Interview

Interview mit Parteienforscher Oskar Niedermayer "Koalition nur möglich durch Wortbruch oder Rücktritt"

Stand: 28.01.2008 12:56 Uhr

Mit der Linkspartei in den Länderparlamenten wird die Regierungsbildung schwieriger. Wer bestimmte Koalitionen kategorisch ausschließt, hat nach der Wahl ein Problem, sagt Parteienforscher Niedermayer im tagesschau.de-Interview. Koalitionen sollte man künftig eher als Zweckbündnis gestalten.

tagesschau.de: Wie geht es in Hessen weiter?

Oskar Niedermayer: Gute Frage. Eine Koalitionsbildung kann es nur durch den Wortbruch einer Partei oder den Rücktritt eines der beiden Spitzenkandidaten von Union und SPD und eine Große Koalition geben. Eine Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen wäre koalitionsstrategisch das Vernünftigste. Mit der könnten alle drei Parteien gewinnen. Die SPD könnte die Regierung stellen. Die Grünen wären wieder einmal in der Regierung und würden damit die Untergangsszenarien erledigen. Die FDP könnte ihren Wählern sagen, wir gehen in diese Koalition, um das Schlimmste zu verhindern. Damit wäre auch bei der nächsten Bundestagswahl für die FDP die Ampel-Option eher möglich, denn ich bin sehr skeptisch, ob es 2009 für Schwarz-Gelb reicht.

tagesschau.de: Wie sind die Chancen für eine Große Koalition?

Niedermayer: Für eine Große Koalition wäre es besser gewesen, wenn die SPD vorne gelegen hätte. Eine Große Koalition ohne Andrea Ypsilanti ist nicht denkbar, sie ist die Gewinnerin der Wahl. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die SPD sie kippt. Auch ohne Roland Koch wird es schwierig. Das wäre möglich, wenn er einen Ministerposten in Berlin bekommt. Ich weiß wirklich nicht, welche Koalition wahrscheinlicher ist. Wir haben sozusagen das denkbar schlimmste Ergebnis in Hessen. Die Regierungsbildung wird in jedem Fall lange dauern.

"Man muss künftig mit fünf Parteien rechnen"

tagesschau.de: Die Linkspartei ist in Hessen wie in Niedersachsen ins Parlament gekommen. Wird das Fünf-Parteien-Parlament in Deutschland zur Regel?

Niedermayer: Ja. Mit dem Einzug in zwei Flächenländer hat sich die Linkspartei zur gesamtdeutschen linken Partei entwickelt. Bei der nächsten Bundestagswahl muss man mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder mit fünf Parteien im Parlament rechnen. Das macht die traditionelle Koalitionsbildung - eine große und eine kleine Partei – äußerst unwahrscheinlich. Dass diese unter besonders positiven Umständen gelingen kann, zeigt Niedersachsen. Aber man darf sich nicht darauf verlassen.

Oskar Niedermayer
Zur Person
Oskar Niedermayer ist Politikwissenschaftler, war zuletzt Professor an der FU Berlin und ist inzwischen emeritiert. Schwerpunkte seiner Forschung sind politische Einstellungen sowie die Parteien- und Wahlforschung.

tagesschau.de: Wer mehr Koalitionsoptionen hat, ist also besser dran?

Niedermayer: Genau. Deswegen haben sich die Parteien in Hessen die Probleme mit der Koalitionsbildung jetzt auch selbst zuzuschreiben. Bei fünf relevanten Parteien brauchen wir eine Entideologisierung. Man darf Koalitionen in Zukunft nicht mehr als das große gesellschaftliche Projekt begreifen, sondern als eine Zweckgemeinschaft auf Zeit. Für den Wahlkampf bedeutet das, dass man zwar sagt, mit wem man lieber koalieren würde. Man sollte aber nicht kategorisch bestimmte Koalitionen ausschließen.

"Eine Menge Gründe für Kochs Niederlage"

tagesschau.de: Der polarisierende Wahlkampf von Koch scheint nicht funktioniert zu haben. Oder wollten die Hessen nur einfach Koch los werden?

Niedermayer: Es gibt eine ganze Menge Gründe, warum Koch verloren hat. Die falsche Themenwahl mit der Jugendkriminalität ist nur eine davon. Das Thema nützt der Union auch. Koch hat es meiner Ansicht nach aber überzogen. Außerdem muss sich ein Regierungschef an seiner Arbeit messen lassen. Auch ein Teil der eigenen Klientel hat der Regierung in diesem Bereich keine guten Noten ausgestellt. Aber landespolitische Themen wie die Schulpolitik haben auch noch eine große Rolle gespielt. Dort hat Koch die Eltern, Schüler und die Lehrer, beziehungsweise seine Kultusministerin, gegen sich aufgebracht.

tagesschau.de: Beck und die SPD sehen sich in ihrem sozialpolitischen Kurs bestätigt. Ist das eine richtige Annahme?

Niedermayer: Wenn man nur auf Hessen schaut, ja. Dieser Kurs mit dem klaren Thema Mindestlohn und sozialer Gerechtigkeit hat in Hessen verfangen. Nur darf man nicht vergessen, dass die Partei im Niedersachsen auch mit dieser Botschaft angetreten ist und das schlechteste Ergebnis seit Gründung der Bundesrepublik erzielt hat. Die Neuausrichtung der SPD allein wird nicht garantieren, dass die Partei bei der nächsten Bundestagswahl gut dasteht.

tagesschau.de: Die SPD hat versucht, die Linke aus den West-Parlamenten zu halten. Das ist nicht gelungen, was bedeutet das konkret für die Sozialdemokraten?

Niedermayer: Man kann einen Teil der an die Linken verlorenen Wähler wieder gewinnen, wenn man sich wieder stärker als Sozialstaatspartei profiliert. Damit kann man aber die Linkspartei nicht wieder ganz aus dem Parteiensystem entfernen. Die Linke scheint eine genügend große Basis zu haben. Das heißt auch, die SPD muss sich überlegen, ob man es nicht mit der Annäherung an die Linkspartei übertreibt, Denn damit verärgert man einen anderen möglichen Koalitionspartner umso mehr – die FDP. Ich gehe nicht davon aus, dass die SPD bei der nächsten Bundestagswahl mit den Linken koalieren will. Dann muss man die Ampel-Koalition im Blick haben.

tagesschau.de: Hat sich Kanzlerin Merkel mit ihrer Unterstützung von Koch geschadet?

Niedermayer: Eine Parteivorsitzende kann ihrem Ministerpräsidenten - egal was der macht - nicht kurz vor der Wahl in den Rücken fallen. Merkel konnte nicht anders. Sie hat versucht, einen Mittelkurs zu fahren. Merkels Art und Weise, Wahlkämpfe zu führen, ist durch Wulffs Erfolg eher bestätigt worden. Sie darf aber nicht vergessen, dass die Union eben auch sehr konservative Schichten ansprechen muss, gerade im Süden Deutschlands. Sie muss aufpassen, dass sich dieser Teil der Union und der Wählerschaft nicht von der Partei abwendet. Koch sollte jetzt nicht ausgegrenzt werden. Merkel wird das aber auch nicht tun.

Das Interview führte Wolfram Leytz, tagesschau.de