Interview

Interview mit Christoph Böhr "Konservatismus gehört zu unserem Selbstverständnis"

Stand: 28.11.2003 13:50 Uhr

CDU-Vize Christoph Böhr hat sich frühzeitig gegen eine Patriotismusdebatte auf dem Parteitag ausgesprochen. tagesschau.de sprach mit dem rheinland-pfälzischen CDU-Landesvorsitzenden über mögliche Nachwehen der Hohmann-Affäre, rechtskonservatives Gedankengut und über den Schwesterstreit der Unionsparteien in der Sozialpolitik.

 

tagesschau.de: Über das Thema Patriotismus soll auf dem Parteitag nun doch nicht debattiert werden. Braucht die Union nach dem Fall Hohmann so eine Debatte nicht oder nur nicht auf dem Parteitag?

 

Böhr: Ich habe von Anfang an davor gewarnt, diese Diskussion überstürzt zu beginnen, weil ich nichts davon halte, dieses zentrale Thema – es ist ja im Grunde die Frage nach unserem deutschen Selbstverständnis – im Schatten eines Skandals zu diskutieren. So ein Thema muss gut vorbereitet sein, es muss eine geordnete Diskussion geben, die dann auch möglicherweise in Parteitagsdiskussionen einmündet.

 

tagesschau.de: Können Sie dennoch einen Zeitrahmen abstecken. Soll man im nächsten Frühjahr darüber reden, oder im nächsten Sommer oder wann?

 

Böhr: Wir alle wissen, dass es den Parteien in der Regel gar nicht mehr möglich ist, von sich aus die Themen zu setzen und Diskussionen mit öffentlicher Aufmerksamkeit zu beginnen. Man wird einen Anlass abwarten müssen. Umgekehrt heißt das: Wir müssen uns rüsten, indem wir zu diesem Thema ein Papier bringen, wie wir unser Selbstverständnis bestimmen.

 

tagesschau.de: Herr Hohmann will gegen den Ausschluss aus der Fraktion klagen. Birgt das nicht doch noch Konfliktstoff für den Parteitag?

 

Böhr: Das ist so, und es wird sicher dazu auch Wortmeldungen geben. Das Unverständnis, auch der Unmut über den Ausschluss Hohmanns halten nach wie vor in Teilen der Partei an.

 

tagesschau.de: Wie groß ist denn der rechtskonservative Flügel in der Partei? Früher konnte man diesen immer mit Personen verbinden, jetzt lässt sich eine solche Geisteshaltung nur schwer an  bestimmten Politikern festmachen.

 

Böhr: Das ist so. Und es ist ganz schwer, das zu quantifizieren. Aber dass konservatives Denken von Anfang an Teil des Gedankengutes der Union war, ist unbestreitbar. Ich hoffe, dass das auch in Zukunft so bleibt. Die Frage ist die der Grenzziehung. Ich glaube, die ist sehr klar und sehr unmissverständlich beantwortet worden. Umso wichtiger ist es, dass die Union nicht beschämt unter sich blickt, wenn konservatives Denken auch in der Öffentlichkeit laut wird. Solange sich das innerhalb des Verfassungsbogens abspielt, gehört das zu unserem Selbstverständnis dazu.

 

tagesschau.de: Wenn nicht die Patriotismusdebatte, was sind für die CDU die inhaltlichen Schwerpunkte dieses Parteitages?

 

Christoph Böhr: Es geht um eine entscheidende Frage: Wie müssen wir unseren Sozialstaat umbauen, damit er auch in Zukunft leistungsfähig bleibt? Unser Ziel ist es, soziale Sicherheit in Deutschland dauerhaft auch über 20, 30 Jahre hinweg zu garantieren. Wir wollen wegkommen von einer Sozialpolitik nach Kassenlage. Deshalb muss dieser Sozialstaat auf eine neue Grundlage gestellt werden.

 

tagesschau.de: Für den Weg zu diesem Ziel gibt es unterschiedliche Konzepte, gerade wenn man sieht, was die CDU und was die CSU vorschlagen. Wie bewerten Sie den Schwesterstreit zwischen den Unionsparteien, welche der Parteien die sozialere ist?

 

Böhr: Ich halte es für falsch, dass diese Auseinandersetzung mit Wortungetümen in der Öffentlichkeit ausgetragen wird. Der Kompromiss liegt auf der Hand. Die CSU wird sich unserem Vorschlag nicht verweigern, für kinderreiche Familien einen Ausgleich dadurch zu bewerkstelligen, dass man stärker als heute Kindererziehungszeiten bei dem späteren Rentenniveau berücksichtigt. Umgekehrt gibt es eine Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes, auch innerhalb des Rentensystems selbst einen Ausgleich herbeizuführen. Dazu hat die CSU einen Vorschlag gemacht: beim Beitrag denen einen Bonus zu gewähren, die die Kosten der Kinderziehung zu tragen haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die CDU sich dem verweigert.

 

tagesschau.de: Woran liegt es, dass dieser Streit so massiv in der Öffentlichkeit ausgetragen und nicht intern geregelt wird. Wer macht denn da die Fehler in der Kommunikation?

 

Böhr: Ich finde es alles andere als traurig, dass in dieser entscheidenden Zukunftsfrage, die uns 30, 40, 50 Jahre lang binden wird, jetzt auch öffentlich die Auseinandersetzung begonnen hat. Wenn sich das in einer geeigneten Sprache vollzieht, ist dagegen überhaupt nichts einzuwenden.

 

tagesschau.de: Anderes Thema: Reformanstrengungen und Vermittlungsausschuss. Wie schätzen Sie denn die Chancen auf eine Einigung der beiden Volksparteien ein?

 

Böhr: Die Chancen haben sich nach dem SPD-Parteitag eher verschlechtert. Die SPD hat sich festgelegt, beispielsweise in der Frage der Ausbildungsplatzabgabe. Das hilft uns überhaupt nicht, einen vernünftigen Kompromiss zu finden. Für uns ist entscheidend, dass ein Kompromiss – wie immer er aussieht – uns dem gemeinsamen Ziel näher bringen muss: mehr Wachstum zu erreichen, um damit mehr Beschäftigung zu schaffen. Jeden Schritt, der uns auch nur ein ganz klein wenig diesem Ziel näher bringt, werden wir mittragen. Jeden Schritt, der uns von diesem Ziel entfernt, kann von uns nicht mit vollzogen werden.

 

tagesschau.de: Auch Herr Stoiber wird auf diesem Parteitag sprechen. Vor allem viele Journalisten werden beim Schlussapplaus wieder die Stoppuhr zücken. Wie lange kann die Union noch eine Diskussion um die K-Frage deckeln. Wann geht das wieder richtig los? Jetzt mit dem Parteitag?

 

Böhr: Das war kein Thema, das ist kein Thema, das wird kein Thema werden.

 

Das Gespräch führte Uli Bentele, tagesschau.de