Krisentreffen zur EU-Verfassung Kein Ergebnis, aber gute Atmosphäre?
Vier Stunden dauerte der Besuch von Polens Präsident Kaczynski bei Kanzlerin Merkel. Von guter Atmosphäre war im Nachhinein die Rede, von Ergebnissen im Konflikt um die künftigen Entscheidungsprozesse in der EU dagegen nicht. In die Debatte schaltete sich jetzt auch Verfassungsgerichtspräsident Papier ein.
Im Streit über die künftigen Entscheidungsverfahren bei EU-Beschlüssen sind nach einem Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem polnischen Präsidenten Lech Kaczynski keinerlei Ergebnisse bekannt geworden. Ein deutscher Regierungssprecher teilte lediglich mit, das vierstündige Gespräch auf Schloss Meseberg bei Berlin habe in guter Atmosphäre stattgefunden. Die amtierende EU-Ratspräsidentin Merkel werde ihre Verhandlungen über den umstrittenen Verfassungsvertrag in den kommenden Tagen fortsetzen.
Mit dem Reformvertrag wird ein neues Abstimmungsverfahren im EU-Ministerrat, der Vertretung der Mitgliedsstaaten, eingeführt - und damit ein Kernpunkt der von Frankreich und den Niederlanden abgelehnten EU-Verfassung aufgenommen.
Für Beschlüsse soll eine "doppelte Mehrheit" nötig sein: Die Stimmen von mindestens 55 Prozent der Staaten, die zusammen mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Ziel ist, einen Ausgleich zwischen bevölkerungsreichen Staaten wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien und den kleinen wie Dänemark, Irland oder Malta zu schaffen. Das mittelgroße Polen hatte dem Vertragsentwurf ursprünglich zwar zugestimmt, sah sich danach jedoch benachteiligt. Polen verlangte zwischenzeitlich eine "Quadratwurzel"-Regelung. Dabei wird das Stimmrecht eines Landes ermittelt, indem die Wurzel aus seiner Bevölkerungszahl gezogen wird.
Die 27 EU-Länder einigten sich beim Gipfel nach langen Verhandlungen darauf, das Abstimmungsverfahren der doppelten Mehrheit ab 2014 mit einer Übergangzeit bis 2017 einzuführen.
Wenige Tage vor dem entscheidenden EU-Gipfel hatte Merkel mit Kaczynski die Chancen für einen Kompromiss ausloten wollen. Kaczynski hatte mit einem Veto gedroht, falls die im Verfassungsentwurf vorgesehene neue Stimmengewichtung der Länder bei EU-Entscheidungen nicht doch noch verändert. Zuletzt äußerte er sich aber moderater.
Nächster Gast auf Meseberg: Topolanek
Polen gilt als härtester Gegner einer Kompromisslösung im Konflikt um die auf Eis gelegte Verfassung, da es sich durch das vorgesehene neue Stimmverfahren im EU-Ministerrat benachteiligt fühlt. Auch Tschechien will die Einflussmöglichkeiten nationaler Regierungen möglichst weitgehend erhalten. Mit dem tschechischen Ministerpräsidenten Mirek Topolanek trifft Merkel heute Mittag zusammen. Am Nachmittag will die EU-Ratspräsidentin zudem mit Premierminister Jean-Claude Juncker in Luxemburg das weitere Vorgehen beraten. Dort kommen am Abend auch die EU-Außenminister zu einem Sondertreffen zusammen, um über den Nachfolgevertrag für die gescheiterte EU-Verfassung zu sprechen.
Bundesverfassungsgericht schaltet sich in Debatte ein
In diesem Zusammenhang rief der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, dazu auf, die Zuständigkeiten der EU zu begrenzen. Über organisatorische Reformen hinaus bedürfe es "einer klaren Abgrenzung der Kompetenzen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten", forderte Papier in einem Gastbeitrag der "Bild am Sonntag". "Zudem muss gewährleistet werden, dass Europa nur dort tätig wird, wo die Mitgliedstaaten einer Aufgabe nicht ausreichend gerecht werden können und die Gemeinschaft diese Aufgabe besser bewältigen könnte."
Papier forderte zudem, dass die neue Grundordnung für Europa auch über einen Katalog von Grundrechten verfügt. "Nur so kann das erfolgreichste politische Projekt in der Geschichte unseres Kontinents - die politische und wirtschaftliche Einigung - fortgeführt werden." Dabei dürften die Verantwortlichen nicht übersehen, dass viele Bürger "gewisse Vorbehalte gegenüber der Europäischen Union haben", schrieb der Präsident. "So mancher verbindet mit Brüssel die bürokratische Regulierungswut eines gesichtslosen Technokratentums. Das Zusammenwachsen Europas wird häufig gleichgesetzt mit Zentralisierung und einer Flut überflüssiger Gesetze."