Jagd oder Schutz Streit über den Wolf
Der Wolfsbestand wächst. Zu stark, sagen viele Landwirte und der Jagdverband. Die Tiere müssten gejagt werden dürfen. Naturschützer fordern für die Raubtiere hingegen stets Vorrang vor dem Nutzvieh.
Es sind nicht nur heitere Bilder von Tieren auf der Weide, die Jens Schreinicke zu sehen bekommt, sondern auch häufiger die von gerissenen Tieren. Er ist Landwirt und seit sieben Jahren Wolfsbeauftragter des Landesbauernverbands Brandenburg. Das ist nicht immer leicht.
Und beim Anblick eines toten Tieres, gerissen von einem Wolf, hofft er nur, dass es nicht lange leiden musste. "Was meinen Sie, wie die Leute das empfinden, wenn die Tiere so auf der Koppel liegen?", fragt Schreinicke.
Entschädigung für gerissene Tiere
Für gerissene Nutztiere bekommen Halter Entschädigungen und weiteres Geld für Schutzmaßnahme. "Man dürfte denken, Lämmchen und Wölfchen kommen dann nebeneinander einwandfrei klar auf der Koppel. Aber Pustekuchen", sagt der Landwirt.
In Brandenburg sind die Zahlen getöteter, verletzter oder verschollener Nutztiere deutlich gestiegen: 2007 wurden vier Fälle registriert und 2022 sind es gut 1100. Doch die Dunkelziffer sei noch größer. "Viele Nutztierhalter melden schon gar nicht mehr die Vorfälle", stellt Schreinicke fest.
Tierhalter von größeren Betrieben hätten nicht die Zeit, sich mit einem sogenannten Rissgutachter zu verabreden. Da gingen schnell zwei Stunden verloren. Aber ohne Gutachten gibt es keine Entschädigung.
Wachsende Zahl an Wölfen
Auch der Deutsche Jagdverband (DJV) sieht die wachsende Zahl an Wölfen kritisch. "Wölfe in Deutschland breiten sich stark aus, wir gehen bundesweit von etwa 2000 Wölfen für Frühsommer 2022 aus. In Brandenburg leben jetzt schon mehr Wölfe als im 18-mal größeren Schweden", sagt Vizepräsident Helmut Dammann-Tamke. Das Bundesamt für Naturschutz verzeichnete für das vergangene Jahr etwa 1200 Tiere.
Trotz Sicherheitsmaßnahmen würden Wölfe immer mehr Nutztiere, von Schaf über Pferd bis Rind, auf Weiden schwer verletzten, so der DJV. Dammann-Tamke betrachtet dabei nicht nur die finanzielle Seite, sondern auch die emotionale: "Kein Geld der Welt kann im Einzelfall die emotionale Bindung eines Tierhalters auch nur ansatzweise ausgleichen." Der Verband wünscht sich eine Neubewertung und die Überprüfung des Schutzstatus des Wolfs.
Helmut Dammann-Tamke: "Kein Geld der Welt kann im Einzelfall die emotionale Bindung eines Tierhalters auch nur ansatzweise ausgleichen."
Bejagung wie in Schweden?
Die Jäger sehen Weidehaltung und Grünlandnutzung vielerorts ernsthaft in Gefahr, da Nutztierrisse stark zunähmen. Sie fordern deshalb, dass ein aktives Bestandsmanagement für den Wolf möglich sein muss. Inklusive Bejagung - wie Schweden, Finnland oder Frankreich es vormachen.
Das Bundesamt für Naturschutz hält dagegen, dass eine Jagd auf Wölfe nicht dauerhaft Schäden vermeide. Unzureichend oder nicht geschützte Weidetiere würden auch weiterhin durch andere Wölfe gerissen werden. Das Naturschutzamt beobachtet genau, wie sich der Bestand entwickelt. Die meisten Wolfsrudel leben in Brandenburg (47) gefolgt von Niedersachsen (34) und Sachsen (31).
Das Thema Wolf steht auch auf der Tagesordnung der heute endenden Umweltministerkonferenz. Bei ihrem Treffen befassen sich die Länderminister mit einem Bericht zur Ermittlung der Größe der "günstigen Referenzpopulation" für Wölfe. Außerdem beraten sie über das weitere Vorgehen im Umgang mit der Art.
Kein Mensch verletzt durch Wolf
Der Verein "Freundeskreis freilebender Wölfe" kritisiert die Diskussion in Deutschland als Scheindebatte. Er hebt hervor, dass seit der Rückkehr der Art in Deutschland kein Mensch durch einen freilebenden Wolf verletzt worden sei.
Auf europäischer und nationaler Ebene ist der Wolf streng geschützt. Der Verein verweist darauf, dass dieser laut Bundesamt als größtes Landraubtier in Deutschland eine besondere Stelle im Ökosystem einnimmt und ein natürlicher Bestandteil der heimischen Fauna ist. Die wachsende Population sei von der EU gewünscht, um auch in Deutschland einen Zustand herzustellen, dass der Wolf allein überleben kann. Die Sorgen der Weidetierhalter und Bauern halten die Wolfsschützer für übertrieben.
Vereinssprecher Hendrik Spiess vertritt eine eindeutige Position: "Der Wolf als bedrohte Art hat absoluten Vorrang vor Schlachtvieh". Er fordert, die Weidetierhaltung im Bundesgebiet müsse flächendeckend mit wolfsabweisenden Zäunen geschützt werden.
Henrik Spiess: "Der Wolf als bedrohte Art hat absoluten Vorrang vor Schlachtvieh."
Auch eine Studie des Bundesamtes für Naturschutz empfiehlt den Bundesländern, in Gebieten, die derzeit nicht vom Wolf besiedelt sind, effektive Schutzmaßnahmen für Weidetiere finanziell zu fördern und in der Fläche umzusetzen.
Nur mit Herdenschutz sei es möglich, Übergriffe auf Nutztiere dauerhaft zu reduzieren, heißt es beim Bundesamt. Bereits heute lebten Wölfe in Deutschlands dicht besiedelter Kulturlandschaft oft in direkter Nähe zum Menschen. Sie würden jedoch nicht die Begegnung mit Menschen suchen.