Interview

Kabarettist zu 50 Jahren deutsch-französische Freundschaft "Wir können den Deutschen ein wenig Chaos beibringen"

Stand: 22.01.2013 17:05 Uhr

Deutsche und Franzosen mögen sich, finden sich aber manchmal merkwürdig, meint Kabarettist "Alfons". Der Franzose - mit bürgerlichem Namen Emmanuel Peterfalvi - lebt seit 20 Jahren in Deutschland, die gegenseitigen Befindlichkeiten sind seine Spezialität. Im tagesschau.de-Interview erklärt er, was beide voneinander lernen können - und welchen Vorteil Vorurteile haben.

tagesschau.de: Mögen Sie die Deutschen?

Emmanuel Peterfalvi: Aber ja. Ich wohne jetzt mehr als 20 Jahre in Deutschland. Und ich bin kein Masochist. Ich mag Deutschland und die Deutschen, ich mag auch die deutsche Art zu leben. Ich weiß, dass es für einen Franzosen sehr merkwürdig ist, das zu sagen, aber ich meine es ernst.

tagesschau.de: Warum ist das für einen Franzosen merkwürdig?

Peterfalvi: Ich kam mehr oder weniger zufällig in Deutschland an und sollte eigentlich nur 16 Monate bleiben. Als ich meinen Freunden gesagt habe, ich verlängere ein bisschen, haben sie mich für halb verrückt erklärt. Und wenn ich heute sage, ich bleibe und es gibt keinen Grund nach Frankreich zurückzukehren, glauben sie, ich bin ganz durchgeknallt.

In den Augen der Franzosen sind die Deutschen in erster Linie effizient, verstehen viel von Wirtschaft und Export und machen da alles richtig. Aber als Franzose möchte man nicht unbedingt in Deutschland wohnen. Man hat das Gefühl, da ist das ganze Leben nur Arbeit, es geht sehr streng zu und es gibt nur Bürokratie.

Zur Person
Emmanuel Peterfalvi, besser bekannt als Reporter "Alfons", ist ein französischer Kabarettist. Mit seinem Markenzeichen, dem Puschelmikrofon, zieht er durch deutsche Fußgängerzonen und mimt den trotteligen Franzosen. Unter anderem arbeitet er für die NDR-Sendungen Panorama und Extra 3 und produziert seine eigene Sendung Puschel TV.

"Die Deutschen haben immer noch dieses Schuldgefühl"

tagesschau.de: Glauben Sie, dass die jahrhundertelange "Feindschaft" zwischen beiden Ländern das Deutschlandbild der Franzosen noch in irgendeiner Weise prägt?

Peterfalvi: Nein, das glaube ich nicht. Die Franzosen haben mit dem jetzigen, demokratischen Deutschland überhaupt kein Problem. Wir Franzosen haben nicht das Gefühl, dass sich die Generation heute noch schämen muss für die Nazi-Zeit. Für uns ist klar, das war eine andere Zeit und das Deutschland von heute hat damit nichts mehr zu tun. Das ist ausschließlich ein deutsches Thema. Die Deutschen haben immer noch dieses Schuldgefühl. Damit arbeite ich übrigens viel in meinen Umfragen, es ist sehr lustig, die Leute bei dieser Thematik ein bisschen zu kitzeln.

tagesschau.de: Geht das allen Generationen so? Oder betrifft das nur die Jungen?

Peterfalvi: Die Generation, die aktiv im Krieg war, die gibt es ja quasi nicht mehr. Ich habe wirklich den Eindruck, dass das in der französischen Gesellschaft keine Rolle mehr spielt.

Umgekehrt habe ich manchmal sehr erstaunliche Dinge bei meinen Umfragen gehört: Wenn ich mit sehr alten Männern gesprochen habe und sie mitbekamen, dass ich Franzose bin, haben sie mir erzählt, dass sie Frankreich sehr mögen. Ihre Erinnerungen an die französische Kriegsgefangenschaft seien sehr positiv. Da fühle ich mich immer ein bisschen unwohl, aber sie meinen das sehr ernst. Viele haben gesagt, dass sie damals sehr herzlich empfangen worden seien und das sie später noch mit Franzosen befreundet geblieben sind.

"Die Deutschen bewundern uns für das Savoir-vivre"

tagesschau.de: Wie ist das denn im Allgemeinen: Mögen die Deutschen - Junge wie Alte - die Franzosen? Oder gibt es da noch gewisse Animositäten?

Peterfalvi: Non, non. Überhaupt nicht. Ihr habt eine sehr gute "Liebe auf den ersten Blick" für Franzosen - manchmal auch basierend auf Vorurteilen, die gar nicht stimmen. Aber die korrigiere ich nicht, schließlich profitiere ich davon. Als Franzose in Deutschland hat man schon einen Bonus, bevor man irgendetwas gesagt oder getan hat. Die Deutschen bewundern uns vor allem für das Savoir-vivre, dass wir es verstehen, das Leben zu genießen. Und dafür, dass die Franzosen gern protestieren. Ich habe das Gefühl, dass die Deutschen manchmal denken: "Ihr lasst euch wenigstens nicht alles gefallen, und wir sind so feige."

Wenn sie wüssten, wie das wirklich ist, wenn ständig gestreikt wird, wären sie nicht so neidisch. Das ist nämlich ziemlich nervig. In Frankreich zeigen die Nachrichten schon nicht mehr, wenn jemand streikt. Sie zeigen, wenn jemand mal arbeitet.

tagesschau.de: Heißt das, Deutsche und Franzosen sind heute wirklich zu engen Freunden geworden?

Peterfalvi: Na, wir wollen mal nicht übertreiben. Als enge Freundschaft würde ich es nicht bezeichnen. Was gut geklappt hat, ist, dass wir keinen Krieg mehr machen. Das ist schon ein riesiger Fortschritt. Aber es gibt natürlich nach wie vor Vorurteile. Zum Beispiel würde kaum ein Franzose freiwillig in Deutschland Urlaub machen.

Diese echte Freundschaft, von der die Politiker immer geträumt haben, funktioniert noch nicht richtig. Das hat die Politik sich aber auch selbst zuzuschreiben. In der EU zum Beispiel verstehen wir uns zwar als Gemeinschaft, aber im Endeffekt kämpft doch jeder für sich.

"Franzosen muss man zwingen, eine andere Sprache zu lernen"

tagesschau.de: Was müsste passieren, damit es zu einer echten Freundschaft der beiden Völker kommt?

Peterfalvi: Das kann nur klappen, wenn wir uns öfter sehen und noch viel besser kennenlernen. Ich finde toll, wenn Studenten ein Jahr in das andere Land gehen. Gerade die Franzosen muss man zwingen, eine andere Sprache zu lernen. Freiwillig lernt ein Franzose nie eine Fremdsprache, das ist offenbar genetisch. Wenn man ihn ins Ausland schickt, kann er nicht anders.

Und das Gute dabei ist: Wir können viel voneinander lernen. Die Franzosen können den Deutschen ein bisschen Chaos beibringen. Kreatives Chaos, meine ich. Das könnte Deutschland gut gebrauchen. Andererseits können wir von den Deutschen lernen, uns besser zu organisieren. Ich habe das selbst erfahren: Ich merke, wie Deutschland mich strukturiert. Und ich bleibe trotzdem Franzose.

tagesschau.de: Das heißt, Deutsche und Franzosen kennen sich nicht gut?

Peterfalvi: Nein. Im Grunde wissen wir sehr wenig übereinander. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass irgendein Franzose weiß, dass es einen Bundespräsidenten gibt, geschweige denn den Namen kennt. Die meisten glauben, dass Angela Merkel die Präsidentin von Deutschland ist. Ich glaube auch nicht, dass viele Deutsche wissen, wie der Premierminister in Frankreich heißt, und was der Unterschied zum Präsidenten ist.

"Deutschland geht es gut, die Deutschen sind trotzdem besorgt"

tagesschau.de: Hat die Euro-Krise das Verhältnis zwischen Deutschen und Franzosen verändert?

Peterfalvi: Ja, ich glaube schon, dass dadurch alte Reflexe wieder aufgekommen sind, die wenig mit Freundschaft zu tun haben. Das ist sehr schade. Die Deutschen sind sehr ängstlich geworden durch diese Krise und denken mehr an sich. Das ist auch wieder sehr bezeichnend: Eigentlich geht es Deutschland gut, aber die Deutschen sind sehr besorgt. Frankreich geht es sehr schlecht, aber den Franzosen ist das scheißegal.

Die Franzosen bewundern Deutschland dafür, dass hier trotz Krise alles so gut funktioniert. Bei uns geht immer mehr pleite, unsere Autos verkaufen sich nicht und so weiter. Das einzige, was wir gut machen sind Atom-Reaktoren, aber davon wollen die Deutschen wiederum nichts wissen. Frankreich schaut sehr genau, wie die Deutschen das meistern und versucht davon zu lernen.

Es gibt nur eine Sache, die ihr in Deutschland nicht so gut hinbekommt, das ist das Kindermachen. Da sind wir Franzosen sehr gut. Wir üben aber auch sehr viel.

Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de