Interview

Interview "Man muss für ein freundliches Klima sorgen"

Stand: 27.08.2007 14:35 Uhr

Nicht weniger als zehn Gesetze hatte der Vermittlungsausschuss zu verhandeln. Ein Kompromiss wurde wie so oft erst nach einer langen Nachtsitzung erzielt. tagesschau.de sprach mit dem langjährigen Ausschuss-Vorsitzenden Heribert Blens über Kompromisse, Taktiken und die Nützlichkeit von Feuertreppen.

tagesschau.de: Wie müssen wir uns Verhandlungen im Vermittlungsausschuss vorstellen? Verliert, wer zuerst zuckt, oder geht es eher zu wie auf einem Basar?

Heribert Blens: Weder noch. Es geht zunächst einmal zivil und sachlich zu. Man teilt sich erst einmal mit, wo die entscheidenden Streitpunkte liegen. Daraus ergibt sich eine Diskussion, beide politischen Seiten legen ihre Position nieder, und dann geht man langsam, aber sicher auf die Frage zu, wo man sich verständigen kann. Man einigt sich dann entweder sehr schnell oder setzt eine Arbeitsgruppe ein. Wenn die sich nicht einigt, muss man wieder im großen Gremium verhandeln.

tagesschau.de: Gibt es da auch manchmal Kuhhandel?

Blens: Nein. Jede Seite hat ein Interesse, möglichst viele ihrer Forderungen durchzusetzen. Es gab aber eine Ausnahme, als wir einmal über die Erhöhung der Mehrwertsteuer für die Finanzierung der Rentenversicherung und die Privatisierung der Post verhandelten. Wir haben von morgens um neun bis nachts um halb zwei verhandelt. Am Schluss habe ich vorgeschlagen, dass die eine Seite bei der Mehrwertsteuer und die andere Seite bei der Postreform nachgibt, obwohl beide Gesetze nichts miteinander zu tun hatten. So ist es dann auch gekommen. Der Normalfall ist das aber nicht.

tagesschau.de: Es gibt vielfältige Geschichten darüber, was in den Pausen passiert. Da soll es Emmissäre gegeben haben, die über Geländer zum Tagungszimmer der anderen Seite geklettert sind?

Blens: Als wir noch in Bonn tagten, gab es einmal einen Raum für die SPD-Seite und einen Raum für die Union/FDP-Seite. Die lagen übereinander. Vor den Türen lungerten die Journalisten herum. Es war nicht immer sehr fruchtbar, dass die jeden ansprachen, der pinkeln ging. Jeder Politiker will ja dann auch was sagen, und das erschwert manchmal die Kompromissfindung. Deshalb haben wir es anders gemacht. Es gab eine Feuertreppe, die beide Räume verband. Über die haben wir dann Kontakt gehalten, ohne dass die Journalisten das merkten.

tagesschau.de: Gab es ein Erfolgsrezept oder eine besondere Taktik, auf die sie gesetzt haben?

Blens: Wichtig ist, dass man als Vorsitzender in der Sache drin ist, sonst kann man keine vernünftigen Vorschläge machen. Und dann muss man versuchen, das Klima einigermaßen friedlich zu halten, was nicht immer einfach ist. Dadurch kann man die Kompromissbereitschaft vergrößern.

tagesschau.de: Politiker neigen ja vor Mikrofonen zu starken Worten – geht es hinter verschlossenen Türen sachlicher zu?

Blens: Es gibt solche und solche. Es gibt viele, die damit hinter verschlossenen Türen aufhören. Aber es gibt auch welche, die meinen, sie müssten das fortsetzen – was nicht sehr fruchtbar ist. Wenn einer anfängt, zu lange, zu laut und polemisch zu reden, dann fühlt sich einer von der Gegenseite bemüßigt, das zurückzugeben, und dann geht es immer weiter. Ich habe immer versucht, das zu unterdrücken.

tagesschau.de: Wenn man über Stunden und Tage zusammensitzt, steigt dann nicht automatisch die Neigung, sich über Vorgaben der Partei- und Fraktionsführung hinwegzusetzen?

Blens: Der Vermittlungsausschuss beschließt keine Gesetzesänderung, sondern macht nur Vorschläge. Entscheidend ist also, ob die Mehrheit von Bundestag und Bundesrat dem zustimmt. Man muss sich also immer rückversichern und sehen, ob man seine Truppen noch hinter sich hat. Sonst verhandelt man im luftleeren Raum und auch erfolglos. Was nützt der schönste Kompromiss, wenn er hinterher durchfällt?

tagesschau.de: Kam es vor, dass man sie hinterher für ihre Kompromisse gerüffelt hat?

Blens: Selbst hat man es mir selten gesagt, aber ich habe oft über vier Ecken gehört, dass darüber geredet wurde. Mich hat das nicht beunruhigt. Bevor ich in die Politik ging, war ich 18 Jahre lang Richter – deswegen hat mich dergleichen nicht sonderlich interessiert.

tagesschau.de: Mancher Politiker soll die Zeit im Vermittlungsausschuss als seine schönste Zeit in der Politik empfunden haben. Haben Sie es ähnlich gesehen?

Blens: Ich habe es immer sehr gerne gemacht, weil in dem Ausschuss für einen Parlamentarier die größte Chance besteht, auf die Inhalte von Politik Einfluss zu nehmen. Die haben sie sonst nirgendwo, es sei denn, sie sind Fraktionsvorsitzende. Als Ausschussvorsitzender haben sie da manchmal mehr Möglichkeiten als mancher Minister. Das ist befriedigend. Außerdem war ich als Vorsitzender nie verpflichtet, große Reden zu halten und auf die Wirkung meiner Worte in der Presse zu achten. Das hab ich immer den Parlamentarischen Geschäftsführern überlassen. Das war sehr angenehm.

Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de