Niederschlagung des Herero-Aufstandes Für Lammert ist es Völkermord
Bisher hat sich die Bundesregierung strikt geweigert, den Völkermord deutscher Kolonialisten an den Herero 1904 als solchen anzuerkennen. Nun hat Bundestagspräsident Lammert erstmals das Wort gebraucht.
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat die deutschen Kolonialverbrechen im heutigen Namibia als "Völkermord" bezeichnet. Wer vom Genozid an den Armeniern 1915 im Osmanischen Reich spreche, der müsse auch die Verbrechen des deutschen Militärs gegen die einheimische Bevölkerung im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika so bezeichnen, schreibt Lammert in einem Beitrag für die "Zeit". "An den heutigen Maßstäben des Völkerrechts gemessen war die Niederschlagung des Herero-Aufstandes ein Völkermord", heißt es dort.
Der Krieg der Deutschen gegen die Herero sei ein "Rassekrieg" gewesen, schreibt Lammert. "Nicht nur den Kampfhandlungen, sondern auch Krankheiten und dem gezielten Morden durch Verdursten- und Verhungernlassen fielen Zehntausende Herero und Nama zum Opfer, andere starben in Konzentrationslagern oder bei der Zwangsarbeit."
Anlass für das Schreiben Lammerts ist das 100-jährige Gedenken an das Ende der deutschen Kolonialherrschaft in Südwestafrika. Am 9. Juli 1915 - im Ersten Weltkrieg - endete die Herrschaft der Deutschen über das heutige Namibia. In der Folge stand es unter Mandat des Völkerbundes und Südafrikas
Deutsche Kolonialtruppen töteten Zehntausende
Deutschland zählte das heutige Namibia von 1884 bis 1915 unter dem Namen Deutsch-Südwestafrika zu seinen Kolonien. Als die Herero 1904 einen Aufstand begannen und mehr als hundert Deutsche getötet wurden, ordnete General Lothar von Trotha die Vernichtung des Stammes an. Berüchtigt ist sein "Schießbefehl" von damals: "Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen."
Die Herero-Bevölkerung wurde vor dem Massaker auf 50.000 bis 80.000 geschätzt, es überlebten nur rund 15.000 Menschen. Unter Historikern herrscht Einigkeit, dass es sich bei den Ereignissen um den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts handelt.
Bundesregierung verweigert Anerkennung des Völkermords
Zuletzt waren erneut Forderungen an Deutschland laut geworden, die Vergehen als "Völkermord" anzuerkennen. Alle Bundesregierungen weigerten sich jedoch bislang. Die Begründung: Der Tatbestand des Völkermords sei erst 1948 von den Vereinten Nationen eingeführt worden und von daher nicht auf die Ereignisse im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika anwendbar. Ähnlich argumentiert die türkische Regierung in Bezug auf den Massenmord an den Armeniern 1915. Dies hatten viele deutsche Spitzenpolitiker noch vor wenigen Wochen scharf kritisiert.
Vor wenigen Tagen riefen der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Linkspartei, Gregor Gysi, und Grünen-Parteichef Cem Ödzemir die Bundesregierung zu einer offiziellen Entschuldigung auf. "Es geht nicht, dass die Bundesregierung sich bei diesem Thema immer noch wegduckt", sagte Gysi. Dieses Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte dürfe nicht unbearbeitet bleiben, als Rechtsnachfolger trage die Bundesrepublik hier Verantwortung, erklärte Özdemir.
Entschuldigung, aber keine Entschädigung
Zwar hatte zum 100-jährigen Gedenken des Massakers 2004 damalige Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul um Vergebung für die Verbrechen der deutschen Schutztruppe gebeten. Die offizielle Haltung der damaligen rot-grünen Regierung war das allerdings nicht. Bis heute wird auch keine Entschädigung an die Nachfahren der Nama und Herero geleistet.
Lammert hatte im April anlässlich der Vertreibung und Vernichtung der Armenier vor hundert Jahren im Osmanischen Reich ebenfalls von einem "Völkermord" gesprochen. Auch Bundespräsident Joachim Gauck schloss sich dieser Bewertung zur Verärgerung der Türkei an.