Masern-Impfpflicht gebilligt Vorrang für den Schutz der Kinder
Kinder, die in Kitas betreut werden, müssen gegen Masern geimpft sein. Das Bundesverfassungsgericht hat diese gesetzliche Regelung nun gebilligt. Zwar gebe es einen Eingriff in die Grundrechte, dieser sei jedoch zumutbar.
Vor mehr als zwei Jahren, im März 2020, trat die Impfpflicht gegen Masern in Kraft. Und seit heute steht fest: Das bleibt auch so. Eltern, die ihr Kind in einer Kita oder bei einer Tagesmutter anmelden wollen, müssen nachweisen, dass es gegen Masern geimpft ist oder schon die Masern hatte.
Geklagt hatten mehrere Eltern, auch im Namen ihrer Kinder. Die staatlich vorgeschriebene Impfung sei ein verfassungswidriger Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Kinder und in ihr Elternrecht. Doch das Bundesverfassungsgericht folgte dem nicht. Seiner Ansicht nach ist die Impfpflicht verfassungskonform. Sie schütze eine Vielzahl von Personen, insbesondere solche, die als besonders gefährdet gelten. Das sind zum Beispiel Säuglinge oder Schwangere, die nicht geimpft werden können.
Ein Argument: Die hohe Ansteckungsgefahr
Die Richterinnen und Richter des 1. Senats verwiesen auf die hohe Ansteckungsgefahr bei Masern. Bei schweren Krankheitsverläufen könnten Menschen sterben. Daraus ergebe sich eine besondere Schutzpflicht des Staates für die gesamte Gesellschaft.
Dieser Aspekt spiele bei der Entscheidung eine besonders wichtige Rolle, so der Staatsrechtler Steffen Augsberg, Mitglied im Deutschen Ethikrat. Das habe dazu geführt, dass die Richter argumentierten, die Zahl an geimpften Personen sei nicht hinreichend. "Jedenfalls ist das die aus verfassungsrechtlicher Sicht akzeptable Position des Gesetzgebers", so Augsberg. "Um den sogenannten Herdenschutz zu erreichen, müssen wir Maßnahmen ergreifen, die in vertretbarer Weise über das hinausgehen können, was man als 'freiwilliges Ansprechen' bezeichnen könnte."
Eingriff in Grundrecht nicht unverhältnismäßig
Das Bundesverfassungsgericht erkennt durchaus an, dass es sich bei der Impfpflicht um einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte von Kindern und Eltern handelt. Dieser sei aber nicht unverhältnismäßig. Bei der Impfung würden in der Regel nur milde Symptome und Nebenwirkungen auftreten. Echte Impfschäden seien extrem unwahrscheinlich. Wer seine Kinder nicht impfen lassen wolle, könne deren Betreuung im privaten Bereich selbst organisieren. Dies bleibe auch ohne Impfung weiterhin möglich.
In seinem Beschluss macht das Bundesverfassungsgericht dann noch eine rechtsverbindliche Vorgabe. Dies hängt damit zusammen, dass in der Praxis Kombinationsimpfstoffe verabreicht werden: Geimpft wird nicht nur gegen Masern, sondern zugleich auch gegen Mumps, Röteln oder Windpocken. Bei dieser Begrenzung müsse es im Rahmen der Impfpflicht auch bleiben.
Kein Vergleich zu einer Corona-Impfpflicht
Stellt sich die Frage: Kann man aus dem Beschluss Grundsätzliches zum Thema Impfpflicht ableiten, etwa was die kontrovers diskutierte Corona-Impfpflicht betrifft? Rechtsprofessor Augsberg warnt vor voreiligen Schlüssen. So seien die Covid-19-Impfstoffe weit weniger erforscht als die Masern-Impfstoffe.
Vieles, was Nebenwirkungen betreffe, sei noch unklar, sagt Augsberg. Insofern könne man "auch keine ganz klare und eindeutige Linie ziehen, und sagen: Weil sie bei den Masern die Impfpflicht für verfassungskonform halten, werden sie das zwingend auch bei Covid-19 tun. Da haben wir gerade gelernt, dass es eine ganze Fülle von Unsicherheiten gibt. Denken wir nur an die schweren Nebenwirkungen, die man in der Form nicht einfach so zur Seite wischen kann".
Aktenzeichen: 1 BvR 469/20, 1 BvR 470/20, 1 BvR 471/20 und 1 BvR 472/20