Interview zur dritten Islamkonferenz "Den gegenseitigen Generalverdacht überwinden"
Die Deutsche Islamkonferenz, mit großen Erwartungen gestartet, will ihre ersten Resultate vorstellen. Nassir Djafari sieht Erfolge, aber auch einen "langen, schwierigen Prozess". Für ihn ist die Konferenz, so Djafari gegenüber tagesschau.de, ein "doppelter Diskurs" - zum einen mit dem deutschen Staat, zum anderen aber auch innerhalb der muslimischen Gemeinschaft.
tagesschau.de: Die Erwartungen an die Islamkonferenz waren zu Beginn im Jahr 2006 groß. Innenminister Schäuble sprach gar von einem "Gesellschaftsvertrag". Inwieweit empfinden Sie den Dialog als Erfolg?
Nassir Djafari: Es ist ein Erfolg, dass ein solcher geregelter Dialog mit den Migranten aus kulturell und religiös vom Islam geprägten Ländern überhaupt stattfindet. Er ist unverzichtbar. Anders lassen sich Barrieren, Vorurteile und Vorverurteilungen nicht abbauen. Es ist aber ein sehr schwieriger Prozess, der sehr lange dauern wird. Integration ist keine Sache, die man innerhalb einer Legislaturperiode abarbeitet.
Nassir Djafari ist Volkswirt und arbeitet als Entwicklungsexperte bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Der 55-Jährige vertritt in der Deutschen Islamkonferenz die nicht-organisierten Muslime. Geboren ist Djafari im Iran. Im Alter von fünf Jahren kam er mit seinen Eltern nach Deutschland.
tagesschau.de: Es gibt kein Forum, von dem sich alle Muslime vertreten fühlen. Der Autor Walid Nakschbandi hat sich gerade aus der Islamkonferenz zurückgezogen, weil er keine Chance sieht, sich gegen die Vertreter der konservativen, islamischen Verbände durchzusetzen. Ist das für Sie auch ein Problem?
Djafari: Ich sehe das nicht so kritisch. Was heißt durchsetzen? Es geht darum, gemeinsam an diesem Prozess zu arbeiten. Sicherlich haben die Vertreter der islamischen Verbände eine eher konservative, teils orthodoxe Auslegung des Islam. Aber auch sie sind an einem Dialog und Diskurs interessiert.
Interesse auch bei konservativen Muslimen
tagesschau.de: Die muslimischen Vertreter der Islamkonferenz haben also auch untereinander Gesprächsbedarf?
Djafari: Es handelt sich bei der Islamkonferenz um einen doppelten Diskurs: einerseits um eine bessere Debatte mit dem deutschen Staat und andererseits um eine Auseinandersetzung zwischen den konservativen Verbänden und den nicht organisierten, muslimischen Individuen. Diese sind zum größten Teil westlich geprägt und haben die westliche Lebensweise angenommen. Dieses Spannungsfeld entspricht der Struktur der Muslime in Deutschland. Das muss man zur Kenntnis nehmen.
Die Deutsche Islamkonferenz (DIK) soll den Dialog zwischen dem Deutschen Staat und den rund vier Millionen in Deutschland lebenden Muslimen verbessern. Sie wurde im September 2006 von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, CDU, begründet. Teilnehmer der Konferenz sind Vertreter des Bundes, der Länder und der Kommunen, muslimische Verbände sowie unabhängige muslimische Vertreter.
tagesschau.de: Was halten Sie von dem Konferenzziel, einen "deutschen Islam" zu schaffen?
Djafari: Ich würde eher von einem europäischen Islam sprechen. Es geht um die Vereinbarkeit von islamischen Werten und der westlichen Lebensrealität. Wenn es in einigen Jahren gelingt, theologische Fakultäten in Deutschland zu gründen, die einen aufgeklärten Islam lehren, und wenn die dort ausgebildeten Religionslehrer in den Schulen einen entsprechenden Religionsunterricht erteilen, dann sind erste Voraussetzungen für die Entstehung eines europäischen Islam geschaffen. Auch die schulische Förderung, und damit die Chance auf eine bessere wirtschaftliche Situation der Migranten, gehört dazu. Dafür müssen aber auch in Deutschland erst einmal Kommunikationsbarrieren abgebaut und der gegenseitige Generalverdacht überwunden werden.
"Zeichen der Hoffnung"
tagesschau.de: Inwieweit hat der Koch-Wahlkampf zum Thema Ausländerkriminalität diesen Annäherungsprozess gebremst?
Djafari: Die Wahlkampagne von Roland Koch hat die Integrationsdebatte sicherlich beeinflusst. Aber sie ist - und das ist ein Zeichen der Hoffnung – letzten Endes auch gescheitert. Das zeigt das Ergebnis der Landtagswahl in Hessen. Es ist ermutigend, dass sich die Wählerinnen und Wähler nicht auf diese Kampagne eingelassen haben. Aber es war ein Spiel mit dem Feuer.
tagesschau.de: Beim Hausbrand in Ludwigshafen standen dagegen Deutsche schnell unter Verdacht.
Djafari: Die übereilten Schuldzuweisungen der türkischen Medien nach diesem tragischen Wohnhausbrand sind das Spiegelbild der Pauschalurteile gegenüber den Deutschen, denen man ohne weitere Beweise unterstellt, das Haus angezündet zu haben. Aber auch hier ein ermutigendes Zeichen: Der türkische Ministerpräsident hat die Wogen geglättet. Beide Ereignisse – Wohnhausbrand und Koch-Wahlkampf -zeigen, was dabei herauskommt, wenn man sich hinter Vorurteilen verschanzt und nicht mehr miteinander kommuniziert. Hier kann die Islamkonferenz Impulse geben.
tagesschau.de: Wie sehen diese Impulse aus, was sind die bisherigen Ergebnisse der Islamkonferenz?
Djafari: Es geht um einzelne, konkrete Punkte, wie zum Beispiel den islamischen Religionsunterricht. Wie kann man den gestalten? Wie kann man sicherstellen, dass die Religionslehrer entsprechend ausgebildet sind und Lehrinhalte vermitteln, die mit der westlichen Lebensrealität und mit dem Wertesystem kompatibel sind? Ein weiterer Punkt ist die Annäherung in der sehr schwierigen Wertedebatte. Da kann man nicht von heute auf morgen ein gemeinsames Pamphlet herausgeben. Ein Erfolg ist der Beginn der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Islambild in den deutschen Medien. Allein, dass man im Rahmen einer Konferenz darüber redet und einander zuhört, ist ein Fortschritt. Den kann man nicht immer in konkrete Ergebnisse fassen, das ist ein Prozess. Wichtig ist, dass der Prozess vorangeht - und das tut er aus meiner Sicht.
Das Interview führte Anja Mößner, tagesschau.de