Gespräch mit Ex-Behördenchef Weise "Das BAMF steht heute besser da"
Ein Berg an Asylanträgen, zu lange Verfahren, zu wenig Mitarbeiter: Das BAMF hatte in den Jahren 2015/16 enorme Probleme. "Heute stehen wir besser da", sagt der ehemalige Behördenchef und heutige Flüchtlingsbeauftragte der Regierung, Weise, im tagesschau.de-Interview.
tagesschau.de: Kanzlerin Merkel betont stets, dass sich eine Situation wie 2015 nicht wiederholen darf. Wenn doch, stünde das BAMF heute besser da?
Frank-Jürgen Weise: Das Enttäuschende im Jahr 2015 war, dass die Behörden nicht die Arbeit gemacht haben, wie die Politik es erwarten konnte. Wenn schon lange vorher Hunderttausende Anträge mit langer Wartezeit vorliegen, muss doch einmal jemand sagen, die Sache läuft nicht gut. In den vergangenen Monaten musste das BAMF unter Höchstlast die grundsätzliche Arbeitsorganisation verbessern. Zudem war der Austausch unter den Behörden lückenhaft. Der Fall Amri war eine Folge dieser nicht gelösten Themen. Da stehen wir jetzt besser da. Das Bundesamt wird bis Ende des Jahres die hohe Zahl der älteren Verfahren entschieden haben. Ich gehe davon aus, Ende dieses Jahres ist das Bundesamt in einem Zustand, wie es Politik erwarten kann.
Frank-Jürgen Weise berät die Bundesregierung in Migrationsfragen. Der 65-Jährige war bis Januar 2017 Leiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Er übernahm diesen Posten im Herbst 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise. Bis Ende 2016 war er Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit. Seine Nachfolge im BAMF trat Jutta Cordt an.
tagesschau.de: Sie sagen, die Arbeitsorganisation wurde verbessert. Doch es gibt auch Kritik, etwa, dass nicht dieselben Mitarbeiter die Asylentscheidung getroffen haben, die die Flüchtlinge angehört haben.
Weise: In vielen Fällen ist es hilfreich, wenn der Entscheider den Menschen wirklich durch eigene Anschauung erlebt hat. Es gab es aber gute Gründe, das teilweise zu trennen. Denn während der besonderen Situation der hohen Zahl von Asylsuchenden bestimmter Herkunftsländer, die zum Teil ähnliche Fluchtgründe geltend machten, also beispielsweise Geflüchtete aus Syrien oder dem Westbalkan, war es damals wichtig, dass diese möglichst frühzeitig ihren Antrag auf Asyl stellen und ihre Fluchtgründe vortragen konnten. Hier konnte ein Mitarbeiter, der beispielsweise schon viele syrische Verfahren angehört hatte, auch auf Grundlage der Akten in der Woche viele Fälle gut entscheiden. Aber er konnte sie nicht alle anhören. Hätten wir das nicht gemacht, wären die Wartezeiten noch viel länger geworden.
Ex-Behördenchef Weise sieht das BAMF heute besser aufgestellt als 2015.
Gut eingearbeitete Stammbelegschaft
tagesschau.de: 2015 hat das BAMF Tausende Mitarbeiter eingestellt, deren befristete Verträge bald auslaufen. Steht da nicht der nächste Bearbeitungsstau ins Haus?
Weise: Ich bin dafür, einen Personalstand vorzuhalten, der dreißig Prozent mehr bewältigen kann als grundsätzlich anfällt: Eine Stammbelegschaft, die gut eingearbeitet ist und die, in ruhigeren Zeiten, Dinge vorbereitet für Zeiten mit höherer Auslastung. Dieses Maß will der Steuerzahler bezahlen, mehr nicht. In der Hochphase haben wir mehr Leute eingestellt, aber explizit befristet. Die Bundesagentur für Arbeit hat schon Interesse an Bewerbern aus dem Bundesamt angemeldet.
tagesschau.de: Wie soll das BAMF den Verlust dieser Mitarbeiter bei künftigen Personal-Engpässen kompensieren?
Weise: Ich werbe dafür, dass es im öffentlichen Dienst künftig einen Pool an Beamten gibt, die man zwei, drei Mal im Jahr frei stellt und mit Trainings auf dem aktuellen Stand in Sachen Asyl hält. Mit dieser Reserve können wir sofort reagieren, wenn die Zugangszahlen wieder steigen würden - ohne das BAMF dauerhaft zu einer riesigen Behörde aufzublähen.
Die Justiz hätte sich vorbereiten müssen
tagesschau.de: Viele Gerichte sind wegen Klagen gegen Asylbescheide überlastet. Der Bund Deutscher Verwaltungsrichter meint, dass dies auch an der Qualität der Bescheide liege. Hat er Recht?
Weise: Die Verwaltungsgerichte konnten sich seit zwei Jahren ausrechnen wie viele Fälle auf sie zukommen. Zwei Jahre Zeit, sich in der Arbeitsorganisation aufzustellen! Da muss man sich vorbereiten und nicht jetzt Interviews geben. Außerdem haben der Gesetzgeber und die Justiz Rahmenbedingungen geschaffen, dass in der Hälfte der Ablehnungen geklagt wird, aber von den Klagen nur ein ganz kleiner Prozentsatz Erfolg hat. Was soll das? Das ist eine Riesen-Arbeit für alle Beteiligten und es kommt für die Menschen nichts Besseres dabei heraus. Damit muss sich Justizminister Heiko Maas mal beschäftigen.
tagesschau.de: An der Qualität der BAMF-Bescheide liegt es also nicht?
Weise: Natürlich gibt es Qualitätsmängel. Aber nur im formalen Bereich, wenn bestimmte Felder zum Beispiel nicht ausgefüllt sind. Das hat aber der Güte der Entscheidung, ob jemand Asyl bekommt nichts zu tun - was man ja daran sieht, wie wenige Klagen Erfolg haben. Dass es zu den Formfehlern kommt, liegt an Versäumnissen der Vergangenheit. Man hat es 2015 zu dieser Höchstlast im BAMF kommen lassen. Da mussten wir dann Mitarbeiter einstellen, die keine dreijährige Ausbildung mehr durchlaufen konnten. Die Alternative wäre gewesen, die Asylsuchenden noch länger auf ihre Entscheidung warten zu lassen. Diesen Engpass haben wir gelöst. Wer glaubt, das war kostenlos, der ist naiv.
tagesschau.de: Wie könnte man die Formfehler und damit die Menge der Klagen reduzieren?
Weise: Ein gutes Modell hat zum Beispiel die Schweiz: Da ist schon im Verfahren ein Rechtsanwalt dabei, der bürokratisch alles beobachtet. Dann gibt es anschließend weniger Klagen. Ich bin außerdem unbedingt dafür, dass man Pro Asyl und die Kirchen zur Verfahrensberatung hinzuzieht, damit die Schutzsuchenden gut auf die Anhörung vorbereitet werden können.
Das Interview führte Marie Löwenstein, tagesschau.de