Interview zur Linkspartei "Es sieht strategisch sehr schlecht aus"
Mit dem Grundsatzprogramm der Linkspartei soll alles anders werden: Keine Flügel- oder Grabenkämpfe mehr, keine ideologischen Entgleisungen. Das wird nicht funktionieren, sagt der Politikwissenschaftler Jürgen P. Lang im Gespräch mit tagesschau.de: Inhaltliche und persönliche Konflikte würden nur überdeckt.
tagesschau.de: Die Linkspartei verliert in Umfragen, spielt in politischen Debatten kaum eine Rolle und wirkt zerstritten. Kann das neue Grundsatzprogramm diese Probleme lösen?
Lang: Nein, denn die inhaltlichen Konflikte werden nur überdeckt. Dazu kommt: Dieses Programm ist sehr radikal, wesentlich radikaler als es alle Programme der Vorgängerpartei PDS jemals waren.
Jürgen P. Lang ist Politikwissenschaftler, Publizist und Fernsehjournalist. Seit 20 Jahren beschäftigt er sich mit der PDS und der Linkspartei, nachdem er eine Arbeit über die Transformation der SED zur PDS geschrieben hatte. 2003 promovierte er mit einer extremismustheoretischen Untersuchung der PDS. Jürgen P. Lang lebt in München.
tagesschau.de: An welchen Stellen wird das deutlich?
Lang: Alles Schlechte wird praktisch dem Kapitalismus angelastet. Es ist die Rede davon, dass es keinen Raum für Demokratie gebe, dass Unfreiheit herrsche, dass Menschen entrechtet seien, ausgebeutet, entmündigt. Kapitalismus wird als Herrschaftssystem verstanden und nicht als Wirtschaftssystem, das ist der Unterschied zwischen der extremen Linken und der demokratischen Linken. Da haben sich eher die Kräfte durchgesetzt, die aus dem Westen kommen.
tagesschau.de: Sind die westdeutschen Mitglieder, die ursprünglich aus der WASG stammen, die radikaleren in der Linkspartei?
Lang: Ja, im Osten sind eher Pragmatiker am Werk. Dort ist die Partei relativ vorbehaltslos auf Regierungskurs gegangen und ist auch bereit, manches über Bord zu werfen. In programmatischen Papieren, die aus den Ost-Landesverbänden kommen, taucht zum Beispiel der Begriff „Sozialismus“ oft gar nicht mehr auf. Da geht es eher um Probleme vor der eigenen Haustür. Das ist natürlich ein Gegensatz zu den Mitgliedern im Westen, die einen radikalen, antikapitalistischen Politikansatz vertreten. Das passt nicht recht zusammen in dieser Partei.
tagesschau.de: Kann das Grundsatzprogramm der Linkspartei eine Zukunftsperspektive geben?
Lang: Nein, das wird es sicherlich nicht können. Auch dieses Grundsatzprogramm trägt noch sehr deutlich die Handschrift des Lanfontaineschen Populismus. Da geht es der Partei vor allem darum, die Wähler zurückzugewinnen, die seit der Bundestagswahl 2009 abwandern. Der Partei ging es ja eigentlich gut. 2009 hat sie ein fulminantes Wahljahr hingelegt, nicht nur im Osten, sondern auch im Westen, wo die PDS nie Fuß fassen konnte, ist sie von einem Wahlerfolg zum nächsten gesprungen. Das lag hauptsächlich an Oskar Lafontaine, der eine knallharte populistische Strategie gefahren ist und alles auf den sozialen Protest fokussiert hat.
tagesschau.de: Was genau war daran das Populistische?
Lang: Damals wurden Vorschläge zur Umverteilung gemacht, die so überzogen waren, dass sie nicht finanzierbar waren. Auch von den Pragmatikern im Osten wurde angezweifelt, dass das umsetzbar ist. Außerdem haben Lafontaine und Bisky sich als Gegner „des Systems“ bezeichnet – und damit war nicht nur das Wirtschaftssystem gemeint.
"Hartz IV ist nicht mehr so wichtig"
tagesschau.de: Nach ihrer Gründung hat die Linkspartei, besonders seit den Hartz-Reformen, SPD und Grüne vor sich hergetrieben. Weshalb profitiert die Linkspartei jetzt – anders als Rot-Grün - nicht von der Schwäche der Bundesregierung?
Lang: Die politische Konjunktur hat sich verändert, nicht erst seit Fukushima. Hartz IV ist nicht mehr so wichtig, und jetzt rächt sich für die Linke, dass sie sich nur auf ein Thema konzentriert und sich thematisch nicht breiter aufgestellt hat. Die Linkspartei hat es versäumt, ein positives Angebot zu machen. Wer nur auf Protest setzt, kann natürlich kurzfristig punkten, in die Zukunft gehen kann man damit aber nicht. Zum anderen hat auch die Linkspartei selbst die innerparteilichen Auseinandersetzungen so hochkochen lassen, dass die Partei von außen als sehr zerstritten wahrgenommen wurde – zu Recht.
Hinzu kommt, dass die SPD nach dem Ende der Großen Koalition in der Opposition einen Linksruck erlebt hat, ja sogar in Teilen von der Agenda 2010 abgerückt ist - und der Auftrieb der Grünen.
Es sieht strategisch sehr schlecht aus für die Linkspartei. Die Lücke auf dem Wählermarkt wird kleiner. Dazu kommt: Wenn es rein rechnerisch für Rot-Grün reicht, braucht man die Linke nicht für einen Regierungswechsel.
tagesschau.de: Im täglichen politischen Diskurs spielt die Linkspartei kaum eine Rolle mehr. Woran liegt das?
Lang: In der Öffentlichkeit wird Gregor Gysi noch wahrgenommen, von dem man aber nicht genau weiß, ob für sich selbst oder für die Partei spricht. Und es gibt Sahra Wagenknecht, die der kommende Shootingstar der Partei sein könnte, aber sehr radikale Inhalte vertritt. Der Rest der Partei aber ist weitgehend abgetaucht – obwohl es genug Anlass gäbe, sich zu äußern.
tagesschau.de: Im Mai wurde eine Debatte über Antisemitismus in der Linkspartei ausgelöst. Ist das nach wie vor ein Konfliktthema innerhalb der Partei?
Lang: Ja, das ist es. Diese Debatte hat den bereits bestehenden Ost-West-Konflikt noch verstärkt, denn es sind erstaunlicherweise die Westdeutschen. Erstaunlicherweise, denn was da vertreten wird - Israel als imperialistischer Staat, der eine Bedrohung für die Völkerverständigung ist - kennt man eher von der DDR. Bei der Linkspartei aber ist es ein Westphänomen. Unter anderem sind einige Bundestagsabgeordnete nicht bereit, das Existenzrecht Israels anzuerkennen. Das ist starker Tobak, aber es ist auch nicht neu.
tagesschau.de: Im Grundsatzprogramm soll es nun auch einen Absatz geben, der sich von Antisemitismus abgrenzt und das Existenzrecht Israels anerkennt. Wird das diese Debatte beenden?
Lang: Nein. Man schreibt das rein, um Gemüter zu beruhigen, aber es wird den Streit nicht lösen.
"Zusammengeschustert, was nicht richtig gepasst hat"
tagesschau.de: Wo geht es hin mit der Linkspartei?
Lang: Das hängt von Wahlerfolgen ab, denn nur die halten die Linke seit vier Jahren zusammen. 2007 wurde da etwas zusammengeschustert, was eigentlich nicht so richtig gepasst hat. Das ist eine Zeit gut gegangen, auch wegen Lafontaine und der Wahlerfolge. Schon jetzt räumen der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch und andere indirekt ein, dass es sich bei der Linkspartei eigentlich um zwei Parteien handelt. Gerade im Osten gibt es prominente Stimmen, die gerne die alte PDS wieder hätten, und sich von den Radikalen im Westen trennen würden. Das ist nichts, was morgen passiert, aber wenn 2013 ein Wahlerfolg ausbleibt, dann schließe ich eine Spaltung nicht aus.
tagesschau.de: Braucht man die Linkspartei überhaupt noch?
Lang: Als Ost-Partei hätte die alte PDS zwar auch keine längerfristige Zukunft gehabt, aber sie hat doch eine gewisse Klientel vertreten und verfügte über einen festen Wählerstamm. Das ist bei der Linken nicht mehr der Fall. Die Wählerklientel im Westen ist sehr ungefestigt, es gibt hier Protestwähler, die auch sehr schnell wieder wechseln oder gar nicht wählen. Den Westflügel bräuchte man demnach eigentlich nicht.
Das Interview führte Anna-Mareike Krause, tagesschau.de