Interview

SPD-Fraktionsvize Stiegler "Es war eine anstrengende erste Halbzeit"

Stand: 27.08.2007 08:53 Uhr

Trotz Kommunikations-GAU Hartz IV und unverändert hoher Arbeitslosigkeit: Ludwig Stiegler blickt zur Halbzeit der Legislaturperiode optimistisch in die Zukunft. Die Bundesregierung werde in zwei Jahren die Prämie für ihre Standfestigkeit in Sachen Reformen kassieren, meint der Vizevorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion.

tagesschau.de: Herr Stiegler, wie fällt Ihre Halbzeitbilanz aus?

Stiegler: Es war eine wirklich anstrengende erste Halbzeit. Wir haben unglaublich viele Änderungen im Denken und Handeln verkraften müssen. Aber immer mehr Menschen akzeptieren, dass die Sanierungs- und Konsolidierungsmaßnahmen sein müssen. Wir bekommen ein Stück weit Anerkennung für unsere Standfestigkeit.

tagesschau.de: Was hat Rot-Grün bislang erreicht?

Stiegler: Wir haben die Rente konsolidiert. Wir haben in der Gesundheitsreform eine Konsolidierung durchgesetzt, die erste Erfolge zeigt. Wir haben die Arbeitsmarktreform über alle Hürden gebracht. Wir haben mit dem Ausbildungspakt eine Verhaltensänderung in der Wirtschaft bewirkt. Wir haben mit der Agenda 2010 die Rahmenbedingungen für kleinere und mittlere Unternehmen entscheidend verbessert.

"Tiefe Blut- und Schleifspuren in der Wirtschaft"

tagesschau.de: Aber das Kernproblem ist weiterhin ungelöst: Die Arbeitslosenquote lag im August 2002 bei 9,6 Prozent, jetzt sind es 10,5 Prozent.

Stiegler: Wir haben nun mal eine schwere ökonomische Krise hinter uns: Das Platzen der Börsenblase, die Krise des Bankensystems, die Krise bei der Kreditversorgung. Mit der Börsenblase sind 700 Milliarden Euro aus den Portfolios der privaten Anleger sowie der Banken und Versicherungen verschwunden. Das hat tiefe Blut- und Schleifspuren in der gesamten Wirtschaft hinterlassen.

tagesschau.de: Von der Wirtschaftskrise waren fast alle Länder betroffen. Dennoch ist Deutschland im EU-Wirtschaftsvergleich bei fast allen Daten im unteren Drittel zu finden.

Stiegler: Kein europäisches Land muss wie Deutschland 84 Milliarden Euro jährlich für die neuen Bundesländer ausgeben. Das ist ungefähr so, als würde eine Familie mit drei Kindern zwei dazu bekommen. Dann sind Einkommen und Handlungsfähigkeit eingeschränkt.

tagesschau.de: Was muss in den nächsten zwei Jahren passieren?

Stiegler: Entscheidend ist, dass sich die wirtschaftliche Erholung fortsetzt.

tagesschau.de: Was trägt die Bundesregierung dazu bei?

Stiegler: Zum Beispiel die Mittelstandsbank. Dazu wird es auch noch die eine oder andere rechtliche Rahmenbedingung geben, was die Finanzierung von Arbeitnehmer-Beteiligungsgesellschaften angeht. Die Konsolidierung des Mittelstandes ist von großer Bedeutung. Dabei setzen wir auch auf die zukünftigen Auswirkungen der Steuerreform. Wir müssen zweitens mehr Geld in die Forschung und Entwicklung stecken. Eines unserer markanten Ziele der Haushaltspolitik ist es, die Ausgaben dafür von 2,4 auf 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu erhöhen.

Hausgemachter Ärger in der SPD

tagesschau.de: Was war für Sie der größere Misserfolg der vergangenen zwei Jahre: Die fehlende Information über die Reformen oder das Maut-Desaster?

Stiegler: Das Maut-Desaster war ein Misserfolg der deutschen Wirtschaft. Da nehme ich für die Politik überhaupt keine Kritik an. Wenn die Telekom und Daimler Chrysler ihre Versprechungen nicht einhalten, darf man dafür nicht Manfred Stolpe verantwortlich machen. Die Kommunikation über die Agenda 2010 und die Arbeitsmarktreform war ein kommunikativer GAU. Da haben wir uns viel Ärger selber eingebrockt. Das war unser Hauptproblem.

tagesschau.de: 2006 ist Bundestagswahl. Haben wir dann weniger Arbeitslose?

Stiegler: Ich bin mir sicher, dass wir in zwei Jahren – vorausgesetzt es gibt keine erneute globale Wirtschaftskrise - wesentlich besser dastehen werden. Wir werden dann die Prämie dafür kassieren, dass wir jetzt standfest bleiben.

tagesschau.de: Sind es weniger als vier Millionen?

Stiegler: Ich persönlich glaube, dass wir die Vier-Millionen-Grenze unterschreiten können.

Das Interview führte Jörg Göbel für tagesschau.de