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Vorfälle in der Silvesternacht Übergriffe auf Frauen in Köln - Faktencheck

Stand: 05.01.2016 17:02 Uhr

Nach den Übergriffen am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht sind bereits 90 Anzeigen bei der Polizei eingegangen. Was ist bislang über die Vorfälle bekannt, was über die Täter? tagesschau.de gibt einen Überblick.

Von Jörn Unsöld, tagesschau.de

Was genau hat sich vor dem Hauptbahnhof abgespielt?

Erst nach und nach wird bekannt, was sich rund um den Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht abgespielt hat. Bis zu 500 Menschen sollen nach Angaben der Polizei bereits gegen 21 Uhr auf dem Bahnhofsvorplatz gesichtet worden sein. Später sollen sich dort bis zu 1000 Männer versammelt haben, die "dem Aussehen nach aus dem arabischen oder nordafrikanischen Raum" stammten.

Aus dieser Gruppe sollen sich dann Gruppen von mehreren Männern zusammengetan haben, um Frauen zu umzingeln, zu bedrängen und auszurauben. Die Polizei betont, dass nicht von 1000 Tätern die Rede sein könne, wie unzählige Kommentare im Netz behaupten. "Eine Zahl von Tatverdächtigen kann ich in keiner Weise bestätigen", betonte Kölns Polizeipräsident Wolfgang Albers.

Was ist über die Täter bekannt?

Die Polizei Köln gibt noch keine detaillierten Informationen heraus - und verweist im Gespräch mit tagesschau.de darauf, dass sie auf Augenzeugenberichte angewiesen ist. Nach und nach gehen weitere Hinweise ein, die überprüft werden müssen. Zudem ist die Polizei noch dabei, Videomaterial - auch Handyvideos - auszuwerten. Identifiziert seien die mutmaßlichen Täter noch nicht. Eine eigene Ermittlungskommission wurde gegründet, die die Vorfälle untersucht.

Die Augenzeugenberichte deckten sich darin, was die Altersspanne der Männer (zwischen 15 und 35) angeht, als auch was ihr Aussehen betrifft, wonach es sich um Männer mit Migrationshintergrund gehandelt habe. Auch Polizeibeamte vor Ort hätten dies so wahrgenommen, so Polizeipräsident Albers. Die Polizei widersprach Spekulationen, wonach es sich um eine bekannte Gruppe von Männern handele, die am Kölner Hauptbahnhof mit Drogen deale.

Von fünf festgenommenen Männern wurden drei wieder freigelassen. Gegen die anderen beiden wurde Haftbefehl erlassen, jedoch wegen Taschendiebstahls und nicht wegen sexueller Übergriffe. Die Zahl der Anzeigen stieg mittlerweile auf 90, eine davon wegen Vergewaltigung.

Am Montag waren es 60 Anzeigen, ein Viertel davon wegen sexueller Übergriffe. Die Dunkelziffer könnte aber noch höher liegen. Auch Straftaten wie Diebstahl und Körperverletzungen sollen begangen worden sein. Die Ermittler sprechen von Sexualdelikten in sehr massiver Form und einer Vergewaltigung.

Nach Informationen von ARD-Reporter Jens Eberl geht die Polizei davon aus, dass die Täter extra nach Köln reisten, um das Gedränge in der Silvesternacht auszunutzen. Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, sagte im Radiosender NDR Info, es handele sich zwar nicht um organisierte Kriminalität, aber schon um "eine Absprache der Täter, die die Masse der Menschen nutzen, die Dunkelheit und den Überraschungseffekt, um nach vollzogener Tat wieder unerkannt zu entkommen".

Warum konnte die Polizei die Übergriffe nicht verhindern?

Zentrales Problem war nach Angaben der Kölner Polizei, dass die Vorfälle in Kleingruppen und abgeschirmt passiert seien. Dies sei nicht einsehbar gewesen. Als die Gewalt eskalierte, wurde der Bahnhofsvorplatz schließlich geräumt. Das ganze Ausmaß der Übergriffe sei erst durch die Vielzahl der Anzeigen klar geworden. Diese wurden sukzessive erstattet, teilweise erst im Laufe der Nacht und im Laufe des nächsten Tages. Viele der Betroffenen waren auch zu Besuch in Köln und brachten laut Polizei die Vorfälle erst später zur Anzeige.

Welche Konsequenzen ziehen Polizei und Stadt Köln aus den Übergriffen?

Die Stadt Köln wird nach den Worten von Oberbürgermeisterin Henriette Reker verstärkt auf Prävention setzen - gerade auch mit Blick auf Karneval. Dazu gehöre auch, Menschen aus anderen Kulturkreisen besser zu erklären, was Karneval bedeute. "Damit hier nicht verwechselt wird, was ein fröhliches Verhalten ist und was mit einer Offenherzigkeit, insbesondere mit einer sexuellen Offenherzigkeit, überhaupt nichts zu tun hat."

Mit der Polizei wurden ihren Angaben zufolge konkrete Maßnahmen verabredet. Als Beispiele nannte Reker, dass die Stadt Köln künftig auch für Großveranstaltungen, bei denen es keinen Veranstalter gebe, Sicherheitskonzepte erstellen werde. Die Stadt selbst werde in solchen Fällen "fiktiver Veranstalter" sein. Polizeipräsident Albers sagte, die Präsenz der Polizei werde verstärkt - offen wie verdeckt.

Es werde auch geprüft, ob Menschen, die bereits mehrfach durch Taschendiebstahl aufgefallen seien, für einen bestimmten Zeitraum das Betreten bestimmter Orte in Köln untersagt werden könne. Dies sei rechtlich leider allerdings sehr schwierig.

Hat es vergleichbare Fälle in Deutschland schon mal gegeben?

Der Kölner Polizeipräsident Albers spricht von "Straftaten einer völlig neuen Dimension" - eine These, die auch die Kriminologin Rita Steffes-enn vom Zentrum für Kriminologie und Polizeiforschung unterstreicht. "Dass wir so große Tätergruppen im öffentlichen Raum haben, das hat es meines Wissens hierzulande bislang nicht gegeben", sagt sie im Gespräch mit tagesschau.de. Auf der einen Seite bestehe für Täter, die derartige sexuelle Übergriffe im öffentlichen Raum begehen, ein hohes Risiko. "Wenn sich aber so viele Männer zusammenschließen, verringert sich aus deren Sicht die Gefahr, belangt zu werden - und die Hemmschwelle sinkt, Übergriffe auf Frauen zu begehen", sagt sie.

Sexuelle Übergriffe mit dem Ziel, Menschen zu bestehlen - ist das eine neue Form der Gewalt?

Die Kriminologin Steffes-enn beobachtet seit rund zwei Jahren ein Phänomen, bei dem vor allem junge Männer unter 30 bei öffentlichen Veranstaltungen Frauen antanzen, um diese dann auszurauben.

Die sexuelle Annäherung sei gewissermaßen das Mittel zum Zweck. Für die Opfer könne diese Form der Gewalt hochgradig belastend sein.

Inwieweit es sich bei den Kölner Vorfällen oder bei den Berichten über sexuelle Übergriffe in Hamburg darum handelt, könne noch nicht abschließend gesagt werden. Vieles deute allerdings darauf hin, dass es sich auch so abgespielt haben könnte.

In sozialen Medien wurde kritisiert, dass Medien erst vier Tage nach den Übergriffen berichteten. Woran lag das?

Am Neujahrstag hatte die Polizei zunächst von einer ruhigen Silvesternacht gesprochen. Zwar gab es einzelne Schilderungen auf Facebook, doch die Polizei hatte am Neujahrstag zunächst noch keine Anzeige. Erst am Abend des 2. Januar wurde bekannt, dass bei der Polizei mittlerweile 30 Anzeigen eingingen und ein eigenes Team für diese Fälle gegründet wurde. Das ganze Ausmaß kam aber erst in einer Pressekonferenz der Polizei an diesem Montag heraus.