Supererreger Wie entstehen multiresistente Keime?
Hunderttausende Menschen sterben weltweit bereits an multiresistenten Keimen - Tendenz steigend. Doch was genau sind die Erreger und wie entstehen sie überhaupt? Und weshalb gibt es noch kein neues Medikament, das sie bekämpft?
Was sind eigentlich multiresistente Erreger?
Die Welt ist voller winzig kleiner Lebewesen, den "Mikroorganismen". Dazu gehören etwa Bakterien, Viren, Parasiten und Pilze. Sie alle zusammen werden umgangssprachlich auch "Keime" genannt. Einige von ihnen können schwere Krankheiten verursachen. Bestimmte Medikamente wie Antibiotika töten die Erreger ab oder hindern sie daran, sich zu vermehren. Allerdings verändern sich die Kleinstlebewesen ständig.
Sie können Abwehrmechanismen gegen die Medikamente entwickeln, sogenannte Resistenzen. "Multiresistent" bedeutet also, dass ein Erreger gegen mehrere wichtige Medikamente Abwehrmechanismen entwickelt hat und diese Mittel nicht mehr wirken. Große Sorge bereiten derzeit vor allem multiresistente Bakterien. Sie können zu verschiedensten Infektionen führen - etwa zu Lungen-, Harnwegs- oder Hirnhautentzündungen, Wundinfektionen oder im schlimmsten Falle auch zu einer Sepsis ("Blutvergiftung").
Oft geben die Ärzte bei einer akuten Erkrankung zunächst ein Standard-Antibiotikum, können aber erst einige Tage später feststellen, ob es tatsächlich wirkt. Falls das nicht der Fall ist, hat sich die Entzündung möglicherweise schon im Körper ausgebreitet.
Die meisten Bakterien vermehren sich rasend schnell. Viele Arten verdoppeln sich etwa alle 20 Minuten. Und je mehr Abwehreigenschaften sie erworben haben, desto schwieriger ist es, noch ein Gegenmittel zu finden. Falls kein Antibiotikum mehr wirkt, können Patienten sterben - auch an Krankheiten, die lange Zeit als besiegt galten. Schon eine einfache Wundinfektion oder Blasenentzündung kann tödlich enden. Auch Operationen oder Chemotherapien bei einer Krebserkrankung können ohne wirksame Antibiotika äußerst gefährlich verlaufen.
Deshalb sprechen Experten von einer Bedrohung für die gesamte moderne Medizin. Schon jetzt sterben weltweit geschätzt etwa 700.000 Menschen jedes Jahr an Erkrankungen durch multiresistente Erreger. Diese Zahl steigt weiter an.
Wie entstehen und verbreiten sich solche Erreger?
Bakterien, Pilze oder Viren "speichern" wie alle Lebewesen ihre Eigenschaften in ihren Genen. Wenn sich diese Erreger vermehren, geben sie diese Merkmale weiter. Der genetische Code ändert sich immer ein wenig. So können sich die Lebewesen auch veränderten Lebensbedingungen anpassen. Das bezeichnet man als Mutation. So können komplett neue Eigenschaften entstehen - bei Bakterien etwa die Fähigkeit, sich gegen bestimmte Antibiotika zu wehren.
Wenn dann diese Mittel eingesetzt werden, sterben andere, nicht-resistente Bakterien. Die resistenten Erreger haben also einen Überlebensvorteil, mehr Platz für sich und können sich dementsprechend ausbreiten. Außerdem verfügen Bakterien noch über eine ganz besondere Eigenschaft: Sie können Gene direkt untereinander austauschen. Wenn also ein Bakterium eine Resistenz entwickelt hat, kann es diese auch an andere Erreger in der Umgebung übertragen.
Wie kann man sich anstecken?
Viele Erreger tragen wir ständig mit uns herum. Sie sitzen auf der Haut, im Darm oder irgendwo anders im Körper. Mediziner sprechen dann von einer "Besiedelung" oder "Kolonisation". Auch in der Umwelt sind viele Erreger zu finden: auf Türklinken, im Wasser oder sogar in der Luft.
Manche sind gefährlich, weil sie im Körper des Menschen Erkrankungen auslösen. Dazu gehören zum Beispiel Hepatitisviren oder Salmonellen. Letztere sind Bakterien, die vor allem auf Eiern oder Geflügelfleisch vorkommen und Durchfall verursachen.
Die meisten Erreger sind jedoch harmlos, solange unser Immunsystem funktioniert und sie sich nicht allzu sehr ausbreiten können. Zu dieser Gruppe gehören etwa die Escherichia coli-Bakterien, auch Kolibakterien genannt, oder Klebsiellen. Sie leben im Darm von Menschen und Tieren. Manche dieser Erreger können zu schweren Krankheiten führen, vor allem bei Menschen, deren Immunsystem schwach ist - etwa bei Älteren, Kleinkindern oder solchen, die an chronischen Erkrankungen leiden. Gefährlich werden kann es, wenn die Darmbakterien sich in anderen Körperregionen verbreiten, wenn sie beispielsweise in die Lunge kommen oder bei einer OP in eine offene Wunde geraten - und wenn dann Antibiotika nicht wirken.
Warum werden nicht einfach neue Medikamente entwickelt?
Lange Zeit wurde das nicht als so dringlich erachtet. Es standen ja eine ganze Reihe von Antibiotika zur Verfügung und alle dachten: Das reicht. Jahrzehntelang wurde die Forschung an neuen Antibiotika komplett vernachlässigt. Doch dieser Glaube war falsch. Erst langsam wurde klar, dass Bakterien viel anpassungsfähiger und gefährlicher sind als gedacht. Und jetzt ist das Problem: Die Entwicklung neuer Medikamente ist extrem aufwändig, langwierig und teuer.
Es kann zehn bis 15 Jahre dauern, bis ein Antibiotikum erforscht und zugelassen wird. Die Kosten dafür betragen Hunderte Millionen Euro. Außerdem lohnt es sich für Hersteller nicht wirklich, neue Antibiotika zu entwickeln. Denn im Idealfall sollte ein solches Mittel zunächst möglichst gar nicht verwendet werden, zumindest solange andere Antibiotika noch wirken. Denn es ist klar: Sobald ein neues Medikament eingesetzt wird, entstehen auch Resistenzen gegen dieses Mittel. Die Evolution der Bakterien verläuft rasend schnell.
Außerdem lässt sich mit Antibiotika nicht viel Geld verdienen, da sie im Vergleich zu anderen Medikamenten wie modernen Krebsmitteln relativ günstig sind - und vor allem, weil sie die Patienten recht schnell gesund machen. Wenn man ein Antibiotikum nimmt, und es wirkt, sind die Bakterien nach ein bis zwei Wochen besiegt. Viel mehr Geld lässt sich mit Mitteln gegen chronische Krankheiten wie Diabetes oder Erkrankungen des Nervensystems verdienen.