Mafiaexperte Mattioli "Die Mafia kümmert sich nicht um Grenzen"
Die 'Ndrangheta ist international aktiv und damit besonders erfolgreich, sagt Mafiaexperte Sandro Mattioli im Gespräch mit tagesschau.de. Gerade ihre Unauffälligkeit mache sie so bedrohlich.
tagesschau.de: Bei einer internationalen Großrazzia wurden Dutzende mutmaßliche Mitglieder der Mafiaorganisation 'Ndrangheta festgenommen. Was macht die 'Ndrangheta so bedrohlich?
Sandro Mattioli: Die 'Ndrangheta hat aus dem Sechsfachmord in Duisburg im Jahr 2007 gelernt. Sie schießen in Deutschland nicht mehr in der Gegend herum. Sie fügen sich inzwischen gut in unterschiedliche Kontexte ein, blasen sich nicht als große Ganoven auf und fahren nicht unbedingt mit teuren Autos durch die Gegend. Sie stellen ihren Reichtum nicht zur Schau. Gerade diese Unauffälligkeit macht sie bedrohlich.
Mafiaexperte Sandro Mattioli: Das Problem wird unterschätzt
"Größter Umsatz"
tagesschau.de: Worin unterscheidet sich die Arbeitsweise der 'Ndrangheta von jener der Cosa Nostra und der Camorra?
Mattioli: Die 'Ndrangheta ist internationaler aufgestellt und damit auch am erfolgreichsten. Sie hat im Kokain-Geschäft eine gewisse Position in der Hierarchie erlangt. Es ist davon auszugehen, dass sie auch den größten Umsatz erwirtschaftet.
Sandro Mattioli, geboren 1975 in Heilbronn, beschäftigt sich seit Jahren als Journalist und Autor mit dem Thema Mafia. In "Die Müll-Mafia. Das kriminelle Netzwerk in Europa" beschreibt er gemeinsam mit dem Co-Autor Andrea Palladino das System der kriminellen Müllentsorgung. 2017 wurde mit ihm der ARD-Dokumentarfilm "Das Gift der Mafia" realisiert. Mattioli ist auch Vorsitzender des Vereins "Mafia? Nein danke!", der nach den Mafiamorden von Duisburg gegründet wurde.
tagesschau.de: Was macht es so schwierig, sie zu bekämpfen?
Mattioli: Die Mafia arbeitet grenzüberschreitend, sie kümmert sich nicht um Grenzen. Die Strafverfolgung muss dies letztlich genauso können. Die internationale Zusammenarbeit wie nun durch Eurojust und Europol ist sicher ein Schlüssel zum Erfolg. Es gibt aber noch zu starke Lücken in der Gesetzgebung. Finanzströme sind global nur schwer zu kontrollieren und zu durchleuchten.
"Unzureichend erfasst"
tagesschau.de: Was muss in der Verbrechensbekämpfung besser werden?
Mattioli: Es bedarf einer größeren Transparenz und einer stärkeren wissenschaftlichen Erforschung des Themas. In den polizeilichen Kriminalistatistiken ist bisher nur ein unzureichender Teil der Organisierten Kriminalität erfasst. Für Journalisten ist die Berichterstattung zudem schwierig, da der Vorwurf der Diffamierung droht, wenn über Mafiosi geschrieben wird. Und: Die Mafiamitgliedschaft ist keine Straftat in Deutschland.
tagesschau.de: Warum ist Deutschland für die 'Ndrangheta so attraktiv?
Mattioli: Deutschland ist nicht nur wirtschaftlich und politisch stabil. Es gibt auch zahlreiche Anknüpfungspunkte für die 'Ndrangheta-Mitglieder, da Gastarbeiter in das Land kamen. Deutsche neigen zudem dazu, alles was mit Italien zu tun hat, zu romantisieren. Und es gibt natürlich auch hier Leute, die mit der Mafia Business machen - und die nicht Italiener sind.
"Mafia wird unterschätzt"
tagesschau.de: Wurde die Mafia in Deutschland unterschätzt?
Mattioli: Sie wurde - und sie wird in Deutschland noch unterschätzt. Während in Italien die Zahl der Mafiamitglieder in Deutschland auf 3000 geschätzt wird, geht das Bundeskriminalamt von 590 Mafiamitgliedern aus. Die Wahrheit wird wohl irgendwo in der Mitte liegen.
Das Gespräch führte Dietmar Telser, tagesschau.de