Interview zum vorläufigen Ende des Forschungsprojekts "Das darf nicht zu den Akten gelegt werden"
Der Abbruch des Forschungsprojektes zum Missbrauchsskandal könnte einen Imageschaden für die katholische Kirche bedeuten. Das befürchtet der Vorsitzende des Zentralkomitees deutscher Katholiken, Glück, im Gespräch mit tagesschau.de. Er fordert die Bischofskonferenz auf, bald ein neues Projekt zu starten.
tagesschau.de: Das Forschungsprojekt zur Untersuchung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche ist vorerst gescheitert. Herr Glück, was halten Sie davon?
Alois Glück: Ich bin von der Entwicklung überrascht. Die genauen Sachverhalte, die dazu geführt haben, kenne ich nicht. Aber das darf natürlich nicht das Ende eines solchen Vorhabens sein. Es ist dringend notwendig, dass nach den Maßstäben wissenschaftlicher Unabhängigkeit und nach wissenschaftlichen Arbeitskriterien die tieferen Ursachen des sexuellen Missbrauchs in der Kirche weiter untersucht werden. Das ist eine wichtige Grundlage für die weitere Prävention.
tagesschau.de: Herr Pfeiffer hat der Kirche heftige Vorwürfe gemacht. Er sprach unter anderem von Zensur und Aktenvernichtung. Können Sie sich vorstellen, dass er recht hat?
Glück: Wie gesagt, ich kenne die Sachverhalte nicht im Einzelnen. Es ist aber nicht zu bestreiten, dass die katholische Kirche gerade beim Thema sexueller Missbrauch konsequent wie keine andere gesellschaftliche Gruppe gehandelt hat. Natürlich habe ich in der Kirche unterschiedlich ausgeprägtes Engagement bei dem Thema erlebt. Dass sie ein solches Forschungsprojekt realisieren wollte – und auch weiter will – zeigt doch, dass eine entsprechende Bereitschaft da ist, den Vorgängen auf den Grund zu gehen.
"Wir erwarten eine neue Untersuchung"
tagesschau.de: Der Trierer Bischof Stephan Ackermann nannte als Grund für das Scheitern das mangelnde Vertrauen in den Leiter des Instituts, Christian Pfeiffer. Woran liegt das?
Glück: Es hat offenbar in den letzten Monaten Irritationen gegeben. Denn zu Beginn des Projektes war das Vertrauen in Herrn Pfeiffer und das Kriminologische Forschungsinstitut definitiv vorhanden. Sonst hätte er den Auftrag ja nicht erhalten.
tagesschau.de: Vor allem zwei Bischöfe, nämlich der aus Regensburg und der aus München und Freising, haben sich für das Ende des Projektes eingesetzt. Haben einzelne Bischöfe einen so großen Einfluss, dass sie ein solches Projekt enden lassen können?
Glück: Es hat ja niemand ein Ende des Projektes verlangt. Es gab offenbar Meinungsverschiedenheiten über Fragen des Datenschutzes, aber mir ist nirgendwo zu Ohren gekommen, dass die Untersuchungen generell nicht stattfinden sollten. Und ich gehe davon aus, dass eine solche Untersuchung weiter in Auftrag gegeben wird. Das ist auch unsere Erwartung von Seiten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.
"Prävention wird immer wichtiger"
tagesschau.de: Es ist ja so, dass die Missbrauchsfälle viele Jahre zurückliegen. Fürchtet die Katholische Kirche trotzdem neue Enthüllungen?
Glück: Es geht weniger um neue Enthüllungen – obwohl natürlich in keinem Bereich ausgeschlossen werden kann, dass es jemals wieder neue Fälle gibt. Es geht vielmehr darum, zu analysieren, wie es zu solchen Vorfällen kommt, in welchen Situationen oder Persönlichkeitsstrukturen potenzielle Risiken liegen.
Insofern ist es natürlich wichtig, zu analysieren ob es gewisse Grundstrukturen gibt, die eine besondere Gefährdung bieten, bei denen eine besondere Vorsicht notwendig ist. Erfahrungen zu gewinnen, um diese in die diversen Präventionsprogramme einzubauen.
Prävention diesbezüglich ist immer wichtiger für Menschen, die im Jugendbereich tätig sind. Wir müssen alle Mitarbeiter schulen, damit sie aufmerksam werden gegenüber gewissen Verhaltensmustern, bei sich selbst und bei anderen.
Das Thema sexueller Missbrauch ist ja auch durch eine solche Untersuchung nicht für alle Zeiten bewältigt, nicht bei uns, und nicht an anderen Stellen. Diese Themen bleiben leider – ob in der Kirche, im Schulbereich, im Sport oder in andern Bereichen der Kinder- und Jugendarbeit.
tagesschau.de: Haben Sie persönlich solche Grundmuster beobachtet?
Glück: Nein, ich selbst habe nur Erfahrungen gesammelt durch die Berichte von Opfern. Ich denke aber, dass es wichtig ist, sowohl mit Opfern als auch mit Tätern zu reden – in einem Zusammenhang, in dem es nicht mehr um Verurteilung geht, sondern darum, vielleicht Lebenswege und Erfahrungen nachzuvollziehen. Nur so kann man vielleicht erkennen, worauf es ankommt: in den Vorbeugemaßnahmen, in den Schulungen, in der Auswahl von Personal.
"Imageschaden für die Kirche"
tagesschau.de: Ist die Präventionsarbeit nun die wichtigste Aufgabe der katholischen Kirche?
Glück: In allen Bereichen, die mit Kinder- und Jugendarbeit zu tun hat, ist sie das. Das betrifft ja nicht nur die katholische Kirche, das betrifft auch den Schulbereich, siehe Odenwaldschule oder auch bestimmte Sportarten.
Die Präventionsarbeit muss sich dabei an Personalleiter, Kollegen, aber auch an potenzielle Täter richten. Eine erhöhte Wachsamkeit ist bei allen Beteiligten wichtig, damit schneller eingegriffen werden kann, um Schäden bei Kindern und Jugendlichen zu vermeiden.
tagesschau.de: Was bedeutet denn das vorläufige Ende dieses Projektes für die Opfer?
Glück: Das vorläufige Ende des Projektes bedeutet nicht, dass es zu den Akten gelegt wird, und es bedeutet schon gar nicht, dass damit das Thema an Bedeutung verliert. Es ist aber sicher ein Imageschaden für die Kirche.
tagesschau.de: Rechnen Sie mit einer neuen Austrittwelle?
Glück: Das glaube ich kaum. An den bisherigen Aufklärungsbemühungen und den vielen Maßnahmen, die bereits ergriffen wurden, ändert sich ja nichts.
tagesschau.de: Wie geht es weiter?
Glück: In zwei Wochen tagt die Bischofkonferenz. Und sie wird sicher nicht den Beschluss fassen, dass das Thema nun zu den Akten gelegt wird. Das würde auch nicht funktionieren. Je rascher von Seiten der Bischofskonferenz ein neues Projekt realisiert wird, umso geringer wird der Schaden sein.
Das Gespräch führte Anna-Mareike Krause, tagesschau.de