Datenleck beim "Islamischen Staat" So kam der Rechercheverbund an die Daten
Wochenlang haben Journalisten von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" zu den geheimen Dokumenten des "Islamischen Staates" recherchiert. Auch im türkisch-syrische Grenzgebiet waren sie unterwegs. Ein Erfahrungsbericht.
Der sogenannte "Islamische Staat" hat einen Hang zur Bürokratie - das ist inzwischen bekannt. Zu Papier gebracht wird im Kalifat jedes verhängte Strafmandat - die Einteilung der Islamisten zur morgendlichen Pflege der Blumenrabatten in der IS-Hauptstadt Rakka, oder unter welchen Umständen Ungläubigen die Organe entnommen werden dürfen.
Doch die Bürokratie geht offenbar noch viel weiter: Jüngst meldete sich beim Rechercheverbund von NDR, WDR und "SZ" ein Informant und berichtete, dass es noch ganz andere Dokumente gebe - eine Datei mit den Namen von Zehntausenden Kämpfern, die sich dem IS angeschlossen hätten, eine Akte pro Freiwilligem. Jeder ausländische Kämpfer werde beim Grenzübertritt aus der Türkei in das Kalifatsgebiet von einer ominösen "General-Grenzverwaltung" ausführlich befragt.
Wochenlange Recherche im Grenzgebiet
Und ausgerechnet diese Unterlagen, eine Art Mitgliederverzeichnis der derzeit gefährlichsten Terror-Truppe der Welt, sei dem IS nun abhanden gekommen, berichtete der Informant. Vielleicht lasse sich da etwas machen, ob der Rechercheverbund denn interessiert sei - vor allem an den Namen der Deutschen?
So beginnt für NDR, WDR und "SZ eine wochenlange Recherche, die in das türkisch-syrische Grenzgebiet und in den Nordirak führen wird. Die Journalisten werden bei dieser Recherche viel lernen über den Zustand des IS, bei dem die Korruption inzwischen offenbar ein großes Problem geworden ist. So groß, dass man Videos und Dokumente aus dem Kalifat heute überall in der Region finden kann: Manches ist von kurdischen Milizen erbeutet, anderes erkennbar von IS-Anhängern selbst gestohlen worden. Manche hoffen damit viel Geld verdienen zu können, echte Mondpreise werden verlangt.
"Leferkusi" und "Dusendorf"
Die Liste der Kämpfer bringt am Ende ein lokaler Mitarbeiter des Rechercheverbundes - die Journalisten müssen, außer einer Aufwandsentschädigung für den Mitarbeiter, nichts für die Dokumente bezahlen. Und dann blättern sie in Dutzenden vom IS als "geheim" eingestuften Papieren. Es handelt sich um Bögen mit 23 Fragen, die jeder der deutschen Dschihad-Reisenden ausfüllen musste: Seinen Namen, seinen Kampfnamen, Geburtsdatum und natürlich - unverzichtbar - die Frage, ob man schon einschlägige Dschihad-Erfahrungen gemacht habe und wenn ja, wo.
So bemerkenswert ist dieses Material, dass sich die Redakteure zunächst die Frage stellen, ob es denn wirklich echt ist. Alle Namen, Telefonnummern, Anschriften stimmen - auch wenn die Orthographie zu wünschen übrig lässt. Aus Düsseldorf wird beim IS schon mal "Dusenduf", aus Leverkusen "Leferkusi". Die Journalisten stellen bei der Recherche fest, dass nicht nur sie, sondern auch Geheimdienste und das BKA von der Geschichte gehört haben. Das BKA bestätigt, dass ihnen auch solche Bögen der deutschen Islamisten vorliegen und dass es sich dabei "mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit um echte Dokumente" handele.
Dokumente sind Hilfe für die Justiz
Nun wird dieser Fund noch eine große Rolle spielen, mehr als 800 Deutsche sind nach Zählung des BKA bis heute in das Kriegsgebiet ausgereist. Rund ein Drittel von ihnen ist wieder in Deutschland. Gegen sie laufen Ermittlungs- und Gerichtsverfahren und hier werden die ersten dieser IS-Papiere bald eine entscheidende Rolle spielen. Denn viele der Rückkehrer schweigen, manchmal kann ihnen nicht nachgewiesen werden, dass sie sich dem IS angeschlossen haben. So blieben sie unbehelligt.
Das dürfte sich nun schnell ändern, für manchen werden die Papiere den Unterschied manchen, zwischen Freiheit und Gefängnis. Der IS, eine Terrortruppe mit einem Hang zur Bürokratie, hat die entscheidenden Beweise gegen seine eigenen Kämpfer selbst geliefert.