Strategiewechsel im Internet Flucht in die Netzwerke
Hacker-Angriffe, Razzien, Haftstrafen - viele neonazistische Internet-Seiten stehen unter Druck. Daher wächst auch für die Rechtsextremen die Bedeutung von sozialen Netzwerken. Das Problem Rechtsextremismus im Netz habe sich dadurch verschärft, warnt Jugendschutz.net nun.
Von Patrick Gensing, tagesschau.de
Das braune "Weltnetz" hat in den vergangenen Monaten erfahren müssen, dass Neonazi-Propaganda nicht widerspruchslos hingenommen wird - auch nicht im Internet. Jüngste Razzien gegen das einflussreiche Neonazi-Forum Thiazi.net sorgten für große Unruhe in der Szene. Zuvor musste bereits der Betreiber der über Jahre wichtigsten rechtsextremen Internet-Seite in Deutschland für mehr als zwei Jahre ins Gefängnis. Der Ex-NPD-ler aus Stralsund war wegen Volksverhetzung, Beleidigung und weiterer Delikte auf seiner Internet-Seite verurteilt worden.
Unter Druck
Dass Neonazis im Netz ihre Propaganda verbreiten und ihre Gegner offen bedrohen, ist nicht neu. Doch die Sicherheitsbehörden nehmen nach dem Bekanntwerden der NSU-Terrorserie diese Aktivitäten offenbar ernster. In Berlin ging die Polizei im März gegen einen hochrangigen Berliner NPD-Funktionär vor, der bereits seit Jahren als Betreiber einer Internet-Seite gilt, auf der "Feindeslisten" geführt wurden.
Den Neonazis drohen aber nicht nur Konsequenzen von staatlicher Seite - rechtsextreme Medienprojekte werden zudem im Netz immer wieder durch Hacker angegriffen. Erst im März brachen Anonymous-Aktivisten in den Online-Versandhandel der NPD ein, zeigten auf den Seiten ein Video aus dem Film "Inglourious Basterds" und veröffentlichten mehr als 1000 Kundendaten im Netz. Kein Einzelfall, Aktivisten aus dem Anonymous-Kollektiv betreiben unter dem Titel "Operation Blitzkrieg" eine breit angelegte digitale Offensive gegen rechtsextreme Propaganda im Netz.
Die Vorteile der Sozialen Netzwerke
Die Neonazis treffen also zunehmend auf Schwierigkeiten im Internet, die Reichweite von ihren Seiten ist zudem überschaubar, da neue Besucher erst ins braune Netz gelotst werden müssen. Was liegt also näher, als selbst dorthin zu gehen, wo die Massen sind? Die sozialen Netzwerken mit ihren vielen Millionen Mitgliedern bieten sich dafür an.
Einen weiteren Vorteil sehen die Neonazis darin, keine eignene Infrastruktur aufbauen und pflegen zu müssen, zudem können sich Neonazis in laufende Diskussionen einmischen und diese möglicherweise in ihrem Sinne lenken - mit ihrer "Wortergreifungsstrategie". Außerdem können schnell alte Bekanntschaften aufgefrischt und neue geschlossen, das eigene Netzwerk also erweitert werden.
"Problem hat sich verschärft"
Die Bedeutung ihrer eigenen Internet-Seiten nimmt ab, soziale Netzwerke gewinnen gleichzeitig. Dementsprechend stellte Jugendschutz.net in seinem Jahresbericht für 2011 fest, das Problem des Rechtsextremismus im Internet habe sich verschärft. Während die Zahl "jugendschutzrelevanter Websites" leicht rückläufig sei (1671, Vorjahr: 1708), nahmen rechtsextreme Beiträge im Web 2.0 weiter zu. So habe sich beispielsweise die Zahl rechtsextremer Twitter-Accounts fast vervierfacht.
Auch die NPD nutzt die Mitmachnetze. Jugendschutz.net beobachtete, dass mittlerweile sämtliche NPD-Landesverbände im Web 2.0 aktiv seien. Auch die "Kameradschaften" werben für Events vor allem über reichweitenstarke Dienste wie Facebook und YouTube. Einzelne rechtsextreme Videos kommen hier auf Hunderttausende Zugriffe.
Suche nach Gegenstrategien
Besonders erfolgreich sind rechtsextreme Angebote, die auf emotionale Themen setzen und an vorhandene Stimmungen und Ressentiments in der Gesellschaft andocken - beispielsweise mit Hetze gegen den Islam oder Kampagnen gegen sexuelle Gewalt gegen Kinder. Jugendschutz.net schreibt dazu: "Die menschenverachtenden Anliegen werden häufig verschleiert, um auch junge Menschen außerhalb der Szene zu erreichen." Diese Strategie sei erfolgreich - und daher müssten vor allem Strategien entwickelt werden, wie dieser Propaganda entgegengewirkt werden könne.
Die beschriebene Verlagerung ins Netz 2.0 zeigt: Razzien gegen neonazistische Internet-Projekte allein lösen das Problem Rechtsextremismus nicht, da Neonazis ausweichen können. Daher sind die Betreiber und Nutzer der Netzwerke gefragt. Die Initiative "Soziale Netzwerke gegen Nazis" war die erste, die an die User der Netzwerke appellierte, rechtsextremen Inhalten entgegenzutreten, aber auch die Betreiber in die Pflicht nahm. Zahlreiche Firmen beteiligten sich - nur Facebook fehlte. Die Kampagne der Amadeu-Antonio-Stiftung wurde nun von "no-nazi.net" abgelöst, eine Seite, die sich vor allem an jugendliche Nutzer wendet und vom Bundesjustizministerium unterstützt wird.
Mit einer Mischung aus Humor und Sachinformationen sollen Jugendliche stark gemacht werden, sich gegen rechtsextreme Hetzparolen zu wehren - ein Abwehrzentrum gegen die braunen Strategien im Netz sozusagen.
"Wir wollen die Jugendlichen dort ansprechen, wo sie ihre Freunde treffen, ihre Freizeit verbringen und sich entsprechend auch positionieren und engagieren wollen", betonte Redakteurin Simone Rafael - und konnte noch eine gute Nachricht verkünden: Dieses Mal ist auch Facebook dabei.