Lebenslange Haft im Fall Kusel "Eine Hinrichtung"
Der Hauptangeklagte im Mord an zwei Polizisten in Kusel wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. An die behauptete Notwehr glaubte das Gericht nicht. Es stellte vielmehr eine "besondere Schwere der Schuld" fest.
Um kurz nach 13 Uhr ist der Vorsitzende Richter Raphael Mall eigentlich durch mit der Urteilsbegründung im Kaiserslauterner Gerichtssaal. Aber nur fast. Zum Schluss wendet er sich an die Angehörigen der getöteten Opfer. "Zweieinhalb Stunden ging es jetzt im Wesentlichen um den Angeklagten S. Aber auch Ihre Familien haben lebenslang bekommen." Auf andere Art. Er hoffe, dass dieser Strafprozess zumindest dazu beigetragen habe, dass die Familien mit ihrer persönlichen Aufarbeitung beginnen können.
Was in der Nacht geschah
Auf die Sekunde genau hat das Gericht nach der monatelangen Beweisaufnahme rekonstruiert, was aus seiner Sicht am 31. Januar 2022 früh morgens zwischen vier und fünf an einer Landstraße bei Kusel in Rheinland-Pfalz geschah. Die beiden Angeklagten Andreas S. und Florian V. sind in dieser Nacht - wie häufig - gemeinsam auf illegaler Jagd unterwegs. S. ist zwar passionierter Jäger, hat aber keine Jagderlaubnis mehr. V. ist sein Gehilfe, der gegen Geld das erlegte Wild einsammelt und später beim Zerlegen hilft.
Als eine Streife mit einer Polizistin und einem Polizisten anhält, sie kontrollieren möchte und die beiden erlegtes Wild im Kofferraum entdecken, schießt S. mehrfach auf die Beamten und tötet sie. "Kommt schnell, die schieße, die schieße" zitiert der Vorsitzende Richter im Pfälzer Dialekt den Original-Funkspruch des Polizisten, als der gerade den Verdacht der Wilderei durchgegeben hatte und die Personalien durchgeben wollte. Im Gerichtssaal war der Funkspruch während des Prozesses vorgespielt worden.
Gericht glaubt nicht an Notwehr
Am ersten Prozesstag hatte der Angeklagte S. über seinen Verteidiger ausgesagt, er habe sich gegen Schüsse der Polizei verteidigen müssen und nur auf ein Mündungsfeuer reagiert. Er berief sich auf Notwehr und belastete V., ebenfalls geschossen zu haben. Doch dieser Version schenkt das Gericht nach der Beweisaufnahme keinen Glauben. Auch die Spurenlage spreche dagegen.
Ein Totschlag wird immer dann zum Mord, wenn bestimmte im Gesetz geregelte "Mordmerkmale" vorliegen. Bei S. ist dieses für das Gericht das Mordmerkmal der "Verdeckungsabsicht". S. habe durch den Tod der Polizisten erreichen wollen, dass die Wilderei und sein illegaler Waffenbesitz unentdeckt bleiben. Wegen des Funkspruchs sei ihm in der konkreten Situation bewusst gewesen, dass die Polizisten ihn der Jagdwilderei verdächtigen. Aber seine Identität war noch nicht bekannt. Nur die beiden Polizisten hätten ihn wiedererkennen können.
Mit dem Auffliegen der illegalen Jagd wäre sein Lebensinhalt weggefallen, S. wäre seiner Passion beraubt gewesen, so das Gericht. Verdeckungsabsicht also ja - andere Mordmerkmale wie Habgier, Heimtücke oder niedrige Beweggründe habe man bei der Tat nicht sicher feststellen können.
Strafe "lebenslang" heißt nicht 15 Jahre
Wenn das Gericht wie hier von einem Mord ausgeht, hat es bei der Strafe in aller Regel keinen Spielraum. Auf Mord steht lebenslange Freiheitsstrafe. Anders als viele denken, bedeutet lebenslang aber nie automatisch (nur) 15 Jahre Gefängnis. Richtig ist: Bei lebenslanger Haft muss später geprüft werden, ob der Verurteilte nach 15 Jahren auf Bewährung herauskommen kann. Voraussetzung ist, dass er keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit ist. Es besteht also bei lebenslang die Chance, nach 15 Jahren herauszukommen.
Allerdings nicht im Mordfall von Kusel. Denn das Gericht hat hier die "besondere Schwere der Schuld" festgestellt. Das hat konkrete Folgen. Es entfällt damit nämlich die Chance, nach 15 Jahren freizukommen. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, muss S. also auf jeden Fall länger als 15 Jahre im Gefängnis bleiben. Wie lange genau, kann man heute noch nicht sicher sagen. Auch wenn der Vorsitzende Richter von mindestens 20 oder 25 Jahren sprach, wurde darüber heute noch nicht entschieden. Möglich wäre eine Entlassung ohnehin immer nur dann, wenn von S. keine Gefahr mehr ausginge. All das ist Zukunftsmusik.
Besondere Schwere der Schuld wegen "Hinrichtung"
Warum in diesem Fall eine "besondere Schwere der Schuld" vorliege, begründet der Vorsitzende Richter ausführlich. Das ist für ein Gericht keine einfache Sache. Denn was unterscheidet einen "normalen" Mord von einem mit "besonders schwerer Schuld"?
Zentrales Argument: S. habe die nach den ersten Schüssen noch lebenden Polizisten aus nächster Nähe mit Kopfschüssen getötet. Der Polizistin wurde dabei das Gesicht zerfetzt. Dabei sei S. vorgegangen wie bei seinen Jagdzügen. Nach der Jagd hatte er häufiger Textnachrichten verschickt mit dem Inhalt: "Kopfschuss, wie immer". Dieses Motto habe für ihn auch beim Töten der beiden Polizisten gegolten. Bei einem Menschen nenne man das "eine Hinrichtung", so der Vorsitzende Richter.
Zweiter Angeklagter: Beihilfe zu Wilderei, aber keine Strafe
Der zweite Angeklagte V. stand direkt nach der Tat ebenfalls unter Mordverdacht. Diesen Vorwurf hatte die Staatsanwaltschaft aber schon vor Prozessbeginn fallengelassen. Das Gericht hat ihn nun wegen "Beihilfe zur Jagdwilderei in einem besonders schweren Fall" verurteilt, aber von einer Strafe abgesehen. Das ist kein Freispruch. Das Urteil gegen V. bedeutet: Er wurde schuldig gesprochen, aber es gibt keine Sanktion.
Das Gericht hat für V. die sogenannte "Kronzeugenregelung" im Strafgesetzbuch angewandt. In einem Fall wie hier ermöglicht das Gesetz ein "Absehen von Strafe", wenn jemand zur Aufklärung einer schweren Straftat beigetragen hat. Das hat V. aus Sicht des Gerichts durch seine Aussagen getan. V. hat heute über seinen Verteidiger noch im Gerichtssaal auf Rechtsmittel verzichtet.
Das Urteil gegen S. ist noch nicht rechtskräftig, er kann dagegen Revision einlegen. Dann würde der Bundesgerichtshof in Karlsruhe das schriftliche Urteil auf rechtliche Fehler hin überprüfen.