Koalitionsvertrag vorgestellt Wer hat sich wo durchgesetzt?
Die schwarz-rote Koalition schwarz auf weiß: Rund 185 Seiten umfasst der Koalitionsvertrag, der die Politik der nächsten vier Jahre bestimmen soll. Was steht drin und wer hat sich wo durchgesetzt? Gehen mehr Punkte an CDU, CSU oder SPD? tagesschau.de zieht Bilanz.
Zankapfel Betreuungsgeld
Seit Monaten lief die SPD gegen das von der CSU durchgesetzte Betreuungsgeld Sturm. Niemand schien sich daran erinnern zu wollen, dass diese Leistung Teil eines Gesamtpakets war: Das Betreuungsgeld wurde als Ausgleich für den Rechtsanspruch der unter Dreijährigen auf einen Betreuungsplatz eingeführt. Den Rechtsanspruch hatte die SPD gefordert.
Klar war aber auch: Der selbstbewusste CSU-Chef Horst Seehofer würde bei seinem Prestigeprojekt nicht nachgeben wollen. Die SPD setzte sich dafür ein, das Betreuungsgeld einzusparen und dafür die Beteiligung des Bundes an den Kita-Betriebskosten auszubauen. Diesen Plan mussten die Sozialdemokraten schließlich beerdigen.
Wenig Konkretes in Sachen Bildungspolitik
Im Wahlkampf hatte die SPD ein neues Bundesprogramm zum Ausbau von Ganztagsschulen gefordert. Grundsätzlich hielt man es für erforderlich, das sogenannte Kooperationsverbot aufzuheben, das dem Bund Zahlungen für Aufgaben der Länder weitgehend untersagt.
Im Koalitionsvertrag taucht der Begriff "Kooperationsverbot" nicht mehr auf. Folglich bleibt die bestehende Regelung offenbar gültig. Allerdings will die künftige Regierung in den nächsten vier Jahren seitens des Bundes den Hochschulen mehr Geld zur Grundfinanzierung zur Verfügung stellen. Die Fördermaßnahmen von Exzellenzinitiative, Hochschulpakt und vom Pakt für Forschung und Innovation sollen ausgebaut und erweitert werden.
Es bleibt der kleine Unterschied bei der Ehe
Die SPD trat dafür ein, die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen. Rechte und Pflichten, wie sie in der Ehe von Frau und Mann bestehen, hätten dann auch für verheiratete Lesben und Schwule gegolten. Es war abzusehen, dass die Sozialdemokraten bei CDU und CSU damit auf Granit beißen, was wiederum insbesondere die Familienpolitiker der SPD empörte. SPD-Vize Manuela Schwesig soll deshalb sogar ein Nein zur Koalitionsbildung ins Gespräch gebracht haben.
Die ebenfalls mit dem Thema befasste Arbeitsgruppe Innen und Recht hat sich zu einer ungenauen gemeinsamen Formulierung durchgerungen, die auf ein Ende der Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften abzielt. Einzig im Fall der sogenannten Sukzessivadoption wird der Koalitionsvertrag konkret.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar geurteilt, dass die Adoption des angenommenen Kindes des Lebenspartners auch homosexuellen Paaren erlaubt sein müsse. Ein Gesetz kam unter der schwarz-gelben Bundesregierung aber nicht mehr zustande, weil die FDP in einem neuen Gesetz nicht nur die Sukzessivadoption, sondern jegliche Adoption erlauben wollte. Die Adoption des leiblichen Kindes des Partners ist Schwulen und Lesben bereits länger erlaubt, das gemeinsame Adoptieren eines Kindes aber nicht.
Kein Paradigmenwechsel für gesetzlich Versicherte
Seit Jahren plädierte die SPD für eine Abschaffung des Systems aus gesetzlichen und privaten Krankenkassen - zugunsten der sogenannten Bürgerversicherung, in die alle einzahlen sollen. Jeder Bürger, egal ob selbstständig oder angestellt und gleich welchen Einkommens, hätte sich beteiligen müssen. Damit wäre die gesetzliche Versicherung auf eine breite finanzielle Basis gestellt worden. Die Union lehnte das immer ab. Sie wollte am bestehenden System und der Aufteilung in privat und gesetzlich festhalten. Im Rahmen der gesetzlichen Versicherung sollten die Arbeitgeber vor steigenden Kosten geschützt und nur die Beschäftigten belastet werden. Bewegt hat sich die Union in dieser Frage nicht.
Zukünftig wird der Arbeitgeberanteil für die gesetzliche Krankenversicherung bei 7,3 Prozent eingefroren. Der Zusatzbeitrag, den Kassen erheben können, die mit dem Geld aus dem Gesundheitsfonds nicht auskommen, wird in Zukunft nicht mehr pauschal erhoben. Er richtet sich wie der Kassenbeitrag insgesamt nach dem Einkommen.
Erst kleben, dann fahren
CSU-Chef Horst Seehofer hatte die Einführung einer Pkw-Maut für ausländische Autofahrer zur Bedingung für einen Koalitionsvertrag gemacht. Diskutiert wurde eine Art Vignette für alle, wobei deutsche Kfz-Halter über eine reduzierte Kfz-Steuer entlastet werden. Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel hatte im Wahlkampf zwar gesagt, mit ihr werde es eine Pkw-Maut nicht geben. Nach der Wahl aber relativierte sie ihre Aussage und wollte sie mit Bezug auf die Gesamtbelastung inländischer Autofahrer verstanden wissen.
Die SPD lehnte eine Pkw-Maut bisher ab und forderte von der CSU ein Konzept der Ausgestaltung. Die Gebühr dürfe nur ausländische Fahrer belasten, nicht gegen EU-Recht verstoßen und müsse erhebliche Mittel für den Straßenbau generieren. Die SPD wollte außerdem über eine Ausweitung der Lkw-Maut reden, wogegen sich wiederum die CSU aussprach.
Verständigt haben sich Union und SPD jetzt darauf, 2014 ein Gesetz zur Pkw-Maut zu verabschieden. Das aber steht unter den alten Vorbehalten. In Kreisen von CDU und SPD wurde die Formulierung lediglich als Prüfauftrag gewertet. Der zuständige SPD-Verhandler und bayerische Landesvorsitzende Florian Pronold sprach von einem "Armutszeugnis" für die CSU. "Bisher kein Konzept" und "Kommt nie", schrieb Pronold auf Twitter angesichts der ausgehandelten Bedingungen: Die stellvertretende CSU-Generalsekretärin Dorothee Bär konterte Pronold umgehend, ebenfalls via Twitter: "Schlechter Verlierer!"
Die Lkw-Maut soll künftig außer auf Autobahnen auch auf allen Bundesstraßen erhoben werden. Die Abgabe werde dabei unter Berücksichtigung von Tonnage und externen Kosten weiter entwickelt, heißt es im Koalitionsvertrag von SPD und Union.
Deutschland wird Mindestlohn-Land
Ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro war ein Schlüsselthema im SPD-Wahlkampf. Generalsekretärin Andrea Nahles bezeichnete ihn als "rote Linie" für ein Regierungsbündnis. Die Union wehrte sich lange dagegen, dass der Staat sich überhaupt in die Verhandlungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern einmischt. Christdemokraten und Christsoziale pochten auf die Tarifautonomie und wollten, dass die Tarifpartner die Mindestlöhne differenziert nach Regionen und Branchen festlegen.
Der Kompromiss sieht jetzt so aus: Der Mindestlohn kommt 2015 und beträgt bundesweit 8,50 Euro pro Stunde. Allerdings soll es bis Anfang 2017 Ausnahmen geben können. So sollen repräsentative, bereits wirksame Flächentarifverträge bis Ende 2016 weiter gelten, auch wenn sie unter 8,50 Euro liegen. Dies ermöglicht für einen Übergangszeitraum von zwei Jahren auch eine regionale Differenzierung. Ab 2017 soll der Mindestlohn dann überall gelten.
Die Höhe des allgemein verbindlichen Mindestlohns soll in regelmäßigen Abständen von einer siebenköpfigen Kommission der Tarifpartner festgelegt werden. Die Mitglieder der Kommission werden von den Verbänden der Arbeitgeber und Gewerkschaften benannt. Bei der Bestimmung der künftigen Höhen soll externer wissenschaftlicher Sachverstand hinzugezogen werden.
Teure Rentenreform
Schon vor der Beginn der Verhandlung war Konsens, dass Union und SPD im Grundsatz an der Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre festhalten. Die SPD forderte allerdings, dass mindestens die Hälfte der 60- bis 64-Jährigen sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist, ehe die Rente mit 67 voll greift.
Auch das Thema Mütterrente, die die CDU Frauen zahlen wollte, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, war kein großes kein Hindernis. Die Sozialdemokraten sprachen zwar nicht von einer Mütterrente, forderten aber in ihrem Wahlprogramm, bei der Rente "in angemessenem Umfang" Berücksichtigungszeiten auch auf Eltern auszudehnen, deren Kinder vor 1992 geboren wurden. Die SPD ging im Gegenzug davon aus, dass sie beim Thema Rente ihre Forderung nach einer Aufstockung für Geringverdiener durchsetzen kann.
Die angestrebte "große Lösung" wird mehrere Milliarden Euro pro Jahr kosten. So sollen etwa neun Millionen Mütter mit vor 1992 geborenen Kindern von Juli 2014 an eine höhere Rente bekommen. Auch die von der SPD geforderte abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Versicherungsjahren soll kommen. Zu denen können fünf Jahre Arbeitslosigkeit zählen.
Zudem sind Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente zur Mitte nächsten Jahres geplant. Die Aufstockung von Geringverdienerrenten wird dagegen voraussichtlich erst im Jahr 2017 in Kraft treten. Finanziert würden die Kosten der höheren Mütterrente in Höhe von etwa 6,5 Milliarden Euro jährlich wohl aus Beiträgen der Rentenversicherung. Die Kosten für die Rente mit 63 werden bei der vollen Wirksamkeit auf rund fünf Milliarden Euro geschätzt.
Fortschritt in Sachen doppelte Staatsbürgerschaft
Im Wahlkampf hat die doppelte Staatsbürgerschaft bei der SPD keine zentrale Rolle gespielt. Im Forderungskatalog der Sozialdemokraten für die Verhandlungen wurde sie aber als ein wichtiger Kernpunkt erwähnt. Die SPD wollte "den Optionszwang abschaffen und Mehrstaatigkeit hinnehmen". Die Union hatte sich bisher strikt gegen die doppelte Staatsbürgerschaft ausgesprochen. 1999 entschied die Frage des Doppelpasses sogar die hessische Landtagswahl. In jüngster Zeit aber kam Bewegung in die Positionen. CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl sah in der Haltung seiner Partei kein "unumstößliches Dogma".
Nach wie vor wird es keine generelle Zulassung der Mehrstaatlichkeit geben. Aus dem Ausland Zugewanderte müssen demnach bei einer Einbürgerung ihren alten Pass aufgeben, sofern das Recht in ihrem Herkunftsland dies zulässt. Tatsächlich entfallen wird die Optionspflicht. Kinder ausländischer Eltern, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, sollen sich künftig nicht mehr bis zum 23. Geburtstag zwischen dem deutschen Pass und dem ihrer Eltern entscheiden müssen.
Steuern steigen nicht
Die SPD war mit der Forderung in den Wahlkampf gezogen, den Spitzensteuersatz zu erhöhen und die "fünf oberen Prozent" der Einkommensbezieher stärker heranzuziehen - so hatte es Kanzlerkandidat Peer Steinbrück noch Anfang September im TV-Duell mit Bundeskanzlerin Angela Merkel formuliert. Die Union hatte die Bürger durch den Abbau der sogenannten kalten Progression entlasten wollen. Von Lohnerhöhungen wäre also mehr übrig geblieben, weil sich der Steueranteil nicht mehr so rasant erhöhen würde.
Aus beidem wird nichts, im Gegenteil, denn die Finanzierung aller Vorhaben setzte die Koalitionäre unter erheblichen Zugzwang. Auf 50 Milliarden Euro war die Summe aller Wünsche zwischendurch angewachsen. Die Union hatte argumentiert, der finanzielle Spielraum ohne höhere Steuern oder Neuschulden betrage 15 Milliarden.
Trotz der zahlreichen geplanten Projekte wollen Union und SPD auf Steuererhöhungen verzichten. Von 2015 an sollen zudem keine neuen Schulden mehr gemacht werden. Die Parteien verständigten sich auch auf einen Finanzrahmen für zusätzliche Ausgaben und Investitionen bis 2017.
Mehr Demokratie wagen?
Beim Thema direkte Demokratie war eine ungewöhnliche Konstellation entstanden: SPD und CSU hatten ein Positionspapier vorgelegt, das von der CDU abgelehnt wurde. Darin enthalten war die SPD-Forderung, im Grundgesetz die Möglichkeit einer Volksabstimmung über vom Bundestag beschlossene Gesetze festzuschreiben. Die CSU wollte Volksbefragungen bei wichtigen europäischen Entscheidungen ermöglichen.
Der Koalitionsvertrag bleibt weit hinter diesen Forderungen zurück. Parlament, Regierung und Verwaltung sollen die Möglichkeiten der Digitalisierung intensiv nutzen und die interaktive Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern sowie der Wirtschaft auf barrierefreien Websites ausbauen. Das bezieht sich vor allem auf umweltpolitisch relevante Entscheidungsprozesse und Verkehrsinfrastrukturprojekte: "Wir wollen Bürgerinnen und Bürger und die Akteure der Zivilgesellschaft konsequent in die Diskussion um Zukunftsprojekte und die Ausgestaltung von Forschungsagenden einbinden. Wir wollen neue Formen der Bürgerbeteiligung und der Wissenschaftskommunikation entwickeln und in einem Gesamtkonzept zusammenführen. Wir wollen die Partizipation Jugendlicher stärken."