Afghanistan-Krise Kramp-Karrenbauer räumt Fehler ein
Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer hat eine falsche Einschätzung der Entwicklungen in Afghanistan eingeräumt. Scharfe Kritik am Handeln der Regierung kam von den Grünen - und von CDU-Chef Laschet.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat bei der Reaktion der deutschen Bundesregierung auf den Vormarsch der Taliban in Afghanistan gravierende Fehler eingeräumt. Noch zu Beginn der letzten Woche habe niemand in der internationalen Gemeinschaft damit gerechnet, dass Kabul bereits am Ende der Woche kampflos fallen würde, schrieb die CDU-Politikerin in einem Brief an Abgeordnete des Bundestags, der mehreren Medien vorliegt. "Unsere Lageeinschätzung war falsch, unsere Annahmen über die Fähigkeiten und die Bereitschaft zum afghanischen Widerstand gegen die Taliban zu optimistisch." Ähnlich hatten sich bereits Außenminister Heiko Maas und Kanzlerin Angela Merkel am 16. August geäußert - dem Tag nach der Einnahme Kabuls durch die Taliban.
Man sei trotz des fast abgeschlossenen Truppenabzugs davon ausgegangen, dass die afghanischen Sicherheitskräfte "dem Druck der Taliban - zumindest in den urbanen Gebieten und insbesondere in der Hauptstadt - standhalten könnten". Die Annahme habe sich innerhalb von wenigen Tagen als falsch erwiesen. "Damit ist das Worst-Case-Szenario deutlich früher als erwartet eingetreten", schrieb Kramp-Karrenbauer.
Kramp-Karrenbauer sieht Teilschuld bei Trump
Die Ausreise der Ortskräfte vor dem Abzug der Bundeswehr sei geplant gewesen, aber an Pass- und Visaanforderungen gescheitert, schrieb die Verteidigungsministerin. Der Generalinspekteur habe auf seinem letzten Flug nach Afghanistan vom 16. auf den 17. Juni Visa mitgenommen, so dass fast 2000 Ortskräfte der Bundeswehr mit ihren Familienangehörigen bis vergangenen Freitag einreisen konnten. Eine Ausreise weiterer Ortskräfte sei dadurch behindert worden, dass die vom Auswärtigen Amt beauftragte Internationale Organisation für Migration ihre Leistung vor Ort nicht habe erbringen können und dass die afghanische Regierung bis zuletzt auf Reisepässen bestanden habe.
Eine Teilschuld an der rasanten Abwärtsspirale Afghanistans gibt Kramp-Karrenbauer dem früheren US-Präsidenten Donald Trump. Demnach sei beim Start der Gespräche für ein Abkommen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban die Hoffnung gewachsen, "dass der Weg zu einem Frieden zwar lang, aber gangbar sein würde". Dass Trump jedoch einen Deal absegnete, in dem der "weitgehend voraussetzungslose Abzug der amerikanischen Streitkräfte" besiegelt wurde, habe "die Lage entscheidend verändert".
Lindner für Untersuchungsausschuss
Nach Ansicht von FDP-Chef Christian Lindner soll sich in der nächsten Legislaturperiode ein Untersuchungsausschuss mit Afghanistan befassen und aufklären, "was nicht funktioniert hat". Ein solcher Ausschuss müsse die Einsätze der Bundeswehr im Ausland auf "systematische Schwächen" untersuchen, ebenso solle er die "Fehleinschätzung" des Bundesnachrichtendienstes zur Machtübernahme der Taliban in Afghanistan in den Blick nehmen, forderte Lindner in der "Bild am Sonntag".
Bereits am Donnerstag hatten neben der FDP auch die Grünen und die Linkspartei die Option eines Untersuchungsausschusses ins Spiel gebracht.
"Auf dramatische Art und Weise nichts gemacht"
Angesichts der chaotischen Lage in Afghanistan griff Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock die Bundesregierung scharf an. "Ich sehe ein riesengroßes Versagen", sagte sie der "Süddeutschen Zeitung" vor allem mit Blick auf Außenminister Maas und Innenminister Horst Seehofer. Seit Monaten sei klar gewesen, dass afghanische Ortskräfte Schutz bräuchten.
Bei einem Grünen-Wahlkampfcamp in Potsdam sagte Baerbock, es sei wichtig, dass die Grünen eine Politik machten, die anders sei und nicht wie die jetzige Bundesregierung, die "einfach abwartet und sagt, am Ende sind andere dran Schuld". Die Bundesregierung habe auf dramatische Art und Weise nichts gemacht und dann gesagt, sie habe von nichts gewusst. Auch die Linke sprach von einem "Totalversagen" von Maas und anderen Ministern.
Kritik an der Bundesregierung kam auch von Unionskanzlerkandidat Armin Laschet. Diese hätte besser auf frühe Oppositionsforderungen hören sollen, einheimische Ortskräfte schnell in Sicherheit zu bringen, sagte Laschet im Sat.1-Sommerinterview. "Der Ansatz, schon vor Wochen sie herauszuholen, war richtig. Und da hätte man auch mal der Opposition recht geben können."
Laschet warf insbesondere dem Außenminister Versagen bei der rechtzeitigen Rettung der Ortskräfte vor. "Noch im Juni hatte sich das Auswärtige Amt dagegen gesträubt, Ortskräfte aufzunehmen, deren Beschäftigungsverhältnis länger als zwei Jahre zurückliegt", sagte der CDU-Politiker der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Der federführende Minister habe versagt. "Da hätten wir mehr drängen müssen."
Merkel räumt erneut Fehler ein
Bundeskanzlerin Angela Merkel räumte bei einer Wahlkampfveranstaltung der Union erneut Fehler ein. "Die afghanische Regierung und Armee sind in einem atemberaubenden Tempo kollabiert", sagte sie. Die Entwicklung in Afghanistan sei ein "Drama" und eine "Tragödie". "Wir wollten möglichst vielen Menschen in Afghanistan ein freies, ein gutes und selbstbestimmtes Leben ermöglichen", sagte Merkel. "Und da müssen wir einfach sagen: Das ist so nicht gelungen."
Das Zeitfenster für weitere Evakuierungen aus Kabul wird derweil immer kleiner. Die USA wollen eigentlich zum 31. August den Abzug ihrer Truppen abschließen. Eine Fortführung des Evakuierungseinsatzes ohne die USA gilt als ausgeschlossen.