Fußball Wenn Profis Nachwuchs suchen
Viele Kinder und Jugendliche träumen von einer Karriere als Fußballprofi. Top-Talente gibt es durchaus. Aber selbst von ihnen gelingt es nur ganz wenigen, ihren Traum zu verwirklichen - trotz der Fördersysteme. Wo hakt es?
Wenn Valentin Beckert den Fußballrasen auf dem DFB-Stützpunkt in Neutraubling betritt, zieht er die Blicke auf sich. Der 14-Jährige überragt mit seiner Größe von 1,90 Meter seine gleichaltrigen Mitspieler, mit denen er in der Regionalauswahl Ostbayern spielt. Die besten Junioren vom Bayerischen Wald bis Bayreuth trainieren oder spielen hier in Neutraubling bei Regensburg einmal pro Woche zusammen.
So viele Talente an einem Ort locken auch die Scouts von Vereinen aus der ersten und zweiten Bundesliga, die von hier schon so manchen Jugendspieler in ihre Nachwuchsleistungszentren geholt haben. Die Spieler wissen das. Auch Valentin lässt sich von seinen Eltern daher jede Woche mehr als 100 Kilometer fahren, um seinem Traum von Fußballprofi näher zu kommen.
Zu wenig Spielpraxis für Fußballtalente
Trotz talentierter Spieler wie Valentin Beckert sieht Rudi Völler mit Blick auf den Fußballnachwuchs "dunkle Wolken" aufziehen. Der neue Sportdirektor der Nationalmannschaft muss mit einer stetig sinkenden Zahl an U23-Spielern in der Bundesliga umgehen.
Bei der Nationalmannschaft und für einzelne Positionen fehle eine Auswahl an Top-Talenten, bestätigt auch Joti Chatzialexiou, sportlicher Leiter Nationalmannschaften beim DFB. "Es ist nicht so, dass es keine Top-Talente im deutschen Nachwuchsfußball gibt, aber es gibt zu wenige Spieler, die sich dann auch zu Topspielern im Profibereich weiterentwickeln." Laut Chatzialexiou liegt das zum einen daran, dass Talente zu wenig Spielpraxis in den ersten Mannschaften erhalten. Zum anderen müsse auch der Wettbewerb im Nachwuchsbereich so gestaltet sein, dass mutige kreative Aktionen gefördert werden. Heißt: mehr Fußballspielen statt Taktik.
Valentin Becker (Mitte) hat ein klares Ziel: Fußballprofi
Wenige schaffen Sprung zu den Profis
Dabei gibt es in Deutschland zwei sich teils ergänzende Förderstrukturen. Neben den DFB-Stützpunkten, in denen Talente aus dem Amateurbereich gefördert werden, gibt es 56 Nachwuchsleistungszentren, die von Profivereinen aufgebaut und finanziert werden.
Meistens führt der Weg eines Jugendspielers von einem DFB-Stützpunkt über eine Regionalauswahl in ein Nachwuchsleistungszentrum eines Proficlubs. Doch sich in deren Jugendmannschaft durchzusetzen, gelingt den wenigsten Spielern.
Bei 56 Leistungszentren liegt die Wahrscheinlichkeit für einen zwölfjährigen Jugendspieler bei höchstens 0,1 Prozent, so Chatzialexiou vom DFB. Die Quote verbessert sich zwar bis zur U19 auf zehn Prozent. Allerdings auch, weil viele Spieler bis dahin nicht mehr dabei sind.
Statt Bolzplatzmentalität zu früh auf Profi getrimmt
Am DFB-Stützpunkt in Neutraubling gibt Valentin Beckert alles. Es ist das letzte Training vor dem Spiel gegen die Jugendmannschaft eines Proficlubs. Und der 14-Jährige will in den Kader - wie alle hier. Johannes Ederer muss entscheiden, wer für die Regionalauswahl spielt und wer nicht.
Talente sehe er genügend, sagt der Koordinator für die DFB-Stützpunkte in Ostbayern. Was in den vergangenen Jahren aber gefehlt habe, sei die Bolzplatzmentalität. Stattdessen seien die Jugendspieler zu früh zu sehr auf Profi und Ergebnisse getrimmt worden. "Die Mama, der Papa, die Freunde, vielleicht auch mal die ein oder andere Jugendsünde, die man zu Hause auch begehen kann, sind für die Entwicklung eines Kindes ganz wichtig. Und da wird natürlich beim Profiverein anders geschaut, als das vielleicht hier im Breitensport noch der Fall ist."
Ederer hat schon oft gesehen, wie Jugendspieler wieder zu den Amateurvereinen zurückgekommen sind, weil sie für den nächsten Schritt noch nicht bereit waren.
Trainer Johannes Ederer im Gespräch mit jungen Spielern.
Geduld bei Spielerentwicklung
Damit die Talente nicht auf der Strecke bleiben, braucht es laut DFB mehr qualifizierte Trainer - auch im Amateurbereich. Für Chatzialexiou müssten diese vor allem das Verständnis mitbringen, "Talente entwickeln und begleiten zu wollten, statt jedes Wochenende den Sieg des Kollektivs in den Fokus zu rücken".
Der sportliche Leiter der Nationalmannschaften hofft so, dass auch sogenannte Spätentwickler mehr Aufmerksamkeit und Geduld erfahren. Damit einher geht, dass Talente in ihren Vereinen mehr Spielpraxis bekommen und sich gegen etablierte Spieler beweisen können. Forderungen, die die Verantwortlichen für die Nachwuchsarbeit beim DFB bereits vor dem Ausscheiden der Nationalmannschaft bei den Weltmeisterschaften in Russland und Katar gestellt haben. "Leider scheitert deren Umsetzung noch zu häufig an kurzfristig ausgerichteten und sehr spezifischen, individuellen Interessen." Unter anderem würden Profivereine vielmehr Spieler aus dem Ausland scouten, so Chatzialexiou.
Auf dem DFB-Stützpunkt in Neutraubling geht das Training zu Ende. Valentin Becker atmet schwer, stützt sich mit den Händen auf seinen Knien ab. Er kann zufrieden sein. Sein Einsatz zahlt sich aus: Für das nächste Spiel steht er im Kader. Und vielmehr noch: Der 14-Jährige hat mehrere Angebote von Vereinen aus der ersten und zweiten Bundesliga erhalten. Damit ist er seinem Traum vom Profifußballer so nah wie nie. Und wer weiß - vielleicht wird er irgendwann mal für die Nationalelf auflaufen.