem Wahlsieg zwar etwas Besonderes gelungen - das habe aber nichts mit der Bundesebene zu tun, meint Politikwissenschaftler Neugebauer im Interview mit tagesschau.de. Auch die deutliche Niederlage der CDU könne Kanzlerin Merkel kaum schaden, schließlich habe sie geschickt agiert.

tagesschau.de:  Die CDU stürzt dramatisch ab, die SPD fährt einen sensationellen Erfolg ein. Was bedeutet dieses Ergebnis für den Bund?

Gero Neugebauer: Für die Bundesregierung wird das Regieren schwerer. Fehlte ihr bisher nur eine Stimme im Bundesrat, sind es jetzt vier Stimmen. Das kann natürlich künftige Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition verkomplizieren.

Zur Person

Gero Neugebauer studierte Politik- und Sozialwissenschaften. Bis 2006 unterrichtete er hauptamtlich am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Er war dort danach als Lehrbeauftragter tätig und arbeitet als politischer Publizist. Schwerpunkte seiner Forschung sind das deutsche Parteiensystem sowie Wahlen und Wahlverhalten.

tagesschau.de: Das war es schon?

Neugebauer: Ich würde die bundespolitische Bedeutung der Bürgerschaftswahlen nicht überschätzen. In Hamburg standen landespolitische Themen im Mittelpunkt des Interesses der Wähler, Bundespolitik war kaum gefragt. Jetzt von einer Wiederauferstehung der SPD oder auch einer rot-grünen Mehrheit auf Bundesebene zu reden, ist sicherlich verfrüht.

tagesschau.de: Trotzdem müsste die SPD im Bund doch etwas von den Hamburger Genossen lernen können? Während die Sozialdemokraten dort fast 50 Prozent holen, kommen sie im Bund laut den jüngsten Umfragen auf gerade mal 25 Prozent.

Neugebauer: Tatsächlich ist der SPD in Hamburg etwas Besonderes gelungen. Sie hat ihre Stammwählerschaft gehalten, darüber hinaus aber auch Wechselwähler hinzugewonnen, die bis vor Kurzem wenig mit der SPD anfangen konnten.

Geschickte Verknüpfung von Wirtschafts- und Sozialpolitik

tagesschau.de: Wie hat sie das gemacht?

Neugebauer: Sie hat im Wahlkampf geschickt die Themen Wirtschafts- und Sozialpolitik miteinander verknüpft und mit Olaf Scholz einen Kandidaten gefunden, den die Wählerinnen und Wähler offenbar in beiden Bereichen für kompetent halten.

tagesschau.de: Dann müsste die SPD im Bund dieses Erfolgsmodell doch eigentlich nur kopieren?

Neugebauer: Eigentlich ja. Doch schaut man sich die Umfragen auf Bundesebene an, vermissen die Wählerinnen und Wähler bei der Bundes-SPD wohl jemanden, der diese beiden Kompetenzen glaubwürdig miteinander vereint.

tagesschau.de: Dann wird Olaf Scholz wohl künftig auch in der Bundespolitik eine noch größere Rolle spielen?

Neugebauer: Das wird er ganz bestimmt. Als Hamburger Regierungschef mit einem solchen Wahlergebnis im Rücken steigt natürlich auch seine bundespolitische Bedeutung. Aber er wird sich jetzt ganz sicher nicht als Kandidat für die Bundestagswahl 2013 ins Gespräch bringen. Dafür ist er viel zu klug.

CDU hatte Wahl schon abgeschrieben

tagesschau.de: Kommen wir zur Wahlverliererin des heutigen Abends - der CDU. Verhagelt das miserable Ergebnis in Hamburg der Union den Start in das Superwahljahr 2011?

Neugebauer: Natürlich ist das kein guter Start. Aber insgeheim hatte die CDU auf Bundesebene die Wahl in Hamburg ja eh schon abgeschrieben. Und Angela Merkel hat wieder einmal geschickt agiert. Sie hat sich im Hamburger Wahlkampf zwar engagiert, aber sich nicht mit den Inhalten des dortigen Wahlkampfs - und der Rückbesinnung auf sehr konservative Werte - gemein gemacht. Insofern ist das Hamburger Ergebnis sicherlich keine Wahlschlappe, die nun Angela Merkel angehängt werden kann.

Diskrepanz zwischen Umfrage und Ergebnis

tagesschau.de: Mit ihrer Entscheidung, die Koalition zu verlassen, haben die Hamburger Grünen die vorgezogenen Neuwahlen ja erst möglich gemacht. Jetzt sind sie nicht mehr in der Regierung. Haben sich die Grünen verspekuliert und werden darunter auch im Bund leiden?

Neugebauer: Nun, sie müssen feststellen, dass es nun mal eine große Diskrepanz zwischen Umfragewerten und der eigentlichen Wahl geben kann und Umfragen deshalb nicht die Basis für politische Entscheidungen sein sollten. Außerdem hat Hamburg noch eines deutlich gemacht: Je mehr die Grünen in die Regierungsnähe kommen, umso stärker erzeugen sie auch Widerstand unter den Anhängern, die früher die Grünen für ihre Politik gelobt haben. Das ist natürlich ein Dilemma für die Partei - auch auf Bundesebene.

Verschnaufpause für Westerwelle?

tagesschau.de: Die FDP ist wieder in die Hamburger Bürgerschaft eingezogen. Bedeutet das für die Bundes-FDP und vor allem Guido Westerwelle eine Verschnaufpause?

Neugebauer: Die Hamburger Liberalen haben ausschließlich einen personenbezogenen Wahlkampf geführt - ohne jegliche Inhalte. Das wird ihnen auf Bundeseben nichts helfen. Es sei denn, sie stilisieren sich als eine Partei, die mehr über "Models" Politik macht als über Inhalte. Wenn die Liberalen so mager in die kommenden Landtags- und Bundestagswahl gehen wollen, dann wird das bei den Wählerinnen und Wählern nicht fruchten.

tagesschau.de: Die Linkspartei bleibt weiterhin in der Hamburger Bürgerschaft. Wie wichtig ist das Ergebnis für die beiden angeschlagenen Bundesvorsitzenden Gesine Lötzsch und Klaus Ernst?

Neugebauer: Die Linkspartei erspart sich mit diesem Ergebnis sicherlich Diskussionen über die Führungsspitze in Berlin. Den Wählerinnen und Wählern ist es offensichtlich ziemlich egal, was beispielsweise Gesine Lötzsch über den Kommunismus denkt. Die wählen die Linkspartei deshalb, weil sie bestimmte politische Inhalte in die Parlamente hineinbringt und weil sie die Linke nach wie vor mit Protest verknüpfen. Insbesondere in den westdeutschen Bundesländern ist das so. Aber auch wenn die Linkspartei in Hamburg eine gute Figur gemacht hat - die kommenden Wahlen in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz sind für die Partei sehr viel wichtiger. 

Das Interview führte Niels Nagel, tagesschau.de.