Interview mit Hygiene-Experten "Moderne Medizin nimmt tödliche Keime in Kauf"
Die Gefahr lauert im Krankenhaus: Immer häufiger infizieren sich dort Patienten mit Multi-Resistenten-Erregern. Oft ist mangelnde Hygiene die Ursache. Das Bundeskabinett beschloss deshalb strengere Regeln. Ob das helfen kann, darüber sprach tagesschau.de mit dem Hygiene-Experten Jörg Herrmann.
tagesschau.de: Schätzungen zufolge erkranken jährlich 400.000 bis 600.000 Patienten in Deutschland an Krankenhausinfektionen - bis zu 15.000 sterben daran. Wie kann das sein?
Jörg Herrmann: Es mag seltsam klingen: Das hat zu nicht unwesentlichen Teilen mit der modernen Medizin zu tun. Wir setzten ja mittlerweile verstärkt auf aggressive Behandlungsmethoden wie beispielsweise Chemotherapien - und das auch noch bei einer zunehmend alternden Bevölkerung. Das sind natürlich Faktoren, die Krankenhausinfektionen zuträglich sind. Verkürzt kann man sagen: Wo keine medizinische Interventionen, da gibt es auch keine entsprechenden Infektionen.
tagesschau.de: Aber das ist doch nicht der alleinige Grund?
Herrmann: Nein, natürlich nicht. Insgesamt sind auch unsere Krankenhäuser in dieser Frage leider nicht optimal aufgestellt. Das machen andere besser.
Jörg Herrmann ist Direktor des Instituts für Krankenhaushygiene am Klinikum Oldenburg. Seit vielen Jahren leitet er Fortbildungsveranstaltungen für Gesundheitspersonal. Zudem betreut er als Krankenhaushygieniker Klinken in der Ems-Dollart Region. Außerdem ist Herrmann am deutsch-niederländischen "EurSafety Health-net"-Projekt zur Stärkung der Patientensicherheit und zum Schutz vor Infektionen beteiligt.
tagesschau.de: Zum Beispiel?
Herrmann: Die Niederlande. Zwar erkranken auch dort die Patientinnen und Patienten an Infektionen. Das Hauptproblem sind Infektionen mit Multi-Resistenten-Erregern (MRE). Also mit Erregern, die sich mit Antibiotika nur sehr schwer bekämpfen lassen. In diesem Bereich sind uns unsere Nachbarn deutlich voraus.
tagesschau.de: Woran liegt das?
Herrmann: In den Niederlanden hat man schon in den 90er Jahren damit begonnen, diese MRE-Erreger intensiv zu bekämpfen. Da wurden Patienten sofort in Einzelzimmer verlegt, isoliert und dann wurden die Erreger bekämpft. So konnte eine frühzeitige Ausbreitung verhindert werden. In Deutschland machen wir das mittlerweile natürlich auch - wir haben nur viel zu spät damit angefangen.
tagesschau.de: Warum?
Herrmann: Wir hatten zu lange die Hoffnung, dass wir diese Erreger mit immer neuen Antibiotika wirksam bekämpfen können. Doch das hat sich leider als Irrweg herausgestellt. Inzwischen ist jeder fünfte Staphylococcus-aureus-Stamm leider resistent.
tagesschau.de: Was sind aus Ihrer Sicht geeignete Maßnahmen, um die Infektionsrate zu senken?
Herrmann: Das Wichtigste ist ganz klar: mehr Fachpersonal an die Kliniken. Wir brauchen vor Ort Personen, die sich mit diesen Problematiken auskennen. Tatsächlich ist in den letzten Jahren genau das Gegenteil passiert. Experten wie Ärzte für Mikrobiologie und für Hygiene wurden aus den einzelnen Kliniken abgezogen und in mikrobiologische Groß-Labore verfrachtet. Das ist natürlich sehr weit weg vom Patienten. Dieser Fehler muss unbedingt korrigiert werden.
tagesschau.de: Die Bundesregierung will jetzt strengere Hygienevorschriften für Krankenhäuser verabschieden und auf einen fachgerechteren Einsatz von Antibiotika drängen. Trifft das den Kern des Problems?
Herrmann: Tatsächlich ist das Problem in erster Linie die Umsetzung. Das Know-How stimmt eigentlich. Wir hatten ja schon bisher ein Infektionsschutzgesetz und wissenschaftliche Stellen, die regelmäßig Empfehlungen im Umgang mit Krankenhausinfektionen aussprechen. Wir haben es bisher nur nicht geschafft, diese ganzen Informationen auch wirklich in die Krankenhäuser hineinzubekommen. Mit dem neuen Gesetz werden die Bundesländer jetzt in die Pflicht genommen, genau dafür zu sorgen. Und das verbindlich. Insofern hilft die Neuregelung bestimmt.
tagesschau.de: Ist die Umsetzung des neuen Gesetzes auch mit mehr Kosten verbunden?
Herrmann: Nicht automatisch. An meiner Klinik gib es beispielsweise seit 2003 ein Institut für Krankenhaushygiene. Und wir sparen mittlerweile so viel Geld ein - durch die Verhinderung von Infektionen oder auch die Reduktion von Antibiotika-Kosten - dass wir allemal kostendeckend arbeiten. Im Gegenteil: wir erwirtschaften sogar noch einen kleinen Gewinn für das Krankenhaus.
Die Fragen stellte Niels Nagel, tagesschau.de