Interview

Interview zum ''Aktionsplan gegen Übergewicht'' ''Ein Schulfach 'Ernährung' löst das Problem nicht"

Stand: 09.05.2007 16:27 Uhr

Ganztagsschulleiter Meisner hält den Vorschlag von Gesundheitministerin Schmidt, künftig ein Fach "Ernährung" einzuführen, für wenig sinnvoll. Viel wirksamer sei es, dem Mittagessen einen regelmäßigen Platz im schulischen Ablauf zu geben und genügend Zeit dafür einzuräumen, sagt er im tagesschau.de-Interview.

Ganztagsschulleiter Andreas Meisner hält den Vorschlag von Gesundheitministerin Schmidt, künftig ein Fach "Ernährung" einzuführen, für wenig sinnvoll. Viel wirksamer sei es, dem Mittagessen einen regelmäßigen Platz im schulischen Ablauf zu geben und genügend Zeit dafür einzuräumen, sagt er im tagesschau.de-Interview.

tagesschau.de: Die Bundesregierung will einen "nationalen Aktionsplan gegen Übergewicht“ auflegen. Laut Gesundheitsministerium sind 37 Millionen Erwachsene aber eben auch zwei Millionen Kinder übergewichtig. Beobachten Sie diesen Trend auch an Ihrer Schule?

Andreas Meisner: Es gibt Jahrgänge, da beobachte ich das. Aber ich kann nicht sagen, dass die Jüngeren generell übergewichtiger sind als die Älteren.

tagesschau.de: Gesundheitsministerin Schmidt hätte gern ein Pflichtfach „Ernährung“ an Schulen. Abgesehen davon, dass Schulangelegenheiten Ländersache sind - ist ein solcher Vorschlag in der Praxis überhaupt umsetzbar?

Meisner: Die Stundenpläne sind in allen Schulformen ja bereits relativ voll. Man kann nicht immer noch mehr Stunden draufsatteln. Gymnasiasten müssen beispielsweise heute in 12 statt früher innerhalb von 13 Jahren ihr Abitur machen. Der Lehrplan ist aber nicht wesentlich verschlankt worden. Wie man da noch mehr Fächer in die Stundenpläne hineinbekommen will, ist mir ein Rätsel.

Richtiges Vorbild prägt stärker als Unterricht

tagesschau.de: Muss Erziehung zu gesunder Ernährung und zu Bewegung nicht bereits im Elternhaus anfangen? Können das Schulen tatsächlich leisten?

Meisner: Jedenfalls nicht im konventionellen Unterricht. Ich denke nicht, dass das Problem damit erledigt ist, dass man ein neues Schulfach "Ernährung" einführt. Als Leiter einer Ganztagsschule bin ich der Meinung, dass man Unterricht, Projekte und Betreuung nicht trennen, sondern alle Elemente in das tägliche Leben in der Schule integrieren sollte. Gerade beim Thema gesundes Essen geht es auch darum, den Schülern ein Vorbild zu liefern. Das prägt viel stärker als eine Unterrichtseinheit über Essen oder ein Extra-Schulfach "Ernährung".

tagesschau.de: Wie verfahren Sie konkret an Ihrer Schule?

Meisner: Die Kinder sind mindestens drei Mal die Woche nachmittags hier. Es gibt eine eineinhalbstündige Mittagspause. In dieser Pause gehen sie gemeinsam mit ihrer Klasse essen. Das Essen wird bei uns an der Schule nach klaren Kriterien zubereitet. Gesunde Ernährung spielt eine Rolle, aber auch, dass die Schüler lernen, das Essen als Wert zu empfinden, Gespräche zu führen und Rücksicht auf andere zu nehmen. Wichtig ist, das das Essen einen regelmäßigen Platz im Tagesablauf hat.

Zur Person

Andreas Meisner ist seit fünf Jahren Leiter der Integrierten Gesamtschule Franzsches Feld in Braunschweig. Die Schule ist eine Ganztages-Einrichtung und wurde 2006 als eine von fünf Schulen mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet.

tagesschau.de: Wie funktioniert das organisatorisch? Wie finanzieren Sie Ihr Angebot?

Meisner: Wir haben mit Eltern und Schülern einen Betreuungsverein gegründet, der die Mensa eigenständig betreibt. Von der Landesregierung bekommen wir kein Geld. Wir haben zwei festangestellte Mitarbeiterinnen und ergänzende Ein-Euro-Kräfte, die das Essen vorbereiten. In vielen anderen Ganztagsschulern gibt es solche Strukturen nicht. Das liegt neben fehlenden finanziellen Mitteln auch daran, dass wir in Deutschland keine Ganztagsschulen-Tradition haben.

Sportunterricht am liebsten Montagmorgen

tagesschau.de: Neben der Verbesserung der Ernährung fordert Gesundheitsministerin Schmidt, dass Sport ein genauso wichtiges Fach wie Mathematik sein müsse. Ist es sinnvoll, jeden Tag eine Stunde Sport in den Stundenplan zu intergrieren?

Meisner: Wie denn? Die Stundenpläne sind voll. Außerdem halte ich es nicht für sinnvoll, die Schüler sechs Stunden lang im Klassenraum sitzen zu lassen und dann eine Stunde aufs Feld zu jagen. Man muss sich dem Rhythmus der Schüler anpassen - das fordern wir Erwachsenen ja auch für uns.

tagesschau.de: Wann wäre Sportunterricht also nach Ihrer Meinung sinnvoll?

Meisner: Wenn wir genügend Sporthallen hätten, dann würden wir Montagvormittag sehr viel Sport machen, weil wir natürlich auch die Erfahrung machen, dass die Schüler ziemlich viel vorm Fernseher oder am Computer sitzen - besonders am Wochenende. Also haben sie am Montagmorgen oft einen stärkeren Bewegungsdrang. Aber wir versuchen, den Schülern auch in der Mittagspause die Möglichkeit zu geben, sich zu bewegen, auf dem Pausenhof oder in anderen Einrichtungen.

Die Fragen stellte Sabine Klein, tagesschau.de