Europäische Union Lammert: Deutsche Sprache, gute Sprache
Keine Sprache wird in der EU von mehr Menschen gesprochen als Deutsch. In der EU-Bürokratie setzt man dennoch vor allem auf Englisch als Amtssprache. Dagegen hatBundestagspräsident Lammert nun offiziell protestiert. Gerät die deutsche Sprache ins Hintertreffen?
Von Ulrich Bentele, tagesschau.de
Über 90 Millionen Menschen in der Europäischen Union haben Deutsch als Muttersprache. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) ist sich sicher, dass „die deutsche Sprache von mehr Menschen gesprochen wird als jede andere Sprache in der Europäischen Union“. Mit eben diesem Satz beginnt ein Protestschreiben, das Lammert jüngst an den Europäischen Kommissionspräsidenten Barroso gesandt hat und das tagesschau.de vorliegt.
Immer mehr EU-Dokumente nur auf Englisch
Um die deutsche Sprache scheint es nach Ansicht vieler deutscher Politiker in Brüssel nicht sonderlich gut zu stehen. Immer mehr EU-Dokumente würden nicht mehr vollständig ins Deutsche übersetzt, beklagt Lammert in seinem Schreiben. Auslöser für die Protestnote war die Ankündigung der EU, die für Mitte Mai angekündigten Berichte über die Fortschritte von Rumänien und Bulgarien auf ihrem Weg in die EU lediglich auf Englisch veröffentlichen zu wollen.
Und das, wo doch Deutsch neben Französisch und Englisch halboffiziell als gleichberechtigte Arbeitssprache in der EU gilt. Derzeit hat die EU 20 Amtssprachen. Im kommenden Jahr soll als 21. Irisch dazukommen. Richtlinien und andere offizielle Texte werden in sämtlichen Amtssprachen erstellt, denn sie schaffen verbindliches Recht auch für nationale Parlamente.
Alle anderen Texte werden in der Regel auf Deutsch, Englisch und Französisch vorgelegt. Doch immer mehr Dokumente gibt es nur noch in Englisch. So gehe das nicht weiter, befindet nun Lammert und bittet Barroso "mit Nachdruck", künftig Sorge zu tragen, "den gleichberechtigten Gebrauch der deutschen Sprache in der Europäischen Union und die vollständige Übersetzung wichtiger EU-Dokumente in die deutsche Sprache zu gewährleisten".
Seltene Einigkeit im Bundestag
Lammert kann bei seinem Vorstoß auf breite Unterstützung hierzulande setzen. So oft kommt es nicht vor, dass sich alle Fraktionen im Deutschen Bundestag einig sind. Wenn es um die deutsche Sprache geht, kann das aber durchaus passieren. So beschloss das Parlament am 4. April 2004 einstimmig einen Antrag aller Fraktionen mit der Forderung an die Bundesregierung „Deutsch als Arbeitssprache auf europäischer Ebene zu festigen“.
Lammert droht mit Boykott
Doch viel scheint sich seitdem nicht bewegt zu haben. Das Ansinnen der Deutschen ging wohl irgendwo in Brüssel verloren, der Trend zum Englischen setzte sich weiter fort. Vor kurzem schlug der Ältestenrat des Bundestags intern Alarm und rief Lammert auf den Plan. „Der Deutsche Bundestag hat die feste Absicht, Verträge und andere relevante europäische Dokumente nur dann zu behandeln, wenn sie und die zu ihrer Bewertung notwendigen Texte (…) in deutscher Sprache vorliegen“, schreibt Lammert an die EU. Mit anderen Worten: Wenn Ihr uns nicht auf Deutsch informiert, werden wir nicht mehr reagieren. Die deutsche Politik droht Brüssel offen mit Boykott.
Gesellschaft für Deutsche Sprache applaudiert
Applaus bekommt der Bundestagspräsident vom Deutschen Kulturrat und der Gesellschaft für Deutsche Sprache. Deren Geschäftsführerin Karin Eichhoff-Cyrus sagte gegenüber tagesschau.de, es sei zwar „sicherlich ganz praktisch“, nur in einer Sprache kommunizieren zu wollen. Ein „babylonisches Sprachgewirr“ in allen EU-Sprachen wolle niemand, das würde die Arbeitsfähigkeit der EU nahezu lahm legen.
Doch schließlich lebe Europa von seiner Sprachenvielfalt, und Deutschland sei „nun mal der größte Sprachraum“ innerhalb der EU. Gerade im Hinblick auf die Osterweiterung sei ein Verzicht auf deutsche Übersetzungen „schlicht falsch“, denn schließlich sei die deutsche Sprache „tief verankert in Osteuropa“. Deshalb müsse man sich darauf verständigen, alle relevanten Dokumente zumindest in den drei Arbeitssprachen vorzulegen.
Cohn-Bendit: "Bewusstseinsstand von annodazumal"
Über soviel Sprachpatriotismus kann der grüne EU-Parlamentarier Daniel Cohn-Bendit im Gespräch mit tagesschau.de nur den Kopf schütteln. "Europa hat viele Probleme, aber kein Sprachproblem", ist sich Cohn-Bendit sicher. Er bescheinigt Lammert "einen Bewusstseinsstand von annodazumal". Das Ganze sei eine "absolut absurde Debatte". Lammert solle "lieber mal einen Volkshochschulkurs über Europa belegen", als Probleme aufs Tapet zu heben, die keine seien.
Und wenn die deutschen Parlamentarier keine Lust auf englische Texte hätten, so Cohn-Bendit, dann "sollen sie eben ein paar Übersetzer einstellen".