Interview

Ärztevertreter zu Unterversorgung auf dem Land "Nicht nur Husten, Schnupfen, Heiserkeit"

Stand: 20.12.2012 17:56 Uhr

In vielen ländlichen Regionen werden die Ärzte knapp. "Das liegt aber nicht allein daran, dass es junge Ärzte eher in die Städte zieht", sagt Ärztevertreter Ulrich Weigeldt gegenüber tagesschau.de. "Es fehlt vor allem bei den Allgemeinmedizinern an Nachwuchs." Und dieses Problem werde sich noch verschärfen, da in den nächsten Jahren immer mehr Ärzte in den Ruhestand gehen.

tagesschau.de: Wie groß ist das Problem des Ärztemangels auf dem Land im Augenblick?

Ulrich Weigeldt: Wir haben schon jetzt Regionen, in denen es kaum Hausärzte gibt: Große Teile von Brandenburg, die südlichen Gebiete von Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Gerade Sachsen-Anhalt hat einen hohen Anteil älterer und chronisch Kranker. Aber es gibt auch Regionen im Westen, wie der Bayerische Wald, der Westerwald und die Schwäbische Alb, wo es langsam eng wird.

Zur Person

Ulrich Weigeldt ist Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes. Als Vorsitzender des Fachausschusses der Kassenärztlichen Bundesvereinigung hat sich der Allgemeinmediziner in den Jahren 2000 bis 2005 intensiv mit dem Problem der hausärztlichen Versorgung beschäftigt.

tagesschau.de: Können Sie schildern, wie es Ärzten und Patienten in unterversorgten Regionen derzeit geht?

Weigeldt: Die Praxen auf dem Land sind übervoll, weil es nur wenige gibt und alle Patienten dorthin strömen. Wir haben auf dem Land auch mehr Kranke und ältere Menschen als im Durchschnitt, da die jungen oft in die Städte ziehen. Das führt dazu, dass die Ärzte dort sehr lange und sehr viel arbeiten. Man kann ja die Kranken nicht vor der Tür stehen lassen und sagen: "Ich mach jetzt Feierabend." Diese Arbeitsbelastung ist es, die die Landärzte am meisten umtreibt. Und dann kommen noch alle möglichen bürokratischen Schikanen dazu. Und wenn ein Dorf den Arzt verliert, müssen kranke Menschen sehr weit fahren.

"Man mag sich gar nicht ausmalen, wie das in Zukunft wird"

tagesschau.de: Laut einer Studie im Auftrag der Barmer GEK und der Bertelsmann Stiftung sind aber 94 Prozent der Bürger mit der Ärzteversorgung zufrieden.

Weigeldt: Diese Studie hat ein paar tausend Leute befragt. Ich wage aber zu bezweifeln, dass die ausgerechnet in Brandenburg, in Mecklenburg-Vorpommern oder im Bayerischen Wald wohnen. Ich finde das Ergebnis der Studie merkwürdig. Vielleicht sind das auch die Vorbereitungen der nächsten Honorarverhandlungen, wer weiß. So eine Studie ist ja auch interessengeleitet.

tagesschau.de: Wie wird sich das Problem des Ärztemangels auf dem Land in der Zukunft entwickeln?

Weigeldt: Unsere Hausärzte haben ein durchschnittliches Alter von 57 Jahren. Man muss also davon ausgehen, dass in den nächsten drei bis fünf Jahren mindestens 30 Prozent in den Ruhestand gehen werden. Bei den anderen Fachgebieten liegt der Altersdurchschnitt etwa zwei bis drei Jahre darunter. Wenn wir jetzt nicht gegensteuern, mag man sich gar nicht ausmalen, wie das in der Zukunft wird. Die gesundheitliche Versorgung würde sich erheblich verschlechtern. Übrigens auch in den Städten mit einer sozial schwachen Bevölkerungsstruktur. Gerade ältere Menschen würden dann sicher länger warten, bis sie einen Arzt aufsuchen, dann hat sich die Krankheit oft schon verschlechtert. Das ist dramatisch, gerade wenn man bedenkt, dass die Bevölkerung ja auch immer älter wird und wir immer mehr Menschen mit chronischen Erkrankungen und mit Mehrfacherkrankungen haben.

"Wir verlieren 30 Prozent der Medizinabsolventen"

tagesschau.de: Was sind die Ursachen für den Mangel an Landärzten?

Weigeldt: Das fängt schon an der Universität an: Da ist die Allgemeinmedizin nicht besonders hoch angesehen, da schätzt man die hochspezialisierte Medizin mehr. Immer mehr Absolventen wechseln in kleine Fachgruppen, weil dort Bezahlung und Arbeitsbedingungen attraktiver sind. Jahrzehntelang wurde die Hightech-Medizin und Apparatemedizin gefördert und die Hausarztmedizin dabei vernachlässigt. Außerdem scheint es für junge Menschen nach dem Studium attraktiver, sich in einer Stadt niederzulassen. Ganz dramatisch ist, dass wir rund 30 Prozent der Medizinabsolventen verlieren, weil sie ins Ausland, zur Krankenkasse oder zu Consultingunternehmen gehen.

tagesschau.de: Gibt es zu wenige Zulassungen für Hausärzte?

Weigeldt: Das kann man so nicht sagen. Es gäbe genügend Flecken in Deutschland, wo man sich als Hausarzt sofort niederlassen könnte. Mit den Zulassungen ist das so: Wenn ich einen großen Landkreis habe und darin liegt eine Stadt, habe ich in der Regel für den gesamten Bereich einen sogenannten Zulassungsbezirk. Dann habe ich nominell in der Fläche zwar genügend Ärzte, sehe aber nicht, dass die sich alle in der Stadt ballen und auf dem Land fehlen. Es ist also kein Problem der Zulassungen, sondern der Verteilung. Viel schwieriger ist aber, dass es generell zu wenig Nachwuchs bei den Hausärzten gibt.

tagesschau.de: Eine neue Richtlinie soll dieses Verteilungsproblem lösen. Außerdem hat der Bundestag erst kürzlich ein Gesetz verabschiedet, das Anreize für Ärzte schaffen soll, sich auf dem Land niederzulassen. Reicht das, um den Ärztemangel in den Griff zu bekommen?

Weigeldt: Das sind Tropfen auf den heißen Stein. Die Bedarfsplanung, also die Zulassungsbezirke anzupassen, wird helfen, genauer hinzusehen. Das ist ein guter Schritt. Aber das bringt uns noch nicht einen einzigen Arzt mehr auf dem Land. Die bisherigen Mechanismen, den Landarzt zu fördern, haben nicht so viel gebracht, weil sie auf der Hälfte der Strecke stecken bleiben. Man versucht zwar, die Arbeitsbedingungen der Ärzte auf dem Land zu verbessern, das ist aber noch nicht genügend durchdacht. Bevor man sich als junger Arzt auf dem Land niederlässt und investiert, braucht man aber Planungssicherheit.

"Der bürokratische Aufwand muss vermindert werden"

tagesschau.de: Was müsste darüber hinaus noch passieren?

Weigeldt: Man muss das Problem auf vielen verschiedenen Wegen angehen, eine einzige Lösung wird es nicht geben. Wir müssen den Beruf des Hausarztes auf dem Land attraktiver machen, Studenten müssen den Beruf kennenlernen. Damit sie merken, das ist nicht nur Husten, Schnupfen, Heiserkeit, sondern ein erfüllender Beruf. Da sind wir mit den Ländern auf einem guten Weg. An den Universitäten passiert da einiges, aber das sind behäbige Apparate, so eine Entwicklung dauert mindestens zehn Jahre. Außerdem muss die Bezahlung der Hausärzte an die der anderen Ärzte angepasst werden. Und ganz wichtig: Der bürokratische Aufwand für Ärzte muss vermindert werden.

Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 20. Dezember 2012 um 20:00 Uhr.