Interview

Verfassungsrichter zum Bundeswehreinsatz im Inneren "Karlsruhe sollte Licht ins Dunkel bringen"

Stand: 10.02.2010 18:10 Uhr

Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich erneut mit dem Luftsicherheitsgesetz. Es regelt den Umgang mit gekidnappten Flugzeugen. Der Grund: Ungeklärte Kompetenzen zwischen Bund und Ländern. Staatsrechtler Isensee spricht im tagesschau.de-Interview von "Grauzonen", die zu Lasten der Sicherheit gingen.

tagesschau.de: Was wird sich durch die Verhandlungen in Karlsruhe am Luftsicherheitsgesetz ändern?

Josef Isensee: Man kann nicht vorhersehen, wie das Urteil ausfallen wird. Aber man weiß natürlich welche rechtlichen Einwände gegen das Gesetz erhoben werden können. Diese bestehen vor allem darin, ob der Bund überhaupt die Gesetzeskompetenz hat, eine solche Frage zu regeln. Und das Zweite ist, ob dieses Gesetz der Zustimmung des Bundesrats bedurft hätte.

Zur Person
Prof. Josef Isensee ist Staatsrechtler und Staatsphilosoph. Er studierte Rechtswissenschaften und Philosophie. Als Professor lehrte er an der Universität des Saarlandes und an der Universität Bonn. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die Verfassungstheorie.

tagesschau.de: Angenommen das Gesetz hätte tatsächlich der Zustimmung des Bundesrats bedurft, was würde das ändern?

Isensee: Dann wäre das Gesetz nicht korrekt zu Stande gekommen und damit nichtig. Dann müsste das Gesetzgebungsverfahren erneut durchgeführt werden. Es ist nämlich nicht möglich, dass der Bundesrat nachträglich zustimmt.

tagesschau.de: Würde das bedeuten, dass es dann auch inhaltlich nochmal verändert werden könnte und dass unter Umständen das Verbot des Abschusses wieder gekippt wird?

Isensee: Das ist nicht anzunehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat 2006 entschieden, dass Absatz drei des Luftsicherheitsgesetztes, der den Abschuss im Notfall regelt, verfassungswidrig ist. Es hat so entschieden, weil dem Bund die Zuständigkeit für eine solche Regelung fehlt. Ohne eine Verfassungsänderung, in der diese geklärt wird, könnte eine solche Bestimmung nicht beschlossen werden.

Kleinflugzeug und ein Phantom-Flieger der Bundeswehr im November 2003 über Frankfurt/Main
Das Luftsicherheitsgesetz
Das Luftsicherheitsgesetz entstand 2005 als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 und ein vermeintlich mit Sprengstoff beladenes Sportflugzeug im Anflug auf Frankfurt. Es soll den Abschuss eines von Terroristen entführten Flugzeuges regeln. 2006 erklärte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts diese Passage für ungültig. Auch im äußersten Notfall dürfe ein Flugzeug nicht von der Luftwaffe abgeschossen werden. Die unschuldigen Passagiere an Bord dürften nicht Objekt des Staates werden, das verletze deren Menschenwürde.

Nachdem das höchste deutsche Gericht die Abschussermächtigung für verfassungswidrig erklärt hatte, blieb der Rest des Gesetzes in Kraft. Jetzt wird die Klage der Länder Bayern und Hessen verhandelt. Sie richtet sich gegen mehrere Vorschriften des seit 2005 geltenden Gesetzes. In Karlsruhe sollen die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern geklärt werden.

tagesschau.de: Das Bundesverfassungsgericht will die mündlichen Verhandlungen auch als Anlass nutzen, um rechtliche Voraussetzungen und die Zuständigkeiten von Bund und Ländern für einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren zu klären. Warum sollten sich die Verfassungsrichter dazu äußern?

Problem der Zuständigkeiten

Isensee: Dieser Fall zeigt, ein grundsätzliches Problem der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern. Die Abwehr innerer Gefahren ist Sache der Polizei. Die Abwehr äußerer Gefahren regelt die Bundeswehr, ihre Belange fallen in die Kompetenz des Bundes. Für die Polizei sind die Länder zuständig. Das Luftsicherheitsgesetz regelt Fälle, die ein den Bereich der inneren Sicherheit fallen. Die Polizei ist aber nicht mit den Mitteln ausgerüstet, um dieser Gefahr zu begegnen. Sie verfügt nicht über Flugzeuge und somit auch nicht über die Möglichkeit um ein Flugzeug abzuschießen oder abzudrängen. Das sind Mittel, die nur der Bundeswehr zur Verfügung stehen.

Die Bundeswehr hat also die Instrumente, dieser Gefahr zu begegnen, aber sie hat nicht die gesetzliche Zuständigkeit. Das bedeutet, dass wir eine Situation haben, die von unserer Zuständigkeitsordnung nicht abgedeckt wird. Das ist ein Dilemma, das hier schon bei der ersten Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz eine Rolle gespielt hat.

Es gibt gute Gründe für die klagenden Länder, die Zustimmungspflicht beziehungsweise den Zustimmungsbedarf des Bundesrats nochmal überprüfen zu lassen. Es sollte Klarheit bezüglich der Zuständigkeiten geschaffen werden. Es handelt sich um eine Grauzone unserer bundesstaatlichen Ordnung und es geht auch um unserer Sicherheit. Hier sollte Karlsruhe Licht ins Dunkel bringen.

"Dies muss dringend geregelt werden"

tagesschau.de: Warum tut man sich so schwer damit, bei der Zuständigkeit für klare Verhältnisse zu sorgen?

Isensee: Weil die Gefahrenlagen, um die es geht, ein Phänomen unserer Zeit sind. Sie sind jünger als das Grundgesetz und auch jünger als die Notstandsverfassung des Grundgesetzes, aus der der Katastrophenfall hervorgeht. Diese neuartigen Gefahrenlagen, die gerade im Zeitalter des Terrorismus auftauchen, müssen dringend geregelt werden. Am Ende halte ich es doch für sinnvoll, die Verfassung zu ändern. Es müsste eine Regelung gefunden werden, die Bund und Ländern in der Weise Rechnung trägt, dass im Notfall die Bundeswehr eingreifen kann, um inneren Gefahren zu begegnen.

"Warnschüsse sind erlaubt"

tagesschau.de: Welche Möglichkeiten zur Gefahrenabwehr bietet das Gesetz, so wie es derzeit besteht?

Isensee: Nach jetziger Gesetzeslage könnte die Bundeswehr oder die Polizei versuchen, die Maschine abzudrängen und zum Landen zu zwingen. Es können auch Warnschüsse abgegeben werden. Eine Maschine, die in der Hand von Terroristen ist, darf aber nicht abgeschossen werden.

tagesschau.de: Ist es richtig, dass durch die derzeitige Regelung das Leben derjenigen, die in einer von Terroristen entführten Maschine sitzen, höher bewertet sind, als das Leben derer, die am Boden Ziel eines Anschlags werden könnten?

Isensee: Diese Frage stellt sich nicht weil wir überhaupt kein Gesetz haben, das eine entsprechende Grundlage bildet. Die Frage würde sich erst dann stellen, wenn man durch eine Verfassungsänderung dem Bundesgesetzgeber die Kompetenz gibt. Und wenn dieser dann ein entsprechendes Gesetz schafft, das an die Stelle der für verfassungswidrig erklärten Regelung tritt.

Dann taucht allerdings der Widerspruch auf zwischen dem Respekt vor dem Leben der gekidnappten Passagiere auf der einen Seite und dem Schutz des Lebens der Menschen auf dem Boden, die durch den Absturz bedroht werden. Hier wird nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, die keine rechtliche Verbindlichkeit hat, gesagt, dass ein Abschuss nicht zulässig ist. Diese Auffassung ist allerdings nicht überzeugend. Man wird im Einzelfall abwägen müssen, worin das geringere Übel besteht.

"Kriegsähnliche Handlungen"

tagesschau.de: Gibt es Ausnahmefälle, in denen ein Abschuss erlaubt sein könnte?

Isensee: Die Maschine kann abgeschossen werden, wenn weder unbeteiligten Passagiere noch Personal an Bord sind. Eine andere Ausnahme besteht für den Fall, dass ein Angriff auf die Bundesrepublik vorgenommen wird, der vergleichbar mit den Terroranschlägen des 11. Septembers ist. In einem solchen Fall würde man von einer kriegsähnlichen Handlung sprechen.

tagesschau.de: Wer würde denn in einem solchen Ausnahmefall die Entscheidung darüber treffen, ob geschossen werden darf oder nicht?

Isensee: Das ist eine schwierige Frage, da ein solcher Notstandsfall im Grundgesetz nicht vorgesehen ist. Hier liegt es aber nahe, dass der Verteidigungsminister, der die Befehls- und Kommandogewalt über die Bundeswehr hat, zuständig ist.

Das Interview führte Melanie Stinn für tagesschau.de