"Krieg gegen Terror": Gastkommentar Warum Deutschland mitschuldig ist
Guantanamo, Waterboarding, sogenannte "Rendition"-Flüge: Dass im "Krieg gegen den Terror" auch Unschuldige Opfer wurden, bestreitet heute niemand mehr. Auch Deutschland hat sich mitschuldig gemacht - sagen zumindest viele Kritiker. Konsequenzen wurden daraus nicht gezogen.
Von Barbara Lochbihler für tagesschau.de
Keine Entschädigung. Nicht einmal eine Entschuldigung. Nichts. Dabei wäre Murat Kurnaz vieles erspart geblieben, wenn deutsche Politiker, Geheimdienstler und Polizisten auf das Angebot der US-Regierung eingegangen wären und den türkischstämmigen Mann aus Bremen im Jahr 2002 wieder in Deutschland aufgenommen hätten.
Diese aber lehnten ab, und so musste Kurnaz im US-Gefangenenlager Guantanamo bis August 2006 Folter und andere Misshandlungen ertragen. Erst dann wurde er entlassen - nach viereinhalb Jahren Haft. Dabei hielt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bereits 2002 den Verdacht für weitgehend ausgeräumt, dass der Bremer ein islamistischer Terrorist ist. Doch selbst das hinderte weder Verfassungsschützer noch Beamte des Bundesnachrichtendienstes (BND) daran, den nachweislich illegal verschleppten und von Folter gezeichneten Kurnaz in Guantanamo zu verhören.
Die unklare Rechtslage, die schweren Haftbedingungen und Berichte über Menschenrechtsverletzungen in dem Lager wurden und werden international scharf kritisiert. Im Januar 2009 unterschrieb US-Präsident Barack Obama ein Dekret zur Schließung des Lagers, in dem zu diesem Zeitpunkt noch immer 245 Menschen inhaftiert waren. Umgesetzt wurde dieses Dekret allerdings bis heute nicht.
Niemand stellt heute noch in Frage, dass der von US-Präsident George W. Bush erklärte "Krieg gegen den Terror" zahlreiche Verletzungen des Völkerrechts und der Menschenrechte zur Folge hatte. Darüber wurde und wird umfangreich diskutiert, und Bushs Nachfolger Barack Obama steht zurecht in der internationalen Kritik, weil er Guantanamo nicht schließen lässt.
Deutsche Behörden begünstigten Menschenrechtsverstöße
Längst vergessen scheint dagegen, dass auch deutsche Politiker und Sicherheitsbehörden über das rechtswidrige System der exterritorialen Militärgefängnisse, CIA-Geheimflüge und Verschleppungen Bescheid wussten und partiell daran beteiligt waren. Deutschland sei eines der Länder, so erklärte etwa der Ermittler des Europarats zu den illegalen CIA-Aktivitäten Dick Marty, die das gesamte System der Gefangenenflüge aktiv oder zumindest passiv begünstigt haben.
Nicht nur Kurnaz wurde während seiner Haft von deutschen Beamten vernommen. Mitarbeiter des BND, des BfV und des Bundeskriminalamtes (BKA) verhörten im November 2002 im berüchtigten syrischen Foltergefängnis Far Falestin drei Tage lang den Hamburger Mohammed Haydar Zammar. Dass sowohl Kurnaz als auch Zammar mit "Rendition"-Flügen, den geheimen CIA-Transporten, verschleppt worden waren, störte die Ermittler offenbar wenig. Ebenso nahmen sie hin, dass beide Häftlinge darüber klagten, gefoltert worden zu sein.
Damit verstießen die Beamten gegen die UN-Konvention gegen die Folter. Denn "nicht nur die unmittelbaren Folterknechte machen sich der Folter schuldig, sondern auch jene, die sich an dieser Praxis beteiligen, sei es durch Anstiftung, durch die Übermittlung konkreter Fragen an die Folterknechte oder durch die direkte Teilnahme an den Vernehmungen", stellte jüngst der ehemalige UN-Sonderberichterstatter über Folter und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung und Strafe, Manfred Nowak, klar.
Viele Fragen sind bis heute offen
Ob im Fall von Kurnaz, Zammar oder des in ein CIA-Gefängnis in Afghanistan verschleppten deutschen Staatsbürgers Khaled al Masri: Bis heute ist ungeklärt, ob Informationen des BND, des BfV oder des BKA den US-Beamten geholfen haben, mutmaßliche Terroristen widerrechtlich zu verhaften. Außer Frage steht: Deutsche und US-amerikanische Sicherheitskräfte haben bei der Weitergabe ihres Wissens eng zusammen gearbeitet. Sollte dies ausschlaggebend dazu geführt haben, dass Menschen gefoltert wurden, so ist auch das eine Beihilfe zur Folter.
Mit diesen Themen befasste sich der BND-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags, der von 2006 bis 2009 eingesetzt war. Eingeschränkte Aussagegenehmigungen, verweigerte Dokumente und parteipolitische Interessen verhinderten jedoch eine umfangreiche Aufklärung. Jene, die möglicherweise mitverantwortlich für Verschleppungen oder Folter sind, gingen bislang straffrei aus. Murat Kurnaz und Khaled al Masri hingegen, die jahrelang unschuldig in Haft saßen, leiden bis heute an den Spuren der Gewalt, die ihnen angetan wurde. Auf eine Entschädigung warten sie vergebens. Dabei stellt die UN-Antifolterkonvention unmissverständlich klar: Folteropfer müssen Wiedergutmachung erhalten.
"Dienste" agieren in der Grauzone - bis heute
Ebenso wenig haben die Regierungen Konsequenzen im Umgang mit den Geheimdiensten gezogen. Noch immer leugnen Politiker ihre Verantwortung, noch immer dürfen die "Dienste" in Grauzonen agieren, bis heute müssen sie nicht gegenüber dem Parlament Bericht ablegen. Die Berliner Regierung hat im "Krieg gegen den Terror" noch einige Rechnungen offen.